Lebendiger als jede Biographie – ein großer Autor – ein großer Verleger – ein Stück ‚der‘ Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts
»Falls jemand auf ein letztes, unentdecktes Drama von Thomas Bernhard gehofft haben sollte: Hier ist es. Es heißt Briefwechsel und entstand zwischen 1961 und Bernhards Tod 1989.« das schreibt die ZEIT. Fürchten Sie sich nicht vor den 850 Seiten dieses Buches! Es ist, von der ersten bis zur letzten Seite ein ebenso spannendes wie erhellendes Portrait: Von dem größten Verleger des 20. Jahrhunderts und einem seiner bedeutendsten Autoren.
Vielleicht hat sich schon der eine oder andere gefragt, was wohl das ‚Geheimnis‘ Siegfried Unselds gewesen sein mag, dass sein Verlag so repräsentativ ist für die Literatur auch des 20. Jahrhunderts wie ebenso für die geistigen Strömungen seiner Zeit.
Obwohl sie beide – der Verleger und der Autor nicht mehr leben – hier werden und bleiben sie unglaublich lebendig – und so werden sie lebendig bleiben für alle Zeiten. Nach dem Sichten und Ordnen des Materials ist nämlich etwas herausgekommen, was so von niemandem erwartet worden war: ‚(…) nimmt hier doch die Dokumentation der Arbeit des Verlegers für seine Chronik [die ebenfalls dem Briefwechsel begleitend beigefügt ist] einen weitaus größeren Teil als der Briefwechsel selber ein. Und doch zeigt sich, auf einen zweiten Blick, dass beides zusammengehört und überaus informativ ist. Es führt uns die gesamte Brillanz und Tragik der Beziehung dieser beiden ungewöhnlichen Persönlichkeiten vor Augen, und mit kaum einem anderen seiner Autoren dürfte Dr. Siegfried Unseld so häufig zum persönlichen Gespräch zusammengekommen sein. (…) ] Jahrzehntelang hat der Verleger auf alle – auch aggressiven – Anmutungen seines Autors geduldig geantwortet. ] ‚Ich kann nicht mehr‘ …, schreibt er nach beinahe einem Vierteljahrhundert des Miteinander seinem dem Tod entgegengehenden Autor. Dieser antwortet: , Dann streichen Sie mich aus Ihrem Gedächtnis und aus dem Verlag …‘ ‚
30 Jahre alt, ohne Resonanz auf seine bis dahin veröffentlichten drei Gedichtbände, vom eigenen überragenden schriftstellerischen Können allerdings überzeugt, schreibt Thomas Bernhard im Oktober 1961 an Siegfried Unseld: »Vor ein paar Tagen habe ich an Ihren Verlag ein Prosamanuskript geschickt. Ich kenne Sie nicht, nur ein paar Leute, die Sie kennen. Aber ich gehe den Alleingang.«
Obwohl der Suhrkamp Verlag das Manuskript ablehnte, gingen der Alleingänger und der Verleger seit dem Erscheinen von Bernhards erstem Roman »Frost« 1963 gemeinsam den Weg, der den Autor in die Weltliteratur führte.
In den etwa 500 Briefen zwischen beiden entwickelt sich ein einzigartiges Zwei-Personen-Schauspiel: Mal ist es eine Tragödie, wenn etwa Bernhard die aus seinen Werken bekannten Schimpftiraden auf den Verleger losläßt, der seinerseits auf die Überzeugungskraft des Arguments setzt. Ein andermal ergibt sich auch regelrecht eine Komödie.
Dann gibt Bernhard ein Kammerspiel mit Unseld als Held – 1973 schreibt er ihm: »mit grösster Aufmerksamkeit, mit allen Möglichkeiten, gehe ich gern mit Ihnen.« 1984 agieren beide, bei der Beschlagnahme von »Holzfällen«, als Kämpfer für die Literatur in einem von Dritten inszenierten Schurkenstück.
