Deutschland schafft sich abWie wir unser Land auf’s Spiel setzen

Nachdem sich unzählige Personen – die das Buch noch galr nicht gelesen haben konnten – über dieses Buch (im negativen wie im positiven Sinne) erregt haben, kann ich Ihnen, nach wirklich gründlicher Lektüre, meinen Eindruck weitergeben.

Das Negative – worauf ja hier nun viele vermutlich warten – gleich zuerst: Tatsächlich könnte beim flüchtigen Leser (oder dem Leser via „Hören-Sagen“, von denen es ja bekanntlich viele gibt) der Eindruck entstehen, dass hier „rasssenpolitische“ Überlegungen eine besondere Rolle spielen. Und ich kann auch verstehen, dass gerade angesichts unserer spezifischen deutschen Vergangenheit viele irgendwie das dumpfe Gefühl haben, dass sich hier etwas Vergleichbares dazu anbahnen könne, wogegen man sich prinzipiell wehren müsse.  Denn auch schon vor unserer so unsäglichen Geschichte mit dem entsetzlichen „1000-Jährigen Reich“ spielte die damals gerade (wieder-)entdeckte die Rolle der Genetik eine nicht geringe Rolle. Wenn man die damaligen Verlagsverzeichnisse der medizinischen Verlage durchgeht, ist da viel von „Rasse“, Verbesserung der Rasse“ etc. die Rede. Damals fand man „das Nordische“ sei die Krönung. Aber das nun am Rande.

Bei Sarrazin geht es nicht um eine Verbesserung irgendeiner Rasse, sondern er beschäftigt sich mit der Genetik einer bestimmten Bevölkerungsgruppe und kommt zu dem nicht aufrechtzuerhaltenden Ergebnis, dass hier ein geringerer Intelligenzgrad immanent sei und der auch noch genetisch bedingt. Glücklicherweise ist Sarrazins Buch wirklich vorbildlich gründlich: Bei allem, was er aufführt, gibt er auch die Quellen an, dank derer er zu bestimmten Erkenntnissen gelangt ist. Also, das mit der Genetik hätte er besser gelassen: Es ist völlig unhaltbar und die Arbeiten, auf die er sich bezieht, waren von Anfang an umstritten bzw. sind längst überholt. Überhaupt sollte, wer nicht eingehende praktische Erfahrungen hat mit der Anwendung von genetischen Unterlagen bitte lieber die Finger davon lassen – da weiß bereits ein Abiturient einiges besser. Vor allem aber ist es auch das mit der „Intelligenz“, d.h. deren Messbarkeit. Bislang ist jedenfalls noch nirgendwo eindeutig festgelegt worden, aus welchen Merkmalen Intelligenz eigentlich besteht – also kann sie auch nicht verglichen werden.

Aber lassen wir diesen unsäglichen Teil des Buches einmal weg – vergessen Sie ihn einfach.

Spätestens seit seiner Berliner Zeit ist Sarrazin der Umgang mit den Zahlen mehr als vertraut. Er weiß, wo es – nicht gerade jetzt erst – hinten und vorne nicht langt (auch da, wo es mehr als dringend notwendig wäre.) Und das ist das Lesenswerte dieses Buches: Sie werden vor unseren Augen regelrecht aufgetürmt, die Millionen und Milliarden, die zur Aufrechterhaltung unseres Gemeinwesens hin und her geschichtet werden (müssen)!

Wenn jetzt, bei der Bundesstagsdebatte, darauf hingewiesen wird, dass die „Reparatur“ unserer Finanzen gerade auf Kosten der eigentlich Armen erfolgen soll = so ist das ein ebenso billiger wie sich bevorzugt der Regierung anbietender Komplex, weil gerade dort die höchsten Aufwendungen fällig werden. Wenn Sarrazin die Bevölkerung in drei „Schichten“ unterteilt, ist es bevorzugt die „untere“,  für die tatsächlich ungemeine Kosten sich auftürmen. (Hinzu kommen die  Kosten für die auf den Kopf gestellte Alterspyramide, die von unten, der viel schmaleren Spitze aufgebracht werden müssen.) Nun sind – gerade „unten“ -, wozu Sarrazin das Zahlenmaterial liefert, auch ein großer Teil der Imigranten. Als wir in den 60er Jahren Fremdarbeiter dringend brauchten, holte man sie herbei – und war ziemlich unbekümmert, was deren Integration anbelangte. Wer schon damals kritisch ein Versäumnis anmerkte, wurde wohl wenig beachtet.

