Doppelt interessant: Erstens der Lebensbericht einer ‚Selfmadefrau‘  
                                   zweitens der Zeitraum 1938 bis 1998

Wibke Bruhns ist eine der bedeutendsten deutschen Journalistinnen. 1938 wurde sie in Halberstadt geboren und verlor sehr früh ihren Vater, den Kaufmann Hans Georg Klamroth, der 1944 im Volksgerichtshof wegen Beteiligung am Hitler-Attentat  hingerichtet wurde. (Über ihn und dessen Zeit hat sie vor diesem Buch ein weltweit beachtetes veröffentlich!)

Es hätte schon gereicht, verfehmt zu sein; die Mutter Else Klamroth hatte allergrößte Mühe, sich und ihre Kinder zu ernähren und für gute Schulausbildung zu sorgen. Da ich selbst der gleiche Jahrgang wie die Autorin bin, kenne ich die Lebensverhältnisse in dieser Zeit nur zu gut. Es war für Familien ohne Väter – und nicht nur für die – ein Hindernisrennen auf allerprimitivstem Untergrund. Eigentlich war zunächst erstmal überhaupt nichts möglich. Ganz so schlecht (rückblickend betrachtet) auch wieder nicht: Wer da nicht unterging, war künftig unglaublich zupackend, zu persönlichem Einsatz bereit und umsichtig für Möglichkeiten und Chancen.Und vorbehaltlos kritisch und alles hinterfragend.

Überspringen wir hier nur ruhig ihre ‚Lehr- und Wanderjahre‘. Notgedrungen in Internaten aufgewachsen wurde  sie ungeheuer selbständig. Nach einigen ‚Stolperern‘ begann sie ein Volontariat bei der Bild-Zeitung, das sie aus politischen Gründen kündigte. .Vermerkt sei, dass sie auch für die ZEIT schrieb Dann aber gelang ihr der Wechsel zum Fernsehen – dem damaligen Fernsehen in den Babyschühchen – und nun wird es unglaublich interessant, weil man sehr viel aus dieser Zeit bislang einfach nicht gewusst hat! Man sollte das Buch nicht nur lesen – und tut es mit Spannung und Vergnügen – sondern auf aufheben für Nachkommende, die sich das alles Dank der plastischen Sprache von Wibke Bruhns nochmals richtig vorstellen können! (Bei ihrem Besuch in Halberstadt – ehem. DDR – bemerkt sie trocken: ‚War das sein Saustall!‘)

Sogar richtig berühmt wurde sie in jener Anfangszeit. Tatsächlich war sie die erste Frau, der es 1971 gestattet wurde, die Nachrichten beim ZDF im Fernsehen vorzulesen; nicht aber etwa, die Texte auch noch selbst zu schreiben. Es muss einen Sturm der Zuschauer gegeben haben; dies ging schließlich soweit, dass man den zu kleinen Busen der Vorleserin bemängelte.

Was auch immer passierte: Wibke Bruhns war mittendrin und ganz nahe am Zeitgeschehen und an den Persönlichkeiten, die die Geschichte prägten. Da waren die  Studentenproteste 1968, der Aufstieg und Fall Willy Brandts, die Guillaume-Affäre… Jahrzehnte hat man sich den Kopf darüber zerbrochen, ob sie wohl zu den ‚Favoritinnen‘ Willy Brandts gehörte, der wohl eine Neigung zum zarten Geschlecht hatte. Aber wir lernen (das mit der ‚Favoritin‘ war es nun mal nicht) Brandt und seine Frau Rut ganz privat kennen und jenen unsäglichen Guilliome, dem man dann Brandts Rücktritt zu verdanken hatte. Sie war Politpromi mit Günter Grass im Brandt-Wahlkampf und ist seither für die Fernsehzuschauer in Deutschland ein sofort erkennbares Gesicht, links, wie sie damals aussah!!

Als sie dann später zum STERN wechselte, war dort auch gleich wieder etwas Aufregendes los: DIE HITLERTAGEBÜCHER: Genussvoll kann man nun in gehörigem Zeitabstand nachlesen, welche von purer Geldgier erzeugten Aktivitäten, Geheimhaltungen, Intrigen im Hintergrund sich vollzogen, die nahezu es nahezu folgerichtig ermöglichten, dass die vermutlich größte Zeitungsente des letzten Jahrhunderts erste Schritte watscheln konnte!

Eben fand ich ein Interview mit Wibke Bruhn – das wird Sie interessieren:

Interview mit Wibke Bruhns


Ihr Vater wurde 1944 nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli in Plötzensee als »Verräter« hingerichtet. Er hinterließ eine Frau und fünf Kinder. Wie gelang es Ihrer Mutter Else, sich danach durchzuschlagen?
Es war schwierig, weil wir eine »Verräter-Familie« waren und von vielen gemieden wurden. Die Nazis hatten das Vermögen beschlagnahmt. Sie brauchte Unterstützung – auch finanzielle – von Freunden und Verwandten. Im Übrigen war es für sie nach dem Krieg so mühsam wie für alle Familien, die der Krieg gebeutelt hatte.

