Kaum hatte ich dies Buch von einem Samstagnachmittag bis zum nächsten Sonntag fasziniert verschlungen, stand es schon ganz oben auf den Bestsellerlisten. Über die kann man ja geteilter Meinung sein, aber diesmal ist die Platzierung gerechtfertigt. Zunächst von ihr sozusagen als Zeitvertreib begonnen, aber im Verlauf von anderthalb Jahren wurde ihr klar, dass ein richtiges Buch daraus würde.
Und es hat ihr Spaß gemacht, das merkt man bei jeder Zeile, vor allem auch, weil es ihr, bei allem Schweren, das auch zu ihrem Leben gehört, doch herauskam und ihr klar wurde, welch ein erfülltes Leben sie erleben durfte – die größte Zeit gemeinsam in Harmonie und auch Diskussion mit Ihrem Mann, Prof. Walter Jens.
In den Kapitel Kindheit und Jugend, wie auch in Nach dem Krieg, beschreibt sie, was dieser Krieg auch bei der Familie persönlich alles anrichtete. Aber bereits im Kapitel Aufbruch in die Fremde, in dem sie nach Tübingen kommt, begegnet sie ihrem späteren Mann, Walter Jens, der ihrem universitären Alltag einige neue Akzente hinzufügte. Schon damals besaß er in seinem nicht sehr großen Dachzimmer eine übersichtlich aufgestellte Bibliothek und war natürlich der Ansicht, dass man in seinem Leben gar nicht genug lesen könnte. Von ihm bekam sie Autoren, von denen sie noch niemals gehört hatte: moderne amerikanische, französische und italienische Romane – ich will sie hier nicht alle aufzählen.
Sie heirateten im Februar 1951, Ernst Rowohlt fungierte als Trauzeuge. Nur das mit dem Nachwuchs war ein beschwerliches und oft trauriges Kapitel – die beiden Söhne wurden demzufolge in großem zeitlichen Abstand geboren. Wenn man aber die vielen Fotos durchblättert, sieht man Walter und Inge Jens vielfach gemeinsam und hat das Gefühl, wie sehr sie auch innerlich zusammengewachsen waren. Aber dann begann 1959 die sich über wohl Jahrzehnte erstreckende „Ehe“ mit der Familie Mann. Zunächst redigierte sie einen Briefwechsel der Briefe Thomas Manns mit dem Germanisten Ernst Bertram.
Und dann stand sie – ebenfalls 1959 – vor dem Haus der Manns in der Kilchberger Landstraße in Zürich. Katia Mann öffnete selbst und wie von selbst ergab sich bereits im Hineingehen ein lebhaftes Gespräch, das über viele Jahre nicht abreißen sollte. 1983 wurde ihr – in der Nachfolge von Peter des Mendelssohn – die Edition der Thomas Mannschen Tagebücher übertragen, was mit viel Fingerspitzengefühl und Archivarbeit verbunden war. Nun liegen ja diese Tagebücher vollständig vor und sind wohl im Bücherschrank jedes Thomas Mann Liebhabers zu finden. Was sie aber auch in weiten Kreisen bekannt machte, waren ihre Biographien über Katia Mann und deren Mutter Hedwig Pringsheim – durch sie wurde Inge Jens zur Bestsellerautorin.
Von ihrem Leben hat Inge Jens nie viel Aufsehen gemacht; doch wird in diesem Buch klar, wie vielen bedeutenden Menschen sie persönlich begegnete: Hans Mayer, Karola und Ernst Bloch, Golo Mann, Richard von Weizsäcker, Loriot und Karola Stern, um nur einige zu nennen.
Auch politisch wurde sie aktiv, nämlich bei de Blockade gegen die Raketenstation in Mutlangen und beim Verstecken amerikanischer Deserteure während des zweiten Golfkriegs. Sie musste sich anschließend verteidigen und beschreibt auch dies genau. Und nun, zum Ende ihres gemeinsamen Lebens verlässt Ihr Mann seine bisherige Existenz, wird dement und lebt in seiner ganz eigenen Welt, in der ihn seine Frau nicht mehr erreichen kann und umgekehrt. „Ich sehe seinem Entschwinden zu.“ schreibt sie mutig.
Zuvor hatte der Sohn Tilman Jens u diesem Thema das Buch“Demenz“ veröffentlicht, von dem mir immer noch nicht klar ist, ob sein Hauptanliegen dabei die Aufklärung oder seine späte Rache an dem Übervater war, der – von seinen Söhnen wohl nicht und niemals zu übertreffen gewesen wäre, nun aber – scheinbar – ganz klein geworden ist. Traurig? Nein! Nach und in einem so erfüllten Leben der beiden kann es nicht ohne Wehmutstropfen bleiben. Ich meine, man kann sie dann auch irgendwie verkraften – wie es Inge Jens mit ihren Lebenserinnerungen tat. Hinten im Buch sind dann nochmals die Bücher von Inge Jens, auch die, die sie mit ihrem Mann veröffentlichte, aufgeführt.
Das Buch wird Sie faszinieren, nicht zuletzt weil es zeigt, was eine engagierte Frau (nach Studium der Germanistik, Anglistik, Pädagogik und Promotion) auch dann leisten kann, wenn sie ein Leben auch als Frau und Mutter führt, was vielen studierenden und studierten Frauen Mut machen wird (oder sollte), auch bei einer solchen Konstellation trotzdem selbst etwas aus ihrem Leben zu machen. Es gibt mehr als Kochtopf und Windeln.
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