Nun aber erleben wir in Europa etwas wie eine regelrechte Völkerwanderung in westliche Länder, mit offensichtlich einem muslimischen Schwerpunkt. Das wird von Sarrazin in Zahlen belegt – aber wie geht man mit einer Völkerwanderung um? Völker haben nie ohne Not ihre angestammte Heimat verlassen. Es gehört Mut dazu und die Aussicht auf ein „Gelobtes Land“. Und Sarrazin bemängelt den Umstand, dass es hier vielen Einwanderern – selbst wenn sie in Hartz4 Bedingungen leben, immer noch besser geht, als in der verlassenen Heimat. Und er bemängelt, dass es gerade dieses „Hartz4-Wohlleben“ ist, dass eigene Anstrengungen von vielen gar nicht als für notwendig erachtet werden. Allerdings geht einem bei diesen Ausführungen, so beweiskräftig sie auch auf den ersten Blick zu sein scheinen, nachdenklich durch den Kopf, auf wessen Schultern die aufzubringenden Anstrengungen eigentlich verteilt werden müssten. Ein auf den ersten Blick sinnvoll erscheinender Weg scheint sich zu bieten, wenn man z.B. Familien, deren Kinder nicht regelmässig zur Schule gehen, beispielsweise das Kindergeld beschneidet. Jedoch erhebt sich im Hintergrund die Frage, warum manche Kinder von sich aus den Schulbesuch zu vermeiden versuchen. Warum in den Familien der Schulbesuch der Kinder nicht unbedingt oberste Priorität hat. Wo wurde das was vom wem versäumt???

Nun versetze man sich einmal selbst an die Stelle einer derartigen Familie: Sie kommen hier an – und jede Verständigung mit der einheimischen Bevölkerung ist gänzlich unmöglich. Glücklicherweise wird aber eine, wenn auch geringe Existenzgrundlage gezahlt – sie müssen weder hungern noch frieren. Hat aber irgendeine Stelle mit dieser Geldzuwendung gleichzeitig die strikte, zeitlich determinierte Forderung gestellt, dass sie, die Erwachsenen,  umgehend die deutsche Sprache erlernen müssen? Dass ihre Kinder in einen Kindergarten müssen, zusammen mit deutschen Kindern – aber nicht mal für deutsche Kinder gibt es ja derzeit genügend Kindergartenplätze. Besonders in den Ballungsgebieten ist der Imigrantenanteil hoch. Nun kommt ein der Sprache nicht mächtiges Kind in die Schule … es muss für sie etwas dem Fegefeuer Ähnliches sein: Sie sind mehr oder weniger verdammt, zu den ewig Letzten zu gehören. (Die Eltern können auch nicht helfend eingreifen.) Schuleschwänzen – eine logische Folge, zugleich aber die Wurzel von noch mehr Schulversagen. In meinen Augen verwunderlich, dass nicht noch mehr Jugendliche mit derartigem familiären Hintergrund, von 10 Jahren aufwärts, negativ bis kriminell auffallen: irgend woher müssen sie ja eine Art Selbstbewusstsein speisen. Dass die Verfolgung von kriminell gewordenen Jugendlichen viel schneller erfolgen muss, hat bereits Kirsten Heisig gefordert. Nicht die Rache/Strafe ist dabei das Motiv, sondern eine Möglichkeit rechtzeitigen Eingreifens.

Auch das hat Sarrazin richtig beobachtet: Die Schüssel auf dem Dach ermöglicht, dass sich Menschen, die sich bei uns nicht richtig einleben und heimisch werden können, sich via Satellit von daheim die alte Heimat, die vertraute Sprache vors Sofa holen. Man kann sich also in bestimmten Bereichen zuhause fühlen – ohne gleichzeitig in der Fremde schwere Not leiden zu müssen.