Sie haben den Journalismus von der Pike auf gelernt, haben Ihr Volontariat bei der Bild -Zeitung gemacht. Was war dort die prägendste Erfahrung für Sie?

Dass ich mir den richtigen Beruf ausgeguckt hatte. Ich hatte gute Lehrer in der Redaktion.

1971 wurden Sie die erste deutsche Nachrichtensprecherin – was Sensation und Skandal zugleich war. Hatten Sie geahnt, auf was Sie sich einließen?
Natürlich nicht. Ich war schon lange vorher auf dem Bildschirm präsent als Moderatorin. Dass dies etwas anderes sein sollte, war nicht vorherzusehen. Schließlich habe ich nur Texte vorgelesen.

Sieht man berufliche Bilder von Ihnen aus jener Zeit, sind Sie immer die einzige Frau, umringt von lauter Männern. Woran lag es, dass damals nur wenige Frauen den Journalistenberuf ergriffen?

Frauen im Fernsehen wurden als Ansagerinnen und in der Unterhaltung als »Assistentinnen« eingesetzt. Aber bei den Printmedien gab es schon eine Reihe Frauen.

Sie haben zwei Töchter. Wie gelang es Ihnen, Job und Privates unter einen Hut zu bringen?
Mit wenig Schlaf.

1972 engagierten Sie sich im Wahlkampf für Willy Brandt. Wie haben Sie die damalige Zeit empfunden?
Als sehr lebhaft und hoch spannend. Es hat Spaß gemacht, weil so viele Leute dabei waren. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft.

Von 1979 bis 1984 arbeiteten Sie als politische Korrespondentin für den Stern in Israel. Welches Ereignis aus dieser Zeit haben Sie besonders in Erinnerung?
Den ersten Libanon-Feldzug 1982. Das Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila.

Sie haben praktisch alle politischen Akteure der Bundesrepublik persönlich kennengelernt – wer hat Ihnen am meisten imponiert?

Willy Brandt.

Und wer hat Sie am meisten überrascht?
Günter Guillaume – wer hätte gedacht, dass der ein Spion war?

Ihr Buch trägt den Untertitel »Meine unfertigen Erinnerungen« – warum?
Ich bin noch nicht fertig, ich habe noch was vor im Leben.
Liebe Frau Bruhns, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Doch ihre Leidenschaft war die politische und niemals unkritische Berichterstattung. Was auch immer passierte: Wibke Bruhns war mittendrin und ganz nahe am Zeitgeschehen – und an den Persönlichkeiten, die die Geschichte prägten. Ob die Studentenproteste 1968, der Aufstieg und Fall Willy Brandts, die Guillaume-Affäre, der Skandal um die vermeintlichen Hitlertagebücher, die Auseinandersetzungen im Nahen Osten, die Gipfeltreffen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow oder der Mauerfall – Wibke Bruhns’ Erinnerungen sind das Zeugnis eines ungewöhnlichen, illustren Lebens und ein bestechend frischer Blick auf die Geschichte unserer Zeit.

 

Ich habe oben den Begriff SELFMADEFRAU verwendet: Das sind in meinen Augen jene, die es mit buchstäblich nichts als sich selbst zu ‚etwas‘ gebracht haben und auf ein erfülltes Leben zurückblicken können. Ihre zwei Töchter musste sie – wie seinerzeit auch ihre Mutter – als ‚Alleinerziehende‘, wie das heute so schön heißt, nicht bloß durchbringen. Nicht freiwillig: Ihr Mann starb nach nur zwölf Jahren Ehe.

Drum möchte ich mir wünschen,  dass dies Buch auch von den zahlreichen ‚Alleinerziehenden‘ gelesen werden möge. Frauen werden vor allem aus diesen Grund unter Wert gehandelt: Weil sie sich unter Wert handeln lassen, statt zu handeln!

INGEBORG GOLLWITZER

 

Autorenportrait


Wibke Bruhns, Jahrgang 1938, aufgewachsen in Internaten. Abbruch eines Volontariat bei der Bild-Zeitung aus politischen Gründen. Sie schrieb für die Zeit und wechselte zum Fernsehen, wo sie 1971 als erste Frau vor die Kameras von „Heute“ trat. Nach 1973 Produktion von Beiträge für Panorama. Für den Stern Korrespondentin in Israel und Washington. Auszeichnung mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, 2006 mit dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis. Heute ist Wibke Bruhns freie Autorin.

 Bruhns, Wibke :   Nachrichtenzeit .  
Meine unfertigen Erinnerungen .   2012 .   417 S.   m. zahlr. Fotos .   .  
978-3-426-27562-7     
Droemer/Knaur –     GEB        22.99 EUR