Hinter diesem poppigen Titel – ein ganz & gar wunderbares Buch :
Ich erlaube mir, ihm hier einen neuen Titel zu geben:Vom Wunder der Sprache
… – sehirlilestiremediklerimizdensiniz – ist im Türkischen tatsächlich nur ein einziges Wort! Gesagt wird damit: ‚Sie sind einer von denen, die wir nicht Städter werden lassen können‘ . Und Guy Deutscher fügt hinzu: „Falls Sie im Zweifel sind, und nicht nur eine große Zahl von verschiedenen Wörtern, die man aneinandergepappt hat; die meisten seiner Bestandteile können nicht einmal für sich allein stehen.“
Ironischerweise waren sich bisher die Leser dieses Buches über zweierlei einig: Erstens ist der Titel, den man höflicherweise nun als ‚poppig‘ bezeichnet, irgendwie unmöglich, und zweitens ist es nicht nur ein interessantes, sondern in vielen, oft unerwarteten Dimensionen hervorragendes Buch. Eine dieser unerwarteten Dimensionen ist es, mit wieviel Humor und Charme man eine Geschichte der Sprache schreiben kann – wenn man hinter dem Titel eigentlich etwas sehr Abstraktes, Knochentrockenes erwartet hätte.
Aber um Goethe, Literatur oder besonders ’schöne‘ Sprache geht es ebenfalls nicht – auch insofern ist der Titel irreführend.
Zumindest ich bin erst gar nicht auf die Idee gekommen, dieses Buch lesen zu wollen; ich hatte irgendeine Art Comic, wie sie derzeit oft in Mode sind, dahinter vermutet. Aufmerksam darauf bin ich dann eigentlich über das dann folgende, ebenfalls grandiose Buch von Guy Deutscher ‚Im Spiegel der Sprache‘, das ebenfalls hier besprochen wird.
In: „DU JANE, ICH GOETHE‘ geht Guy Deutscher von gegenwärtigen Stand der Sprachen aus und weit zurück: nicht nur bis zur Sumerischen Sprache , sondern dort sogar bis an einen völlig unerwarteten Punkt: – dem Nichts – Wie das? „… Allerdings ein ganz bestimmtes Nichts. Das Nichts, das in einem bestimmten Slot in der Mitte des Wortes steht. … Die Technik ist also derart fein abgestimmt, dass sogar einen Nicht-Laut eine bestimmte Funktion zugeteilt worden ist … „
Aber so abstrakt, wenn nicht gar philosophisch uns so ein Satz erscheinen mag – was wir hier erfahren, fasziniert uns deshalb so sehr, weil es uns persönlich angeht: Indem sich unser Verhältnis zu unserer Sprache verändern wird und auf ungemein liebenswerte Weise unsere Beziehung zu der nur in Grenzen beliebten Grammatik radikal verwandelt. Also, doch Grammatik? Nein, etwas außerordentlich Lebendiges wird uns vorgestellt – – ‚Sprache‘: Das ganze Buch ist eine Art Liebeserklärung an eine lebendige, aber oft auch hinfällige, bisweilen wankelmütige, charakterlich gelegentlich zwielichtige, jedoch nimmermüde Gestalt.
Wie man ausgerechnet die Linguistik zum Beruf machen kann, setzte sich bei Guy Deutscher
überraschende und grundlegende Erkenntisse nachlesbar sind. Beispielsweise, wie sich im Laufe von Jahrhunderten das Puzzle „Sprache“ nach und nach zusammenfügte: 1870 wurde entdeckt, wie die KONSONANTEN in verschiedenen indoeuropäischen Sprachen einander entsprechen. Jedoch erschien das VOKAL-System lange Zeit rätselhaft. Ein junger, erst 21jähriger Student, Ferdinand de Sassure, hatte dann 1878 eine revolutionäre Idee. „Er vertrat die Auffassung, [trotz der verwirrenden Vielfalt des Vokalismus] dass Verben in der Ausgangssprache nur einen einzigen Vokal, das „e“ besessen hätten.“
Das der Sprachentwicklung zugrundeliegende ‚System‘ formulierte aber 1850 August Schleicher : Sprachen machen im Laufe ihrer Geschichte Fortschritte; sie werden zu immer vollkommeneren Strukturen. ‚Er untersuchte die Zusammenhänge innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie. Die Linguistik sah er als Teil der Naturwissenschaften. Er definierte Sprache als natürlichen Lebensbestandteil, dessen Veränderungen – ähnlich der Entwicklung biologischer Arten – den Gesetzmäßigkeiten der Evolution unterliegen.‘ [Lt. Wikipedia] In meinen Augen ist August Schleicher ein wirklich universales Genie; viel, viel früher als andere erkannte er die Notwendigkeit, Sprache mit naturwissenschaftlichen Augen zu sehen; heute ist EVOLUTION zumindest als Wort jedem geläufig. Erst Ende des 19. Jahrhunderts begann sich sich Linguistik ernsthaft zu etablieren.