Hätte aber Sarrazin diese, unsere Verhältnisse in milderem Ton geschildert- kaum jemand hätte ihn beachtet. Sein Fazit ist, dass wir sozusagen von unten nicht nur „aufgefressen“ werden, sondern – dass Dank des negativen Bevölkerungswachstums in Deutschland – immer weniger Kinder kommen zur Welt – der  Anteil der vermehrungsfreudigen Zuwanderer diese womöglich – bevölkerungsmässig –   sich zur Überzahl entwickeln könnte und obendrein noch von uns unterhalten werden müsste.

Ein nachdenklicher Leser dieses Buches wird die Lektüre am Ende positiv bewerten. Es hat eine – mehr als überfällige – Diskussion in Gang gesetzt und zwingt die Politik (endlich) ihre Hausaufgaben zu machen. Eine Bundeskanzlerin rudert – nach ersten unvorsichtigen Bemerkungen – wieder zurück. Ein Bundespräsident blamiert sich (er kann das Buch zum Zeitpunkt, wo er gefordert wurde, noch gar nicht gelesen haben) und setzt seine Juristen in Gang. Eine Bundesbank wird ihren ohnehin ungeliebten „Obersten“ los und entgeht knapp dem Vorwurf Zensur (eines von allen noch ungelesenen Buches) und daraus folgendem Berufsverbot begangen zu haben; Meinungsfreiheit hat aber in Deutschland grundgesetzliche Priorität.

Eigentlich MUSS jeder, der an der nun überall geführten Diskussion teilnehmen will, zuallererst das Buch, das alles ausgelöst hat, selbst lesen. Es sind übrigens auch lesenswerte autobiographische Abschnitte darin – dort nämlich, wo Sarrazin das eigene Sitzenbleiben und sein damaliges kindliches Denken schildert und wo er die Bedeutung von besonders Elternhaus und Schule beschreibt. Die Bedeutung von angestammter, von Generation zu Generation weitergegebener Kultur, von der die meisten gar nicht genau wissen, was ihnen alles damit weitergegeben wird – ohne groß darüber zu reden.

Es ist auch die Menge an Zahlen und Fakten die wir hier finden und die man so oder so, vielleicht auch wie Sarrazin oder auch anders auslegen kann. Wenn wir schon so unglaublich intelligent im Vergleich mit anderen sein sollen – beim Lesen dieses Buches sollten wir das auch anwenden. Erstmal lesen – bevor man in das eine oder andere Horn stößt.

Eine Freundin von mir, pensionierte Lehrerin, bringt seit vielen, vielen Jahren Kinder aus tamilischen Familien durch die Schulzeit und – trotz all der dort unzweifelhaft vorhandenen Defizite – ohne „Hängenbleiben“ bis zur Mittleren Reife. Sie geht milder mit diesen Gegebenheiten um, als sie es zu der Zeit tat, als in ihren Klassen Schüler mit migrantischem Hintergrund Komplikationen bereiteten. Die Frage, woher „die“ das alles eigentlich wissen sollen, steht immer mehr im Raum.  Mich allerdings treibt dabei die Frage um, wieviel pensionierte Lehrer (oder vergleichsweise andere Gebildete mit Zeit) wir wohl bei uns finden könnten, die derartige Ammendienste übernehmen könnten. Ich frage mich auch, angesichts der Klagen der Lehrer, die vor Klassen mit hohem oder überwiegenden Migrantenanteil stehen, ob diese Lehrer eventuell überhaupt nicht im vorhinein für die spezielle Aufgabe ausgebildet worden sind. Wir propagieren Religionsfreiheit – auch in anderen Ländern, in denen christliche Kirchen nicht einmal gebaut werden dürfen. Was wir aber besonders bei muslimischen Familien anprangern ist deren „Kopftuchzwang“, der das in unseren Augen  schreckliche hierarchische Gefüge muslimischer Familien dokumentiert. Es ist oft entsetzlich, was sich dort abspielen muss bei der Stellung der Frauen und Töchter. Eine Änderung dieser Strukturen wird sich aber nur mit der Integration derer, die für den Erwerb des Familieneinkommens zuständig wären, nach und nach durchsetzen. Nur dies wird verhärtete Strukturen aufweichen und zu einem besseren Verständnis der neuen Lebensumwelt führen. Und der Dreh- und Angelpunkt ist das Erlernen der Sprache der Welt, in der man nun zu leben beschlossen hat.

