Was uns Werte wert sein müssen oder: Vom ungeheuerlichen Betrug weltweit!

Ulrich Wickert ist ein ‚altmodischer‘ Mensch. 1942 geboren hat er noch das, was für viele heute ein Märchen ist, gelernt: Man muss gerade stehen für das, was man tut. Man muss sein Gewissen erforschen, ob etwas richtig ist oder nicht. Auch das Märchen vom ‚ehrbaren Kaufmann‘ hat er im Kopf.

Allerdings war damals die Welt noch viel kleiner: Man überblickte nur die, mit denen man in Kontakt kam: ehrsame Leute allesamt. Damals war die Welt ja noch so klein: Erst und vor allem in Zeiten des Internets, der recherchierenden Journalisten kommt schließlich (aber nur fast) alles heraus: Bestechung, Schmiergeld, die Parallelwelt der Banker, Geldwäsche.

Schmiergeld und Korruption wird es schon immer gegeben haben: Eigentlich ist der ja dumm, der solches Geld nicht annimmt – Hauptsache, es kommt nicht heraus. Freilich: Wenn es herauskommt, drohen oft empfindliche Strafen. Aber ob alles herauskommt? Ein Glücksspiel, das sich letztlich wohl zu lohnen scheint. Dass aber beim Schmiergeld, das ja in die Verkaufspreise eingerechnet werden muss, Milliarden verloren gehen – es scheint niemand zu stören. Vielleicht liegt das an den unvorstellbar hohen Summen, um die es dabei geht. Im Bau, im Rüstungsgeschäft usw. Haben da weder die Schmierenden oder die Geschmierten kein Gewissen? Vermutlich denken sie ja gar nicht darüber nach: Tun sie’s nicht, tut’s eben ein anderer. Der Geschäftsabschluss ist das Ziel – sonst zählt nichts.

Ich habe die Fälle, die Ulrich Wickert in seinem Buch aufzählt, nicht addiert: Insgesamt geht es in Billionenbeträge – d.h. Zahlengrößen, die man sich normalerweise nicht vorstellen kann.

Das zeigt schon die Befragung der Abgeordneten bei der Abstimmung zum Rettungsschirm: Wie hoch die Summe sei, die dabei auf Deutschland zukäme? Die Befragten wussten es nicht. Hatten sie nicht gefragt? Oder waren sie gewohnt, über etwas abzustimmen, was sie sich ohnehin nicht vorstellen können?

Dass aber Betrug – um den es ja überall geht, ganze Regierungen und Regionen ins Wackeln bringen können, zeigt sich jetzt, nur drei Jahre nach der letzten Finanzkrise: Überall wird und wurde mehr ausgegeben, als vorhanden war. Für das nicht Vorhandene nahm man Kredite auf. (Und jetzt versucht bei uns die unsägliche FDP, ihr Steuersenkungsprogramm durchzusetzen statt die Staatsschulden schleunigst zu drücken. Aber wer wer ist das wohl, für den die FDP sich stark macht? Doch wohl sicherlich nicht die Kleinen und Mittleren, für die eine mögliche Steuersenkung nicht mal so viel ausmacht, dass sie davon Essen gehen könnten.  Die ‚Kleinen‘ sind nur das Feigenblatt. Das aber ist noch kein Betrug – wohl aber eine Gewissensfrage.Aber die vielen klein-Ermässigungen summieren sich zu Millionen – von denen nur die höheren Einkommen wirklich etwas haben.)

Bei der Vereinigung Europäischer Staaten hat man versäumt, oder es auch anfangs gar nicht bedacht: Wenn man Länder in ein Gefüge wie Europa mit einer gemeinsamen Währung zusammenschließen will gehört dazu auch ein überregionales Finanzmanagement. Blauäugig ist man von ‚ehrsamen‘ Regierungen ausgegangen. Missmanagement in Griechenland: Die haben nicht einmal ein Katasteramt: Der Staat weiß nicht, wer wo und wieviel Grundbesitz hat. Wie will er das besteuern? Jetzt trifft es zuerst mal die ‚Kleinen‘, die man überblicken kann.