Wie sich solches Gedankengut in damaligen Nachschlagewerken niederschlug, habe ich einmal nachgesehen: In ‚Dr. Joh. Christ. Aug. Heyse’s allgemeines, verdeutschendes und erklärendes Fremdwörterbuch‘, Neuausgabe 1873 der Ausgabe von 1804 (!) sucht man ‚Linguistik‘ vergeblich. Aber in seinem sehr lesenswerten Vorwort über sprachliche Hintergründe steht finden sich bereits ähnliche Überlegungen: ‚Mit der wissenschaftlichen Begründung des Wortsinns auf die Abstammung hängt vielleicht die genetische Anordnung der früher oft bunt durcheinander geworfenen einzelnen Bedeutungen eines Wortes nach ihrer geschichtlichen und logischen Entwicklungsfolge zusammen … .
„Dieses Buch wird daran gehen, [steht in „JANE“] einige Geheimnisse der Sprache zu enthüllen, und so versuchen, das Paradox dieser großen Erfindung, die nicht erfunden wurde, aufzulösen. Auf der Grundlage jüngster Entdeckungen der modernen Linguistik werde ich versuchen, die rätselhaften Kräfte der Neuschöpfung herauszustellen und somit zu klären, wie sich die kunstvolle Struktur der Sprachen herausgebildet haben könnte.“ Es kommt dabei aber einiges heraus, worauf gar mancher nicht unbedingt gefasst war.
Sprachforschung erweist sich als eine Art ‚Rückwärtesplanung‘: Stellt sich doch im Laufe der Sprachuntersuchungen von Guy Deutscher heraus, dass sich dabei etwas ungeheuer Lebendiges abzuzeichnen beginnt – fast ein Organismus aus Fleisch und Blut – obgleich „Wie anders wäre dieses Werkzeug [die Sprache] in der Lage, aus kaum drei Dutzend lumpigen Lautfetzen derart viel zu machen? Für sich genommen bedeuten eben diese unterschiedlichen Mundstellungen – p, f, b, w, t, d, k, g, ch, a, e und so weiter – nicht mehr als ein paar planlos hervorgestoßene Töne, ziellose Geräusche ohne Bedeutung, ohne Ausdrucksfähigkeit, ohne das Vermögen, etwas zu erklären. … Das Außerordentlichste an der Sprache ist jedoch, dass man kein Napoleon oder Newton zu sein braucht, um ihr Räderwerk in Gang zu setzen [d.h. aktiv zu sprechen] . … Die Räder der Sprache laufen [beim Sprechen] so reibungslos, dass man sich nur selten Mühe macht, innezuhalten und über all die Findigkeit und Sachkunde nachzudenken, die erforderlich gewesen sein muss, um sie in Gang zu bringen. Die Sprache verhüllt die Kunst, die in ihr steckt.“
Guy Deutscher führt den Leser auf raffinierte Weise oder besser, mit der heiligen Begeisterung etwa eines Schmetterlingsammlers durch sein Buch. Er inszeniert, beim Betrachten seiner Funde, ein ständiges Zwiegespräch mit seinem Leser, dessen mutmaßliche Fragen, Argumente und Gegenargumente er aufnimmt und sie auch gleich beantwortet – jedoch niemals belehrend, sondern nur zu gern mit einem ironischen oder heiteren Unterton oder mit kleinen Seitenhieben, Anekdoten oder erfundenen Geschichten verziert. Erstaunlich ist vor allem, dass die Freude des Autors an seinem Thema sich sofort auf den Leser überträgt: Dieser liest mit wachsendem Vergnügen immer weiter, was für ein solches Thema außerordentlich erstaunlich ist. Und beim Leser festigt sich ein Beschluss: Er wird zunehmend, ebenfalls ‚Schmetterlinge sammeln,‘ d.h. seinerseits verstärkt auf sprachliche oder grammatikalische Besonderheiten achten.