Es scheint – soweit man das wenige Wochen nach Erscheinen des Buches feststellen kann – nicht zu der befürchteten Schlammschlacht und Spaltung der Bevölkerung in „intelligent“ oder „anders“ zu führen. Um es auf den Punkt zu bringen: Es stellt – teilweise sofort ad absurdum zu bezeichnende Behauptungen auf; aber die anderen, ebenso aufgestellten BEHAUPTUNGEN scheinen sich – glücklicherweise – zu FRAGEN zu mutieren – vielleicht ist dies selbst für den Verfasser ein überraschendes Ergebnis – FRAGEN, die sich ein nachdenklicher und gründlicher Leser unwillkürlich stellen MUSS …

Mir hat das Buch viel Stoff zum Nachdenken geliefert und (anders als vereinzelte Berufskollegen) „wage“ ich nicht bloß, dieses Buch „zu führen“, sondern auch zu seiner Lektüre anzuregen. Es ist – nur am Rande – auch hervorragend geschrieben.

Ganz am Ende meiner Betrachtung möchte ich aber ein anderes, mehr als drängendes Problem und leider auch Faktum zur Sprache bringen, dass sehr wohl ebenfalls  in Sarrazins Buch nachzulesen ist und einen Abschnitt daraus zitieren:

„Neben den ‚klassischen‘ bildungsfernen Schichten wachsen bildungsferne Mittelschichten heran. Auch in Akademikerhaushalten wird immer weniger gelesen. Dies hat Folgen auch für deren Kinder, denn Lesekultur bei Kindern entwickelt sich durch das Vorbildverhalten der Erwachsenen. Ein Viertel der Deutschen liest überhaupt keine Bücher; der Anteil der Eltern, der seine Kinder für Bücher zu begeistern versucht und ihnen ein Vorbild liefert, indem er selbst regelmässig liest, hat sich in zehn Jahren von 50 auf 25 % halbiert, und die Hälfte der Sechs- bis Dreizehnjährigen sagt, dass sie ’nie‘, ‚gar nicht gern‘ oder ’nicht so gern‘ liest. (…) Eine unverbindliche Liberalität wird vorgelebt, die der Bequemlichkeit der Erwachsenen entgegenkommt, während sie die Kinder und Jugendlichen mit sich selbst alleine lässt. (…) „

Gegen das sich an diesen Abschnitt anschließende Kapitel über das Lernen selbst  werden viele überhaupt nichts einzuwenden wissen – es ist in vielem mancher der unzähligen Schulreformen voraus, denn es redet sowohl von der Notwendigkeit der Zuwendung – wie auch von der aufzubringenden Disziplin … und von der überall notwendigen Motivation.

Nach meinen eigenen beruflichen Erfahrungen ist es inzwischen sozusagen die vierte Generation, in der nachweislich viele Kinder in Familien aufwachsen, in denen es kaum oder sogar keine Bücher gibt. Dass darüber viel zu wenig bis kaum gesprochen wird, erfüllt mich immer wieder mit Entsetzen.

Damit möchte ich hier schließen – wenngleich noch sehr viel zu sagen wäre. Sie wollen wissen, ob sich die Investition an Geld und Lesezeit in dieses Buch „rentiert“ – was ich hier mit einem klaren „JA“ beantworte.

Erfreut konnte ich in einem Kommentar des Blogs zu einem vorherigen Sarrazin-Beitrag feststellen, dass hier ein Link zu einer ausführlichen Sarrazin-Debatte angegeben ist.

Es ist Zeit zum Nachdenken und zum Handeln in die richtige Richtung.

Ingeborg Gollwitzer