Der Krieg um das Heilige Land – erstmals dargestellt aus christlicher und aus muslimischer Sicht

Die Kreuzzüge kennt als Begriff nahezu jeder. Für viele ist es der Begriff für Auseinandersetzungen zwischen Vertretern des Westens und der muslimischen Welt. Andere wieder meinen darauf hinweisen zu müssen, dass die Christen sich dabei nicht unbedingt von ihrer besten Seite gezeigt hätten: Von wegen: ‚Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst …‘ Das Neue an diesem Buch ist besonders interessant: Erstmals wird diese Epoche sowohl aus christlicher als auch aus muslimischer Sicht geschildert.

Dank der verschiedenen Karten in diesem Buch kann man sehr viele Etappen aus der Zeit nachvollziehen: Sehr stark beeindrucken dabei zunächst mal die Entfernungen, die viele der Beteiligten auf ihrem Weg zum Ziel zurückzulegen hatten: zu Fuß, zu Pferd oder per Schiff. Und das mit enormem ‚Gepäck‘!

Der Begriff ‚Kreuzzüge‘ wird ja auch gegenwärtig immer wieder gebraucht, um einen besonderen Kampf für oder gegen etwas zu bezeichnen: Aber ist das ein ‚Kreuzzug‘? An diesem Buch hat der Verfasser gut sechs Jahre gearbeitet und nicht nur das bekannte Quellenmaterial gesichtet, sondern – und das ist neu – auch die früher unbekannten Unterlagen auf muslimischer Seite hinzugezogen. Und damit bekommt ein eigentlich als ‚trocken‘ bezeichnete, geschichtliches Thema ein unglaubliche Lebendigkeit: Denn jetzt erleben Sie mit, wie sich wer auf welche Seite für die schweren kriegerischen Auseinandersetzungen vorbereitet und gewappnet hat. Natürlich war es für beide Seiten etwas ‚Heiliges‘ – aber zu den vielen bekannten Namen auf europäischer Seite kommen nun die ‚Helden‘ auf der muslimischen hinzu: Und zwar so, dass man sie fast vor sich zu sehen meint:

Diese große Gesamtdarstellung nimmt die politischen und religiösen Beweggründe aller Seiten ernst und veranschaulicht die immense Kriegslogistik. In den Text eingebunden sind spezielle Karten: Palästina und südlicher Libanon; Erster Kreuzzug ins Heilige Land; Nordsyrien; Antiochia, Jerusalem; Die Kreuzfahrerstaaten im frühen 12. Jahrhundert; Ägypten; Die Schlacht von Hattien 1187; Die Belagerung von Akkon während des drittten Kreuzzugs; Der Marsch Richards I. Löwenherz von Akkon nach Jaffa 1191; Der dritte Kreuzzug. Routen nach Jerusalem; Die Kreuzfahrerstaaten im frühen 13. Jahrhundert; Das Nildelta; Mamlukken und Mongolen im Jahr 1260.

Ich kann Ihnen versprechen: Wenn Sie das Buch ordentlich von Seite 1 angefangen haben zu lesen, werden Ihnen die eben genannten Stichworte bald sehr viel sagen. Eigentlich aber werden Sie verstehen: Es sind Menschen, die dort für etwas kämpfen, das ihnen vielleicht in der Gegenwart, ganz sicher aber nach ihrem Tod absoluter Gewinn sein wird: Dann nämlich, wenn sie ihr Leben als Märtyrer hingegeben haben, ist ihnen die Vergebung der Sünden sicher – denn das Leben als Christi Krieger sollte deren Seele reinigen. Man erfährt auch, welche große Rolle der Begriff ‚Sünde‘ im Mittelalter hatte. Auch die Päpste mussten sich mit der Interpretation beschäftigen, warum Kriege für die eigentlich friedfertigen Christen gerechtfertigt seien. Aber: „Die Kreuzfahrer kämpften in einer Atmosphäre glühender Frömmigkeit, sie wurden unterstützt und gestärkt von Priestern, die in ihren Reihen mitliefen, sangen und Gebete sprachen.“

Ach,wieviel Politik stand neben aller Frömmigkeit – hinter diesen Kriegen: Es ging nicht darum, Muslime zu bekehren, aber es wurde als unerhört erklärt, dass Muslime das Heilige Land und die Heilige Stadt Jerusalem beherrschten.