Ist Sprache soetwas wie ein ‚Erfolgsrezept‘, das den Menschen erst zum Menschen machte? Ein Geniestreich von jemand, den man bloß nicht mehr erinnert – und auf den die ‚Wahnsinnskarriere‘ des Menschen zurückzuführen ist? Und wer über manche oft arg saloppe Orthographie ins Grübeln gerät, behauptet gar zu gern: ‚WIR konnten mit Abschluss der Grundschule tadellos schreiben und lesen!‘ Jedoch – war ‚früher‘ wirklich immer alles besser?
Derartige Behauptungen und Ängste sind aber überhaupt nicht neu! Belustigt wird man lesen, wie Guy Deutscher in „JANE“ auf Seite 91-96 diese nicht mehr zählbaren Stoßseufzer dokumentiert: . Er führt Karl Kraus auf mit dessen Hinweis- (1907) in der Fackel auf die ‚Verpestung der deutschen Sprache durch die Tagespresse‘; Nietzsche wettert 1873 gegen die ‚Grenzenlose Dilapidation [Verschleuderung, Verschwendung] der deutschen Sprache der Jetztzeit und über die baumlose Wüste des Alltags-Deutsches. Arthur Schopenhauer beschwert sich in den 1850er Jahren über ‚die gänzliche Verderbung der deutschen Sprache, durch knauseriges Abknappen von Silben‘ und ‚die abscheuliche Manie, 2, ja sogar 3 Worte in Eins zusammenzuziehen.‘ wie auch ‚die Konstruktion regelwidriger, geschrobner, verdrehter, holpriger, geschmackloser und halb und halb sinnloser Perioden.‘
Fällt Ihnen dabei auch der Name Bastian Sick ein, der uns seit einigen Jahren auf für uns höchst unterhaltsame (und wohl für ihn sehr lukrative) Weise auf derzeitige Sprachkuriositäten hinweist? Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, d.h. man versucht sich des Genitivs – übrigens schon seit längerem – zu entledigen: Dem Kaiser seine neuen Kleider` Ebenso gefährdet leben bestimmte, völlig ungewarnte Substantive, bloß weil ihr letzter Buchstabe ein ’s‘ ist. Ganze Apostroph-Heerscharen scheinen nur darauf zu lauern, sich vor oder hinter bei diesen Unglücklichen einzunisten.
Aus meist jugendlichem Munde hören wir: „Er designs, sie hat recycled, und alle sind chatting“ oder downloaden… ´
Die neueste Tirade: Ja, überhaupt diese Anglizismen! Bei einigen bin ich mir allerdings ziemlich sicher: Die werden bleiben! Einfach deshalb weil sie bequemer, knapper sind als manche deutsche Formulierung. Bei ‚outdoor‘ z.B. spart man sich so einiges an Zusätzen und Erläuterungen. Im Laufe von JANE werden wir erfahren, dass im Sprachalltag sich u.a. eine Tendenz zur Vereinfachung durchsetzt. Bei ‚Headline‘ weiß man ja, was gemeint ist; gefährlich wird es aber, kennt man die Bedeutung von ‚Deadline‘ nicht und verpasst den äußersten Abgabepunkt von etwas. Bei anderen Wörtern fällt einem das deutsche Wort nicht immer sofort ein: Shampoo, Chips, Pullover, CD-Player, Scanner, Boxer-Shorts, Ketchup, Toast. Laptop. Ebenso klingt Human Resource Manager viel beeindruckender als bloß Personalchef …
Altruistissch (auch ein Wort, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut) weist uns Guy Deutscher darauf hin, dass auch das Englische nur noch ein Schatten seiner Selbst sei. George Orwell tönte bereits 1946 ‚Die meisten Menschen, die sich über die Angelegenheit überhaupt Gedanken machen, würden zugeben, dass sich das Englische in einer sehr schlechten Verfassung befindet. Ach, auch über das Englische Klagen über Klagen: 1848, 1780, 1712 – – – Als zeitlich äußersten Triumph zaubert der Verfasser dann noch Cicero aus dem Ärmel, der in einem Werk über die Kunst der Rede immerhin ’46 v. Chr. darauf hinwies: ‚Aber es pflegten doch dazumal fast alle richtig zu reden … Doch hat es in dieser Hinsicht der Gang der Zeit verchlechternden Einfluss gehabt.‘
Dieses Seufzer-Konglomerat kommentiert Guy Deutscher in der für ihn typischen Art: „Wenn wir uns also an die Autoritäten halten, dann scheint es ein Wunder zu sein, dass die Sprache nicht schon längst zu Grunzlauten von Affen verkommen ist. …“‚
Dabei ist das Gegenteil der Fall: Die ‚Pflanze‘, als die man die Sprache sich vielleicht wie einen uralten Baum einmal bildlich vorstellen kann, weist seltsame Wachstumsgewohnheiten auf: Mit jedem Jahresring kann sie – je nachdem wo sie wächst – neuste Äste und Verästelungen bilden; andere sterben derweil ab und gehen einfach verloren.
