Bericht aus  Börsenblatt für den deutschen Buchhandel:

Literarisches Leben

Autoren v.l.: Cornelia Travnicek (BKS Publikumspreis), Inger-Maria Mahlke (Ernst Willner Preis), Lisa Kränzler (3sat-Preis), Olga Martynova (Bachmannpreis), Matthias Nawrat (KELAG Preis)Autoren v.l.: Cornelia Travnicek (BKS Publikumspreis), Inger-Maria Mahlke (Ernst Willner Preis), Lisa Kränzler (3sat-Preis), Olga Martynova (Bachmannpreis), Matthias Nawrat (KELAG Preis)© Johannes Puch

Der Ingeborg-Bachmann-Preis wurde 1976 von der Stadt Klagenfurt in Gedenken an die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gestiftet und wird seit 1977 jährlich während der mehrtägigen Veranstaltung „Tage der deutschsprachigen Literatur“ verliehen. Er gilt als eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum.

In einer dreitägigen Lese-Veranstaltung treten vorausgewählte Bewerber nacheinander an und tragen etwa 25 Minuten lang bislang unveröffentlichte Prosatexte oder Ausschnitte vor. Die Texte müssen im Original auf Deutsch verfasst sein.[1] Mit diesem Verfahren soll das Saalpublikum sowie insbesondere die Fach-Jury in Klagenfurt von der Qualität der vorgetragenen Texte überzeugt werden. Auf diese Weise werden jährlich die Preisträger des Ingeborg-Bachmann-Preises und anderer, im Rahmen der Veranstaltung Tage der deutschsprachigen Literatur vergebener Preise ermittelt.

Blumen für Olga MartynovaBlumen für Olga Martynova© Johannes Puch

08.07.2012Olga Martynova neue Bachmann-Preisträgerin

Ich werde sagen: ‚Hi!‘“

Die in Leningrad aufgewachsene Olga Martynova ist die Gewinnerin beim diesjährigen Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Sie erhielt den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis für ihren Beitrag „Ich werde sagen: ‚Hi!‘“. Die Jury prämierte damit den überzeugendsten Text, dennoch war die Escheidung knapp.

„Hätte Adam Eva geliebt, hätte er anders reagiert, als sie ihm sagte: ‚Schau eine Frucht. Koste mal, hat mir ein Kerl von nebenan gegeben.“ Diesen, vielleicht einprägsamsten Satz des Bachmann-Wettbewerbs 2012 hat Moritz verfasst, ein Teenager, der verliebt ist und ausprobiert, wie das geht: Schreiben – immer neue Sätze, Geschichten: „Hätte Adam Eva geliebt, hätte er sich gefragt: ‚Von was für einem von nebenan bekommt meine Frau Geschenke?’“ Olga Martynova hat diesen Moritz und seine Schreibübungen erfunden und sich dafür den Bachmann-Preis verdient.

© Johannes Puch

Als eine „Dichterwerdung aus dem Geist der Erotik“ feierte Juror Paul Jandl, den Text. Martynova nehme den Leser mit  „in die größte Provinz, die sich denken lässt, die des literarischen Einfalls“. Tatsächlich besticht das Kapitel aus Martynovas im Entstehen begriffenen neuen Roman „Mörikes Schlüsselbein“, der im kommenden Jahr bei Droschl erscheinen soll, als ein Mosaik, das sich aus immer neuen funkelnden Steinchen zusammensetzt. Moritz habe sie in dem Roman, der sich mit der deutschen Romantik beschäftigt, zunächst  nur als eine Nebenfigur konzipiert, verriet Martynova  im Gespräch mit boersenblatt.net. Nach und nach sei er ihr aber immer wichtiger geworden.

Olga Martynova bei der Präsentation ihres TextesOlga Martynova bei der Präsentation ihres Textes© Johannes Puch

Martynova war als Favoritin in die Abstimmung am Sonntag gegangen. Sie setzte sich jedoch nur knapp mit vier zu drei Stimmen gegen den in Polen geborenen Matthias Nawrat durch, der schließlich unter lauten Jubelrufen des Publikums zurecht den mit 10.000 Euro dotierten Kelag-Preis entgegennahm. Dabei war die Jury in der Beurteilung seiner Erzählung „Unternehmer“, die hineinführt in das Leben einer skurrilen Familiengemeinschaft im Schwarzwald, die mit dem Ausschlachten alter Elektrogeräte Geld verdient, uneins. „Die Latte wird sehr hoch gelegt, aber der Sprung geht dann woanders hin“, lautete der Einwand von Burkhard Spinnen, dem anfänglich die Fortschreibung des Textes als Geschichte jugendlichen Begehrens missfiel.

© Johannes Puch

Die beiden ersten Preise des Wettlesens gingen somit an Autoren, die nicht in Deutschland und nicht mit dem Deutschen als Muttersprache aufgewachsen sind. Das kann Zufall sein, möglich ist aber auch, dass die genaue Kenntnis unterschiedlicher Welten und die Beheimatung in zwei Sprachen sich im Schreiben besonders produktiv machen lässt. Martynova selbst, die eine strenge sprachliche Zweiteilung pflegt – Gedichte verfasst sie nur auf Russisch, Prosa hingegen auf Deutsch –, beurteilt es so: „Es ist ein Geschenk, die Welt von zwei Seiten anschauen zu können.“

Eröffnungsrede von Ruth KlügerEröffnungsrede von Ruth Klüger© Johannes Puch

Den haltbaren Satz im „Bimbam der Worte“ zu finden, dies hatte die Schriftstellerin Ruth Klüger in ihrer vom Kindle abgelesenen Klagenfurter Rede zur Literatur frei nach Ingeborg Bachmann gefordert. Kunst solle dafür sorgen, so hatte Bachmann gesagt, dass einem „die Augen aufgehen“. Man wird den diesjährigen Texten diesen Anspruch nicht absprechen können; beeindruckend etwa Inger-Maria Mahlkes souveräne und virtuose Inszenierung der zweifelhaften Karriere einer Frau, die ihre Anstellung in einer Backstube aufgibt, um sich in Latex gehüllt als Domina zu versuchen und am Ende ihren Sohn verlässt (Ernst-Willner-Preis). Auffällig war aber, dass sich die Wahrheitssuche häufig auf das begrenzte Feld von Kindheits- und Coming-of-Age-Geschichten  erstreckte, auf eine eher kleine Welt also. „Was erfährt man aus diesen Texten darüber, was 2012 passiert ist?“, fragte deshalb der Schweizer Kritiker Roman Bucheli im 3sat-Gespräch. Die ökonomische Krise blieb mithin vor dem ORF-Theater, dem Leseort in Klagenfurt, innendrin wurde die Nahaufnahme privater Befindlichkeiten bevorzugt: Gekonnt durchaus, wie etwa bei Lisa Kränzler, die in „Willste abhauen“ von einer sexualisierten Kindheit zwischen Lust und Gewalt erzählt (3sat-Preis). Oder bei Cornelia Travnicek, die ihre Ich-Erzählerin einen Hund begraben und von der Kindheit Abschied nehmen lässt – preiswürdig, fand das Publikum und votierte per Internetabstimmung für die Österreicherin (Publikumspreis).

Was bleibt von Klagenfurt 2012? Unter anderem vielleicht die Erinnerung an die Anfänge eines Schriftstellers, Moritz, und dessen anders erzählte Geschichte von Adam und Eva.  (Holger Heimann)