Auf der anderen Seite  Mohammed, bzw. in seinem Koran,  ging es zunächst darum, die polytheistischen Araber Mekkas und des umliegenden Hedschas (an der Westküste der Arabischen Halbinsel )  zum monotheistischen Islam zu bekehren. Der Islam (=’Unterwerfung unter den Willen Gottes‘) hatte gemeinsame Wurzeln mit dem Judentum und dem Christentum. (Ehrlich gesagt, kann ich mir jetzt, im 3. Jahrtausend überhaupt keine religiösen Differenzen zwischen diesen Religionen mehr vorstellen, die sich nicht beseitigen lassen könnten. Aber es geht wohl um Geld und Macht – da jedoch scheint vor allem Vernunft keinen Platz zu haben!)

Zur Zeit der Kreuzzüge war Jerusalem die drittheiligste Stadt des Islam nach Mekka und Medina. Jedoch hätte der Islam wohl bald ganz Europa überflutet, hätte er nicht selbst eine gefährliche Wunde gehabt: Die hartnäckige, verbitterte religiöse und politische Spaltung. „Im Kern ging es um Kontroversen wegen der Rechtmäßigkeit der Kalifen, der Nachfolger Mohammeds, aber auch um die Interpretation von dessen ‚Offenbarungen‘.“

Das wirklich Wunderbare an diesem Buch ist, dass wir nun beide Seiten – nahezu persönlich – kennen, verstehen und – zu schätzen lernen. Es umfasst die gesamte Kreuzfahrerzeit von der Entstehung des Kreuzfahrergedankens um 1095 bis zum Fall der Festung Akkon im Jahr 1291. Zu Wort kommen beide Seiten: nämlich die Perspektive der Christen wie der der Muslime. Damit lernen wir auch die Namen der muslimischen Streiter und Helden kennen: Zunächst sind sie uns fremdklingend, dann immer vertrauter. Vor allem verlernt man parteiisch zu denken, zu wünschen und zu fühlen: Auf beiden Seiten stehen sich wirklich große Persönlichkeiten gegenüber. Auf beiden Seiten werden unerhörte Grausamkeiten begangen, wie auch solche erlitten. Im Namen von Glauben, Torheit, Mut, Habgier und Hoffnung.

In erstaunlichen und packenden Szenen schildert Asbridge all die Belagerungen und Eroberungen und entwirft lebendige Porträts von Saladin und Richard Löwenherz, dem tragischen Leprakönig Balduin IV. oder der Jerusalemer Königin Melisende.

Eins allerdings fehlt in diesem Buch: Abbildungen der seinerzeit üblichen Waffen. Ich kann es jedem nur sehr ans Herz legen, sich diese aus dem Internet zu holen und beim Lesen dabei zu haben. Dann  versteht man erst richtig, welch gewaltige technische Leistung es war, vor einer Festung alles zu deren Erstürmung aufzubauen und welche Vorkehrungen man von innen zu seinem Schutz treffen musste.

Auch die genauen Entfernungen werden einem nicht immer angegeben, aber wenn eine Kriegsflotte von Europas Norden her die arabische Halbinsel umrunden muss, um schließlich vor Ort zum Einsatz zu gelangen – da kommt schon einiges zusammen. Insgesamt grenzt es an Wunder, wie dort – so grausam auch alles gewesen ist – Kriege geführt wurden. Ob allerdings ‚der Glaube‘ in allererster Linie den Einsatz auslöste, mag man leise anzweifeln: Zu viele, ganz und gar weltliche und umweltbedingte Ereignisse spielten da eine nicht geringe Rolle. Und in Europa war das Mittelalter das Zeitalter der Angst; das haben gar viele auf ganz unchristliche Weise weidlich ausgenutzt. Eigentlich auch hätten die Machthaber Europas schon genug mit den Gemetzeln, die innerhalb Europa stattfanden, völlig ausgelastet sein können.