Aber schon an ganz einfachen, ganz und gar kunstlosen Sätzen können wir sehen, welches ‚Kunstwerk‘ – manchmal sogar ein kleines Drama man mit ganz wenigen Worten darstellen kann: ‚JANE schrieb / ‚JANE schreibt / ‚JANE hat geschrieben ‚ / JANE wird schreiben‘ / ‚JANE würde schreiben‘ / ‚JANE wird geschrieben haben‘ / ‚JANE würde geschrieben haben‘ / usw.kann man schon ziemlich entfernte Vorstellungen allgemeinverständich artikulieren.
Da kommt doch etwas Neues in der Entwicklung der Sprache hinzu, ABSTRAKTES lässt sich formulieren. Doch das ist noch längst nicht alles! In „JANE“ behauptet Guy Deutscher: „… so wächst die Sprache als ein Riff aus toten Metaphern. … Wie gleich deutlich werden wird, verwenden wir Metaphern nicht aus literarischen Neigungen oder künstlerischen Ambitionen heraus, sondern weil die Metapher der wichtigste Mechanismus ist, mit dem wir abstrakte Begriffe beschreiben, ja, überhaupt erfassen können.“
Am Beispiel ganz platter Zeitungssprache wird deutlich, dass Mitteilungen über konkrete Vorfälle und Zusammenhänge nur mit Hilfe von Metaphern möglich sind. Da werden uns täglich Begriffe serviert, die ursprünglich einen völlig anderen Sinn haben: bahnbrechend (wer erinnert sich dabei an eine Planierraupe?), wer denkt bei ‚härtere Gesetze‘ an hartes Brot oder an einen Stein?; wenn etwas ‚vorgelegt wird‘ – denkt man nicht mehr an ‚etwas nach vorn zu legen‘; „… denken Sie daran, dass in Wirklichkeit nicht Konflikte ausbrechen, sondern Vulkane, dass nicht Informationen durchsickern, sondern Flüssigkeiten, dass nicht die Wirtschaft wächst, sondern ein Baum, dass nicht die Worte des Ministers untergehen, sondern Schiffe …“Als Wichtigstes aber ist zu beachten, dass sich hier sämtliche Metaphern vom Konkreten zum Abstrakten bewegen. In jedem einzelnen Fall sind Ausdrücke für Konkretes aus ihrem ursprünglichen Umfeld herausgeholt und in abstraktere Bereiche überführt worden.“
Das alles ist aber noch längst nicht alles; überdies erkennen auch wir – manchmal mit einigem Nachdenken – das mancher Formulierung zugrunde liegende Wort und dessen eigentliche Bedeutung. Auf Seite 144 kratzt Guy Deutscher jedoch ein wenig an einem deutschen Text, und bringt dabei die ursprüngliche Bedeutung einiger Worte zutage; was er da findet, ist unerwartet. Eins dieser Worte ist ‚Wonne‘ – eigentlich geht dies auf das althochdeutsche wunna zurück – womit man ursprünglich ‚Laubweide‘ oder ‚junger Laubzweig‘ meinte = damals war das der ‚Weidemonat‘, indem man die Tiere wieder auf die Weide trieb. So hatte ‚Wonnemonat Mai‘ eigentlich eine völlig andere Bedeutung. Das