Es dominiert das Beziehungsdrama: Der Autor stellt die für sein Werk und seine Person unabdingbaren Forderungen. Aber es ist auch bezeichnend – jedenfalls für uns heute – wieviel da, besonders auf Seiten Bernhards gerechnet wird. Unseld hat ihm nämlich – wofür und weswegen wird hinfort immer wieder diskutiert – insgesamt 40.000 DM für den Kauf eines Hauses geliehen, außerdem erhielt Bernhard ein monatliches Fixum. Der Verleger seinerseits weiß, daß gerade bei Bernhard rücksichtslose Selbstbezogenheit notwendige Voraussetzung der Produktivität ist, dass er aber ohne finanzielle Unterstützung überhaupt nicht existieren kann – auch wenn anfänglich die Bernhardschen Veröffentlichungen (über deren Form und spätere Honorarabrechnung auch leidenschaftlich diskutiert wird) noch längst nicht die finanziellen Vorleistungen des Verlages abdecken.
Aber hier werden nicht bloß die Briefe von einem zum anderen abgedruckt. Wundervoll sind auch die begleitenden Anmerkungen dazu, was gleichzeitig von Verlegerseite noch zu berichten war. Ich bleibe mal an meinem Beispiel mit den 40.000 DM: Hier wird über einen Besuch Bernhards bei Unseld berichtet: “ (…) Der Hausherr [Siegfried Unseld] war krank, hatte Fieber, erschien im Morgenmantel. Das Gespräch dürfte eine gute halbe Stunde gedauert haben und war zeitlich limitiert (Bernhard und ich mussten zum Zug.) Den weitaus größten Teil der verfügbaren Zeit unterhielten sich die beiden Herren über dies und das – Reisen, Personen, Orte. Der Anlass des Besuches kam erst in letzter Minute zur Sprache, und die Entscheidung fiel rasch: Bernhard wünschte einen Beitrag von 40.000.- DM, um seinen Vierkanthof in Österreich kaufen zu können, und Unseld sagte ihm das Geld zu. (… ) Unvergesslich ist mir die unbändige Freude, der Bernhard erst im Zug freien Lauf ließ.“
Aber auch die Erinnerung Bernhards an dieses Ereignis ist wahrhaft köstlich: „Der Anfang meiner Beziehung zu Unseld war eine Forderung gewesen, um nicht sagen zu müssen, eine Erpressung meinerseits. Ich forderte von Unseld zwei Jahre nach dem Erscheinen von ‚Frost‘ und zwei Jahre vor dem Erscheinen von ‚Verstörung‘, im Jänner 1965, 40000 (in Worten vierzigtausend) Mark; weil ich es eilig hatte, in zwanzig Minuten. Angeblich hatte Unseld zu diesem Zeitpunkt, wie seine Frau mir neunzehn Jahre später versicherte, vierzig Grad Fieber gehabt. Ich forderte also damals, wie ich heute denke, für jeden Fiebergrad des Verlegers oder für jede halbe Minute des Verlegers, tausend Mark. Nach diesem Geschäft, das mich im Höchstmaß befriedigte und das zur Rettung meines Ohlsdorfer Narrenhauses notwendig war, fuhr ich nach Gießen, um einen Vortrag zu halten, und dachte die ganze Zeit, dass gute Geschäfte zu machen wenigstens so schön ist wie Schreiben und dass ich, zu allem Unglück meiner Person, auch noch gelernter Kaufmann bin.“
Aus diesem Briefwechsel steigen nach und nach auf die Bilder zweier großer Persönlichkeiten. Das ist einesteils das Bild des Verlegers Unseld. In einzigartigerweise hat er mehr als fortgesetzt, was er von dem Gründer das Verlags, Peter Suhrkamp übernommen hat: Wie dieser begleitete er seine Autoren, an die er glaubte – vielleicht wie ein Vater, mehr noch wie ein Freund – unerschütterlich und ohne Frage, wenn sie zunächst das in sie gesetzte Vertrauen (was auch finanzielle Hilfe einschloss) noch nicht in Form von Veröffentlichungen rechtfertigten, die von Verlagsseite (d.h. in Verkaufserlösen) gegengerechnet werden konnten. [Was wird wohl kennzeichnend sein für diesen so sagenhaften Verlag, nun nach dem Tod seines Verlegers, nun auch nach seinem Umzug nach Berlin? Wo wird kommende Literatur einen – behüteten – Ausgangssort finden? Ich wage oft nicht, mir vorzustellen, was nun – vielleicht am Ende doch hoffentlich nicht – kommen könnte. Aber man spürt, wenn man Seite für Seite diesen wunderbaren Briefwechsel und die Anmerkungen dazu liest, ganz nebenher etwas wie Trauer in sich aufsteigen. ]
