Albert Schweitzer- Für die Einen ein Begriff – für andere neu zu entdecken

Albert Schweitzer Als ich – mehr durch puren Zufall – entdeckte, dass es in diesem Jahr gleich zwei neue Biographien über Albert Schweitzer gibt – war ich richtig glücklich: So lange schon ist er, den ich seit Kindheit nicht nur verehrte, sondern der zu einem meiner großen Vorbilder geworden war, irgendwie aus dem Blickfeld geraten. In der jüngeren Vergangenheit wurde er mehr als eine Art ‘Mitstreiter’ in der Anti-Atom-Kapagne ins Feld geführt. Es stimmt auch, dass er sich anhand der ihm verfügbaren Literatur mit diesem Komplex auseinandergesetzt hat: Und natürlich war ihm sofort klar, welch entsetzliche Situation damit unweigerlich zukommen würde – zugekommen ist.

Nun kommt auch noch der große Film über Albert Schweitzer am 24.12.2009 ins Kino – Warum also ist er, um den es in den letzten Jahren so still geworden ist – nun plötzlich derart ins Rampenlicht geraten ..

Schon ein Blick auf den Autor dieser Biograpie macht neugierig: Er ist 1973 geboren, (also 36 Jahre alt) Dr. Dr., studierte Evangelische Theologie, Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte in Leipzig, Münster und Oxford. Seit 2004 arbeitet er als persönlicher Referent des Bundespräsidenten. Seit 2007 berät er den Bundesminister des Inneren sowie die Deutsche Islamkonferenz und lehrt Systematische Theologie. Und morgen, wird er auch noch Professor, was ich am Telefon erfuhr, als ich ihn noch etwas wegen der AlbertSchweitzer-Biographie fragen wollte. Mich interessierte das auch deswegen, weil er selbst offensichtlich eine ebenso rasante Karriere durchläuft wie seinerzeit Albert Schweitzer. Nun also zur derzeit wirklich umfassendsten Albert Schweitzer-Biographie:

Sollte ich hier eine Aufzählung dessen, was Albert Schweitzer selbst in seinem Leben veröffentlicht hat, aufzählen, würde das den hier verfügbaren Raum bei weitem sprengen. Man fragt sich wie all das von einer einzigen Person überhaupt geschafft werden konnte, die zumal im ‘wirklichen’ Leben selbst einen Beruf als Arzt in Afrika ausübte. Und das, was uns Heutigen überhaupt unvorstellbar ist: Ohne den hilfreichen Beistand e4ines Computers!

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Es gibt eine Aussage von Albert Schweitzer, die vermutlich sehr viele kennen: Es kennzeichnet seine vermutlich wichtigste Grundhaltung: Ehrfurcht vor dem Leben. (Wenn überall auf der Erde alle Menschen dies zum eigenen Lebensmotto machen würden, hätten wir vermutlich einige der größten derzeitigen drohenden Katastrophen nicht!) Dieser so einfache Satz ist aber auch typisch für Albert Schweitzer, der, wie nur wenige, das was er tat und dachte, ausdrücken konnte und der außerdem, was ihn interessiert un bewegte, nicht nur oberflächlich streifte, sondern gründlich studierte und dann in – bis heute gültigen – grundlegenden Büchern veröffentlichte.

Albert Schweitzer ist als Theologe, Philosoph, Musikwissenschaftler und Arzt in Lambarene schon seit Jahrzehnten vielen ein Begriff geworden. Es ist jedoch zu wenig, wenn man ihn sich vor allem als Urwald-Doktor vorstellt, der sich am Ende seines Lebens auch noch warnend hinsichtlich der Atom-Katastrophe einsetzte. Auch wenn er nicht nach Lambarene gegangen wäre – auch seine davor liegenden Stationen sind schon bemerkenswert. Hatte er aber auch – wie wohl jeder Mensch – Schattenseiten? !951 bekam er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 1952 den Friedensnobelpreis. Und das alles ‘nur’ für einen Urwalddoktor in Lambarene?