Das größte Problem, das Wickert beschreibt, nennt er die ‚Parallelwelt der Banken‘. Das hat sich ein neues, allgemeines Selbstverständnis entwickelt, dass sich ganz vom Boden aller Realitäten entfernt hat. Vermutlich sind es da die unglaublichen Summen, die für einen normalen Menschen nicht mehr nachvollziehbar sind, die eben nicht darin münden, bestimmte Praktiken und Modelle schlicht und einfach nicht nur zu besteuern, sondern ganz einfach zu verbieten. Was hier von deren Computern ‚erwarbeitet‘ wird, die im Millisekundentakt Ergebnisse registrieren und beantworten: Es ist tatsächlich ‚unmenschlich‘: Sie ermitteln, was´und wo ge- und verkauft, getrixt und wohl auch betrogen wird mit Geldern der Bank. die aber eben nicht der Bank, sondern deren Kunden gehören. Da werden Anleger zum Anlegen in  ‚Fonds‘ verleitet, die schon nach kurzer Zeit den Bach runter gehen – und mit ihnen die ’sicheren‘ Anlagen von Millionen Kunden, die etwas für ihre Alterssicherung bzw. für ihre Kinder anlegen wollten. Wenn aber eine Bank plötzlich insgesamt pleite geht – dann müssen Steuergelder her, um den Zusammenbruch zu verhindern. Zuerst war es die angesehene Lehmanns Bank, die vor drei Jahren weltweit die Geldinsitute das Fürchten lehrte. Damals schon wurde gefordert, rigide in das Treiben dieser ‚Parallelwelt‘ einzugreifen – ich weiß nicht, was geschehen ist – vermutlich fest nichts. 

All diese Verhältnisse greift Wickert in seinem Buch an. Er fordert,’altmodisch‘ wie er ist, dass in der Erziehung und Ausbildung, in Lehre und Studium nachdrücklich und vermehrt die Achtsamkeit auf moralische, ethische Grundtugenden gelernt und – begriffen werden muss. Letzlich sind diese bestimmend für den Zusammenhalt der Welt. Überall.

Er fragt:

Ist es bloße Gier, die Menschen dazu bringt, zu lügen, zu betrügen und irrezuführen? Kam es deshalb zur größten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg?

Werden Banker zu Recht als Gauner verurteilt? Ulrich Wickert nennt die Schuldigen beim Namen und fordert, endlich Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.

Ulrich Wickerts wichtigste Botschaften lauten: Wir müssen lernen, dass überall in der Welt, so auch in der Wirtschaft, nur diejenigen langfristig Erfolg haben, die ethische Werte kennen und ihr Handeln daran ausrichten.

Und: Wir müssen den Werten wieder einen Wert geben; Anstand, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und Solidarität sind Grundpfeiler des Zusammenlebens.

Mit aufrüttelnden, aber auch komischen Beispielen erklärt der Autor, warum es für uns alle – für den ganz normalen Bürger wie auch für Konzernlenker oder Banker – wichtig und unerlässlich nützlich ist, sich nach moralischen Werten zu richten.

Im Ton ironisch distanziert, in der Sache kenntnisreich und engagiert beschreibt Wickert die Krise und weist einen Weg in die Zukunft.

Auf den ersten Seiten hat mich die viele Moral Wickerts gestört und beirrt. Nun habe ich das Buch in einem Zug fertig gelesen und wünsche ihm viele Leser!

Ingeborg Gollwitzer

Nicht unwichtiges PS: Ich hatte diese Rezension schon fertig – jedoch noch nicht im Blog – und dann kam Wulff!!  Wir sollten in diesem Fall ein Wort neu interpretieren: Un-Recht. Un-recht ist, wenn etwas nicht Recht ist. Vermutlich hat Wulff, alles was man ihm vorwirft , so haarscharf auskalkuliert, dass man ihm einen Rechtsbruch nicht vorwerfen kann. Er war ein bisschen im UN-Recht, im feinen Raum zwischen-und. Wir haben gelernt, dass wir auch das Un-Recht in unserem Denken und Handeln verankern müssen. Vielleicht wird man ihn später aus ’schlau‘ bezeichnen. Darüber kann er dann in seinem ‚Ehren’sold nachdenken.

Zum Autor: Ulrich Wickert, geboren 1942 in Tokio, studierte in Deutschland Jura und in den USA Politische Wissenschaften. Von 1977 bis 1991 war er ARD-Korrespondent in Washington, New York und Paris, von 1991 bis 2006 moderierte er die Tagesthemen . 2005 wurde Wickert in Frankreich zum Offizier der Ehrenlegion und 2006 zum Sekretär der Académie de Berlin ernannt. Er lebt in Hamburg und Südfrankreich, wo er neben Kriminalromanen auch politische Sachbücher schreibt.

Buch

Wickert, Ulrich :   Redet Geld, schweigt die Welt .  
Was uns Werte wert sein müssen .   2011 .   205 S.  978-3-455-50224-4     – Hoffmann und Campe –     19.99 EUR