Ausführlich macht der polyglotte Historiker in diesem Buch aber Gebrauch auch von den arabischen Quellen. Asbridge nimmt nicht nur die politischen, sondern auch die religiösen Beweggründe aller Seiten ernst und macht sie verständlich. Natürlich können es aber einige Rezensenten (jenen die immer ein Haar in der Suppe zu finden meinen müssen) nicht unterlassen, auf die Kreuzzüge Runcimans zu verweisen. Das ist so, als ob es sich verbiete, wenn es ein hervorragendes Buch zu einem Thema gibt, dass künftig noch irgend ein weiteres zu veröffentlichen.

Denn auch von überraschend freundlichen Begegnungen zwischen Kreuzfahrern und Sarazenen erfahren wir: von Momenten des interkulturellen Austauschs, Beispielen friedlicher Koexistenz im Heiligen Land, Gesten religiöser Toleranz und Zeugnissen der Freundschaft über die feindlichen Lager hinweg.

Die über 800 Seiten dieses Buches durchliest man, ohne aufhören zu können. Aber auch die erläuternden Anhänge zu den einzelnen Kapiteln sollten nicht überschlagen werden: sie vertiefen manches im eigentlichen Text Gelesene.

Nicht zuletzt ist auch die Übersetzung von Susanne Held hervorzuheben: Sie hat in glänzender Sprache diesen Text ins Deutsche übertragen und die Art und Weise nachvollzogen, wie Thomas Asbridge dieses Szenario möglichst gerecht für beide Seiten – oft mit untergründigem Humor – farbig gestaltet.

Ein nicht nur gewichtiges, sondern auch wichtiges und vor allem fesselndes Buch. Erstaunlich, dass man ein historisches Ereignis wie einen  Krimi liest. Aber Asbridge warnt auch davor, die Geschichte der Kreuzfahrer und den tatsächlich damals bei den Muslimen entwickelten ‚Dschihad‘ einfach so in die Gegenwart zu nehmen und zu vergleichen. Er drückt es so aus: „Insgesamt jedoch sollte man die Kreuzzüge dort lassen, wo sie hingehören: in der Vergangenheit.“

Eines erscheint nach Lektüre dieses Buches sicher: Auch wenn zunächst Kaiser und Könige, dann aber arme Bauern und Knechte in diese mörderischen, von Päpsten sanktionierten Kämpfe zogen: Kreuzzüge sollten uns hinfort immer suspekt bleiben, gleich wer auch immer von sich sagt: Er betreibe einen Kreuzzug für oder gegen etwas. Alle, die das bereits – auch in jüngerer Zeit gesagt haben – sind Ihnen genau so geläufig wie mir.

Ingeborg Gollwitzer

Zum Autor:

Thomas Asbridge, geboren 1969 in Großbritannien, lehrt Mittelalterliche Geschichte am Queen Mary College der University of London. Der Autor, der 2004 in England schon eine umfassende Geschichte des Ersten Kreuzzugs vorgelegt hat, ist nicht nur einer der besten Kenner der Quellen. Er kennt auch die geographischen Gegebenheiten aus eigener Anschauung: Denn über 500 Kilometer des alten Kreuzfahrerwegs von der Türkei bis Jerusalem hat er selbst erwandert. Gerade aus diesen Kenntnissen gewinnt das Buch seine außerordentliche Plastizität: Er bringt uns auch die jeweiligen Landschaften so nahe, dass auch wir mittendrin zu stehen meinen!