Die hier vorgelegte Biographie bemüht sich mit großer Ausgewogenheit und gründlicher Recherche dieses facettenreiche Leben nachzuzeichnen. In Albert Schweitzers Autobiographie Aus meinem Leben und Denken sieht alles viel einfacher, zielstrebiger und ‘einfacher’ aus, als es wirklich verlief. Er war nicht nur Musiker, Theologe und schließlich Mediziner. 1873 als Pfarrerssohn geboren, begann er bereits 1885 mit dem Orgelspiel, welches ihn zeitlebens begleiten würde. 1893 begann er sein Studium der Theologie (und bereits 1906 – mit 33 Jahren – veröffentlichte er sein bis heute unerreichtes und gültiges Werk: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung [meine Ausgabe hat 650 Seiten in kleingedruckter Schrift!] in in einer Zeit, in der die Annahme der Unechtheit der biblischen Darstellung Jesu ganz sicher nicht aktuell war, imponierte. Zugleich aber wurde er ein immer mehr anerkannter Orgelsoieler und, wieder zugleich – begann er mit einer -auch bis heute unerreichten Bach-Biographie.

Das Leben Albert Schweitzers ist bereits vor seinem Aufbruch nach Lambarene von unglaublicher Schaffenskraft gekennzeichnet. Welcher derzeitige Student hätte in vergleichbarem Lebensabschnitt Vergleichbares vorzuweisen? Hinzu kommt ein Studienaufenthalt in Paris und seine Promotion zum Doktor der Philosophie, zweites theologisches Staatsexamen, Habilitation und anschließende Privatdozentur in Straßburg, Direktor des Thomasstifts in ´Straßburg, und 1905 der Beginn des Studiums der Medizin. 1912 bekommt er seine Approbation als Arzt und heiratet seine langjährige Freundin Helene Bresslau. Bezeichnenderweise hat seine medizinische Promotion den Titel Die psychiatrische Beurteilung Jesu. Darstellung und Kritik [ebenfalls lesenswert; sie enthält vieles, was das Wirken Jesu in seiner Zeit verständlicher macht.] Nach diesem rasanten Ausbildungs-Marathon kommt nun eine medizinische Zusatzausbildung – und endlich seine Abreise, gemeinsam mit seiner Frau, nach Lambarene. Damit erfüllt er sich das, was sein großer Lebenswunsch war: aber er war alles andere, als ein Träumer. Gründlich, wie immer in seinem Lebens war alles geplant – durch Spenden finanziert wurden siebzig Kisten mit Material und Medikamenten nach Afrika verschifft.
All das, und jenes was noch kommen sollte, hat er, wie er selber sagt, nur aufgrund seiner unbändigen Gesundheit und seines geringen Schlafbedürfnisses bewerkstelligen können. Über den extrem schwierigen Anfang in Lambarene heißt es in der Biographie: Wie Albert war auch Helene von der Natur Afrikas überwältigt und fand sich schnell mit einer Hütte mit undichtem Dach und riesigen Spinnen am Boden ab. Beide bewältigten den Alltag mit Nüchternheit und Humor, und die Tagebücher vermitteln den Eindruck eines eng zusammenstehenden Paares, das mit Witz und Realismus diesen für sie ungewohnten Alltag, so gut es ging meisterte. Es ist sehr schön, dass in dieser Biographie einmal (wie auch bei vielen anderen Irrtümern über Schweitzer) die Rolle seiner Frau ihre gerechte Würdigung findet. Obwohl sie aus Gesundheitsgründen (Tuberkulose) nicht ununterbrochen in Afrika an der Seite ihres Mannes war, ist sie dennoch eine gleichwertige Partnerin. Sie ist gebildet und somit auch intellektuell eine wichtige Weggefährtin, wie sie ebenso, solange es ihre Gesundheit zuließ, kraftvoll mitzuarbeiten vermochte.; dies insbesondere auch bei der medizinischen Versorgung der Kranken.