war also ein ganz bildhafter, lebensnaher Ausdruck, der immer wieder benutzt wurde; jedoch verblasste bei häufigem Gebrauch das dahinterstehende Bild immer mehr – „… Somit ist Wonne nur noch ein Skelett, von dessen metaphorischen Ursprüngen kaum mehr eine Spur zu erkennen ist. … Wenn [das Deutsche] sich einer Besonderheit rühmen kann, dann ist es lediglich die, dass ein großer Teil seines abstracten Wortschatzes aus dem Lateinischen entlehnt wurde, so dass in vielen Fällen die Übertragung vom KONKRETEN zum ABSTRAKTEN nicht auf heimischen Terrain stattfand, sondern schon vor der Entlehnung der Wörter. Vergleichbare Metaphern finden sich aber in Sprachen aus aller Welt.“
Wie aber kam der Mensch überhaupt zu einer Sprache? Die Antwort darauf kann man nur finden, wenn man einer tatsächlich existierenden gesprochenen Sprache ausgehen kann oder von einer früheren wenigstens schriftliche Dokumente hat. Laut Jared Diamond hat sich der Mensch nur wenige Male die ungeheure Mühe gemacht, ein eigenes Sprachsystem ohne fremde Vorbilder zu ’schaffen‘: Es ist dies (neben z.B. den Chinesen und den Ägyptern) vor allem die Schrift der Sumerer. Sie hatten eine sehr hochstehende Kultur und erfanden die Keilschrift, die sich, was sich dank Ausgrabungen nachvollziehen lässt, aus zunächst einfachen Formen aus Ton entwickelte, die dann schlicht zu etwas wie ‚Buchhaltungtechniken‘ verwendet wurde. Damit sie aber von jedermann verständlich waren, mussten bestimmte Konventionen klargestellt werden; dazu gehörte auch, dass Schriftzeichen z.B.waagerecht in Zeilen angeordnet wurden und, wie bei uns heute, von links nach rechts zu lesen waren. Zunächst waren dies lediglich Logrogramme: z.B. Fisch oder Vogel. Fasziniert beschreibt Guy Deutscher: Die Architektur des semitischen Verbs ist eines der eindrucksvollsten Formsysteme, die sich in den Sprachen der Welt überhaupt finden, aber sie beruht auf einem Konzept sparsamster Natur; zugrunde liegt eine Wurzel, die nur aus Konsonanten besteht. … Aber wie kann eine vokallose Gruppe von drei Konsonanten überhaupt etwas bedeuten, wenn sie nicht einmal auf ihren drei Beinen stehen kann und sich aussprechen lässt? Die Antwort lautet, dass man solche Wurzeln nicht auszusprechen braucht, weil die Wurzel ein abstrakter Begriff ist, der erst zum Leben erwacht, wenn er in irgendwelche Vokalschemata eingefügt wird.“
Die praktischen Beispiel dazu kann man in „JANE“ nachlesen: Sie zeigen, dass man auf diese Weise nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit wie die Zukunft und jede denkbare Nuance eines Verbs zum Ausdruck bringen kann.