Die unübersehbare Dramatik dieses einzigartigen Briefwechsels kommt allerdings von Bernhard. Wer meint, dieser hätte in seinen Romanen, Erzählungen und Bühnenstücken eine besonders kunstvolle Schreibweise entwickelt, der kann hier verstehen lernen, dass alles, was Bernhard schrieb, der ganzheitliche Ausdruck seiner Person war. Schimpftiraden, Überzeichnungen, Atemlosigkeit, Zorn, das ist es, was den in seiner Kindheit verletzten Kern seiner Person ausmacht. Er ist hellsichtig geworden für all das, was er an Beleidigendem, Zerstörenden, gelegentlich auch unfreiwillig Komischen (was die so gekennzeichneten Personen, die sich selbst alles anderes als komisch empfanden), gleichzeitig ein Stilmittel bzw. der Sichtweise Bernhards war, sie abgrundtief lächerlich vorzuführen. Aber vieles erkennen wir auch in Bernhards unglaublicher Kunst, mehr als nur eine Situation, sondern etwas Ganzes im Hintergrund mit sehr wenigen Sätzen zu kennzeichnen. Ich erinnere mich dabei an ein Theaterstück Bernhards, das ich vor vielen Jahren im Spectakulum las. Ich erinnere den Titel nicht mehr, aber zwei Frauen unterhielten sich am Rande eines Friedhofs – und aus diesem zunächst scheinbar ganz allgemeinen Wortwechsel entstand beim Lesen etwas, was hinter ihnen stand, und nun lebendig wurde. (Ich glaube, es ging um etwas aus der Kriegs- und Nazizeit.)
Mehr als beeindruckend ist aber, wie Siegfried Unseld sein letztes Treffen mit dem todkranken Bernhard schildert. Irgendwie steht es wie Liebe oder Zuneigung zwischen den Zeilen, an deren Schluß noch berichtet wird, wie er die Nachricht vom Tode Bernhards erfuhr. Aber noch etwas hat Unseld festgehalten: Der Bruder Thomas Bernhards, mit dem dieser von seinem Gesprächen mit seinem erschöpften Bruder berichtet. “ (…) aber die Nacht über habe er [Thomas Bernhard] geredet und geredet, auch wieder über die Beziehung zu mir [Siegfried Unseld]; er sei sehr glücklich gewesen, dass diese Beziehung sich so erfüllt habe, und so glücklich werde er sterben. Ich fahre in den Verlag und mittags fliege ich nach Wien. (…)“
Ich hoffe, ich habe Ihnen soviel von diesem – wohl einem der schönsten – Bücher dieses Jahres berichtet, dass Sie sich darauf freuen können. Bitte, lesen Sie es selbst, denn es wird Ihnen etwas besonders Schönes und etwas besonders Wichtiges und Einzigartiges entgehen, wenn Sie es nicht tun. Ich hoffe, Sie vertrauen und glauben mir blindlings.
Ps) Jetzt muss ich Ihnen aber noch von etwas Besonderen berichten. Seit Tagen begleitet mich das Anhören von den drei CDs: Ich nehme, da dies „Zwei-Personen-Stück“ immerhin 240 Minuten dauert, einfach den Recorder überall mit hin. Aus dem Bernhard-Unseld Briefwechsel (einer Auswahl daraus) wird hier ein Gespräch. Thomas Bernhard wird von Peter Simonischeck gesprochen, Siegfried Unsel von Gert Voss. Von reizenden Komplimenten für die geliebte Bibliothek Suhrkamp bis zu Schimpftiraden über die hundsgemeinen Hinschlachtung eines seiner Theaterstücke, von gnadenlosem Geschacher um Honorare und Vorschüsse bis zu tiefem Verständnis eines Verlegers für seinen komplizierten Autor: man kann einfach nicht aufhören, den beiden, die die ‚Kontahenten‘ Bernhard und Unseld so überzeugend darstellen, zuzuhören.
Wie gesagt, das ist ein zusätzlicher, ganz besonderer Tipp für Sie. Denn es ist wunderbar, wie man diese beiden überall mit hinnehmen kann, wo es sonst vielleicht ziemlich langweilig wäre: Im Auto, beim Bügeln, beim Kochen und – wenn man es genügend laut aufdreht – zur Gartenarbeit. (Meine Nachbarn mögen sich manchmal gewundert haben, was da alles von uns zu ihnen hinübertönt. )
Nochmals eine ganz besondere Empfehlung von
Ihrer Ingeborg Gollwitzer
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