Diese Biographie ist nicht nur hervorragend geschrieben und mit wunderbarem Bildmaterial aus dem Leben Albert Schweitzers ausgestattet. Beeindruckend ist auch das verarbeitete Quellenmaterial. Das kommt wohl nicht zuletzt daher, dass der Autor, aufgrund seiner Jugend, die frühere Popularität Schweitzers nicht miterlebt hat. Infolgedessen geht er ganz unvoreingenommen vor und berichtet über das vom ihm Vorgefundene. Aus dem gesamten aterial zeigt er sowohl Größe wie auch Widersprüche dieses großen Lebens nach; seine vielen Zitate, der den Text so vielseitig und spannend machen, belegen dies. Er stellt dem Mythos Schweitzer dessen erkennbare Wirklichkeit gegenüber. Wie wird man Mythos? Jede Zeit macht sich ihren Albert Schweitzer, der wie ein Unbekannter, ein Namenloser an ihre Gestade kommt. Sein Leben und seine Werke sind daher nicht auf einen einheitlichen Nenner zu bringen. Authentisch sein und handeln – vielleicht ist das das Wesentiche an Schweitzer: dass er in der Lage war, nicht nur durch sein Reden, sondern durch seine Lebensentscheidungen und sein praktisches Handeln den ‘garstigen Graben’ zwischen Ethik und Praxis, zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu überwinden und dadurch zum Symbol der Menschlichkeit, zum Mythos des selbstlosen Urwaldarztes von Lambarene zu werden. (…) Bei näherer Betrachtung [seines Lebens] stößt man hingegen auf einen langwierigen, zuweilen schmerzvollen Weg der Selbstfindung, über den sich Schweitzer aber nur mit seinem ‘getreuen Kameraden’, Helene Bresslau [seiner späteren Frau] austauschte.
Der Biograph beschäftigt sich auch mit anderen, in meinen Augen jedoch nur scheinbaren Widersprüchen in Schweitzers Leben. In seiner Jugend offensichtlich – nach den Photos – sehr auf gutes Äußeres bedacht, jedoch in späteren Jahren durch ein nachdrücklich unmodisches Äußeres berühmt: aber sein Gesicht mit dem weißen Haar und dem Schnurrbart, darunter der Vatermörder und die Fliege war für alle ein Markenzeichen schlechthin. Er schrieb Zehntausende von Briefen, wenn man jedoch dem wahrhaften Grund all seiner Orgelkonzertreisen, seiner Vorträge in aller Welt, seinen vielen Briefen nachgeht: Immer war es die Geldnot, in der er sich für Lambarene befand: einfach ausgedrückt – er war eigentlich immer irgendwie pleite. Lambarene war von Jugend an sein wichtigstes Ziel – unbeirbarr ‘stapfte’er darauf zu; aber er war auch gründlich. Seinen sehr früh festgestellten Ungereimtheiten im Neuen Testament ging er (wie kein Zweiter) auf den Grund: Dennoch hielt ihn das Entdeckte keines falls davon ab, der für ihn wichtigsten Botschaft des Neuen Testaments nachzuleben. Für ihn hieß das: Handeln. Er war – bis an sein Lebensende – ein begnadeter Orgelkünstler. ‘Nebenbei verfasste er aber auch die bis heute wichtigste Bach-Biographie.
Der Orgelkünstler Albert Schweitzer konnte auch in seinem Leben verschiedene Register ziehen: Er war bedeutender Theologe, gütiger Urwalddoktor, Bestseller-Autor und Philosoph der Ehrfurcht vor dem Leben. Gerade in seiner Schlichtheit und Geradlinigkeit war der Friedensnobelpreisträger zudem ein Meister der Selbstinszenierung. Er verkehrte mit führenden Politikern und Denkern und war zugleich darauf bedacht, sich von den Großen und Mächtigen abzuheben. Er machte kein Aufheben um sein Äußeres und sah gerade darum aus “wie ein naher Verwandter des lieben Gottes” (Der Spiegel).

Das alles sollten Sie nun selbst nachlesen, denn der nun kommende Film über Albert Schweitzer wird eine nur sehr verkürzte Darstellung seines Lebens sein. Aber wir sollten uns mit ihm, einer der ganz großen Gestalten des 20. Jahrhunderts, doch wieder eingehend beschäftigen. Übrigens finden Sie in der ‘buchwelt’ die derzeit lieferbaren Bücher Albert Schweitzers – besser als jede Biographie berichtet er selbst- wenn Sie durch dies Buch neugierig geworden sind – aus seinem reichen Leben und seinem vielfältigen Denken, dass gerade für uns heute wichtig ist.

Ingeborg Gollwitzer