Nun könnte uns das Schicksal der sumerischen und anderen Sprachen herzlich gleichgültig sein, wenn sich, vergleicht man sie, nicht bestimmte, immer wiederkehrende ‚Schicksale‘ erkennen ließen: Jede Sprache hat so ihre eigenen ‚Tücken‘, unerklärbare Unregelmäßigkeiten, die von einer Art ‚Grundschema‘ plötzlich abweichen – einen ‚Grund‘ dafür kann man nicht erkennen. Erklären Sie einem Ausländer mal, warum es DAS Haus heißt, DIE Tür, DAS Fenster, DIE FRAU, DAS Mädchen, DIE Kuh, DAS Kalb usw. Ein Baum ist männlich, seine Knospen weiblich, das Blatt jedoch sächlich … In anderen Sprachen ist jedoch die ‚Geschlechtszuteilung‘ ganz anders: Im Hebräischen ist die Gabel ein ‚ER‘, der Löffel eine ‚SIE‘. “ Selbstverständlich ist der Gedanke, Objekte nach irgendeiner wesentlichen Eigenschaft zu klassifizieren, im Prinzip nicht verkehrt. Die Unterscheidung zwischem Maskulinum ud Femininum ist eine verbreitetsten Klassifizierungen … aber einige entscheiden sich stattdessen (oder zusätzlich) dafür, Substantive in die Kategorien ‚menschlich‘ bzw- ’nichtmenschlich‘ oder ‚belebt‘ oder ‚unbelebt‘ einzureihen. Manche Sprachen machen sogar einen Unterchied zwischen ‚essbar‘ und ’nicht essbar‘ (wobei die Eingruppierung des Menschen dann natürlich von den Landessitten abhängt).“
Genau so wichtig wie die schriftlich fixierten und derzeit häufig gesprochenen Sprachen, sind aber jene. die ’noch‘ gesprochen werden, um bestimmte Sprachentstehungen und -entwicklungen nachvollziehen zu lernen. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Noch vor wenigen Jahren zählte man auf der Welt etwa 5000 Sprachen; sie werden nun mehr und mehr dezimiert, je weiter ‚Handel und Wandel / Krieg und Genozid‘ in die entlegendsten Regionen der Welt vordringen. Guy Deutscher nennt diese restlichen, ganz ursprünglichen Sprachen die ‚Ich-Tarzan‘-Ära, die er mit einer sich immer erweiternden Version vor uns entwickelt: ‚Mann schlaf in höhle tochter sammel frucht dreh kopf seh mammut … „ usw.
Anhand dieser, wieder originellen nach und nach ergänzten Geschichte beschreibt Guy Deutscher wie sich ein Wortschatz entwickelt. „ Ich behaupte, dass als anfängliches Rohmaterial nicht mehr als drei Gruppen ausreichend sind: Wörter für materielle Dinge (Körperteile, Tiere, Gegenstände, Menschen), Wörter für einfache Handlungen (wie ‚werfen‘, ‚fallen‘ ‚rennen‘, ‚essen‘, und eine dritte kleine Gruppe die aus Zeigewörtern ‚hier‘ und ‚da‘ besteht. … Um eine mentale Repräsentation davon zu haben, wer wem was antut, bedarf es einer klaren Unterscheidung zwischen Gegenständen und Handlungen. Da diese mentale Repräsentation ein Teil sozialer Intelligenz ist, die auch bei nichtmenschlichen Primaten gut entwickelt ist, muss sie schon vor Jahrmillionen ein Bestandteil de Erkenntnisvermögens unserer Vorfahren gewesen sein.
Unsere Deutsche Sprache entspringt dem Stammbaum der Indoeuropäischen Sprachen, auf Seite 69 ist er mit all seinen Ursprüngen und Verzweigungen abgebildet. „Der Grund, weswegen Deutsch, Niederländisch, Englisch und die skandinavischen Sprachen so ähnlich aussehen. Sie alle stammen von unserem Vorfahren, dem Proto-Germanisch ab. … „dass sie also etwa bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. tatsächlich alle ein und dieselbe Sprache darstellten.“
Jedoch, es gibt noch einen weiteren – und obendrein SEHR viel älteren: Den Stammbaum der semitischen Sprache. Leider lässt sich aber auch hier das langsame Entstehen von Sprache wieder nicht eindeutig erkennen: „… denn als die semiischen Sprachen im 3. Jahrtausenden vor Chr. die Bühne der Geschichte betraten, waren die charaketrstischen Merkmale ihres Verbsystems, die konsonantischen Wurzeln und die abstrakten Konstruktionen der Vokalschemata bereits voll ausgebildet. — liegt der Ursprung ihres Verbsystems doch im Dunkel der Vorgeschichte verborgen …“
Was man allerdings bei Sprache trotzdem noch alles rekonstruieren kann, liest sich in JANE fast wie ein Krimi. Vor allem aber beginnt man selbst, zumindest der eigenen Sprache viel genauer ins Gesicht zu sehen als zuvor.. Grammatik und Wortwahl sind einem nicht mehr beliebig bzw. egal.
Man begegnet ihr täglich und beginnt vor allem auch gegenwärtig zu verstehen, was Guy Deutscher damit meint, dass in der Sprache ständig alles im Wandel ist, einiges verschwindet, Neues hinzukommt, Wörter und Begriffe verkürzte und die neuen, kurzen Wörte zu neuen zusammenfügte oder z.B. bei uns die Anglizismen einverleibt werden, oder ’neue‘ Worte aus der Mottenkiste hervorgeholt werden: Wer hätte noch vor wenigen Jahren gewagt, den Ausdruck ‚geil‘ in den Mund zu nehmen – heute bringen es die Kinder schon aus dem Kindergarten mit! Einfach, weil es so allumfassend ‚geil‘ ist!
Um es also kurz zusammenzufassen: Eine Geschichte der Sprache, geistreich und unterhaltsam erzählt von einem renommierten Linguisten. Guy Deutscher zeigt, wie aus einfachen Lauten die ausgeklügelten Grammatiken, enormen Vokabularien und komplexen Bedeutungszusammenhänge von heute wurden.“ Es ist eine Weltgeschichte der Sprache. Humor- voll vermittelt er die neuesten Erkenntnisse der Sprachforschung und beschreibt die enge Verknüpfung von Zerstörung und Kreation im Sprechen. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt der Autor, wie eine Sprache zu komplexen Strukturen heranwachsen und auch wieder zerfallen kann. Nebenbei beantwortet Deutscher auch noch Fragen wie: Warum haben die meisten Sprachen kein Verb für“haben“? Warum ist das deutsche“Mädchen“ein Neutrum und die deutsche“Rübe“feminin? Und warum scheinen Türken rückwärts zu sprechen?
Mir fällt grad etwas aus meiner Schulzeit ein: Unser Deutschlehrer, obendrein der Direx, VERBOT kurzerhand, dass wir statt eines exakten Ausdrucks ‚machen‘ verwendeten. Selbst, wenn es länger für uns dauern sollte, meinte er, sollten wir eben so lange suchen, bis wir ein richtiges Wort gefunden hätten … Früher alles besser?
In einem hochdotierten Quiz musste neulich eine Deutschlehrerin passen: Sie konnte ‚ Vom Eise befreit sind Strom und Bäche ,d urch des Frühlings holden belebenden Blick … ‚ nicht einordnen … . ‚Mehr sog ich nicht…‘ meint Ottfried Fischer …
Doch – so einfach möchte ich nicht schließen, ohne zu zeigen, was UNSERE Sprache jenseits unseres Alltags alles kann:
Ein (Liebes)-Gedicht von Rainer Maria Rilke, obwohl darin das Wort ‚Liebe‘ überhaupt nicht vorkommt:‘
Lösch mir de Augen aus: ich kann dich sehn,
wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
und ohne Füße kann ich zu dir gehn,
und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.Brich mir die Arme ab, ich fasse dich
mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
und wirfst du in mein Hirn den Brand,
so werd ich dich auf meinem Blute tragen.Und aus Hölderlins ‚Hyperions Schicksalslied: (Daneben eine englische Übersetzung:
Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.Yet there is granted us
no place to rest;
we vanish, we fall –
the suffering humans –
blind from one
hour to another,
like water thrown from cliff
to cliff,
for years into the unknown depths.Und was was sagt uns Heinz Ehrhardt so gekonnt zweideutig? (Fettdruck von mir!)
Oben ohne
Natur ist immer dort sehr schön,
wo Bäume ihr zu Berge stehn,
und wenn der Wind behutsam leicht,
wie’n Kamm durch durch diese Bäume streicht.Doch wo die Berge kahl und steinig
da ist nichts los! – Sei’n wir doch einig,
daß Schönheit meistens nicht viel zählt,
wenn’s oben fehlt!Und damit bin ich am Ende der Vorstellung von ‚DU JANE, ICH GOETHE‘ – d. h. ich bleibe meinem meinem Titel: VOM WUNDER DAS SPRACHE Lesen Sie es selbst, dieses ganz und gar wunderbare Buch: Eine fantastische Expedition in eine völlig neue immer wieder neu faszinierende Welt. Ihre einzige Ausrüstung: Ihre Augen und Ihr Verstand und Ihre hoffentlich nimmermüde Neugier!
INGEBORG GOLLWITZER
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