Als Bundeswehrärztin in Afghanistan
Diesen Titel hat sich die Autorin, die insgesamt zwei Jahre als Ärztin in Afghanistan war, nicht gewählt, damit er auffällt. Es ist vielmehr ein von grimmigem Humor geprägtes geflügeltes Wort derer, die dort stationiert sind.
Man bedenke: Ein Selbstmordtäter der Taliban wird überreich belohnt: Er bekommt nicht nur einen Sitz im Himmel, ganz dicht bei Allah – und die Gerüchteküche sagt, er bekäme 500.- US-Dollar. Davon kann seine Familie fünf Jahre lang leben!
Die Autorin, Mutter von 5 Kindern, ist schon lange im Notrettungsdienst beschäftigt. Das macht ihr große Freude und sie verbessert ihr Fähigkeiten bewusst immer weiter.
Mit Beginn des Afghanistan-Einsatzes 2001 wurde sie, Zeitsoldatin der Bundeswehr, erneut von der Bundeswehr rekrutiert. Was sie schreibt, bringt Ihnen viel Stoff zum Nachdenken..
Heike Groos diente als Oberstabsärztin der Bundeswehr viele Monate am Hindukusch. Wie wohl noch niemand anders gewährt sie einen Einblick in die Welt der Soldaten, Sanitäter und Ärzte. Was alles geht in diesen Menschen vor, die in ständiger Bedrohung leben, deren Seele von der ständigen Angst verletzt wird, und das schwer.
Vor allem erlebt sie es an sich selbst und schildert das bewusst und genau: Sie ist nicht mehr derselbe Mensch, als sie eingerückt ist und braucht schließlich Monate und Jahre, bis ihr beschädigtes inneres Gleichgewicht so nach und nach wieder hergestellt ist. Jetzt wundert es sie nicht, dass sie immer wieder von Afghanistan-Heimkehrern gehört hat, die sich hier – in der Sicherheit – das Leben nahmen. Afghanistan war in ihnen geblieben und sie konnten es nicht länger aushalten.
Das eigentlich macht sie immer den für die Soldaten Verantwortlichen zum Vorwurf: Die mangelnde psychische Betreuung.
Nach ihren Worten muss Afghanistan mit seinen Gebirgen und Tälern traumhaft schön sein. Allerdings die Hitze tagsüber, die durch ihre Sicherheitskleidung noch vermehrt wird: Die Splitterschutzweste wiegt allein schon 20 Kilo, Waffenkoppel um die Hüfte; Helm auf dem Kopf… unerträglich. Und nachts ist es schneidend kalt. Überall weht es Staub und der Gestank ist unerträglich: Die Taliban haben die Kanalisation zerstört, alles wird auf die Straße gekehrt und zu Staub.
Ein einziges Mal, als sie Besuch von Bundestagabsgeordneten hatten, machte sie sich Luft. Die Abgeordnete hatte sie derart dumm befragt, dass klar war: sie – eigentlich eine nette Person, hatte nicht die geringste Ahnung, was Afghanistan eigentlich bedeutete. Wie alle Besucher bekam sie etwas Besonders zu essen, zuvor wurde Großputz mit Aufräumen gemacht – kein Wunder, sie bekamen einen völlig falschen Eindruck. Als einmal anlässlich eines Besuchs ein Angriff auf das Lager erfolgt, große Verwunderung: Wie können sie es waren anzugreifen, wenn ich doch hier bin !Einer schlug sogar vor, in die Stadt zu gehen und zu shoppen… Er wurde belehrt, dass das Lager nur im dienstlichen Auftrag und nur im Konvoi, jedes Fahrzeug mit mindestens einer Langwaffe bestückt, verlassen werde dürfe. Danach erkundigte er sich, wozu denn die Bunker im Lager dienten? Und erfuhr, dass man bei Raketenangriffen sehr dankbar für sie war.
Die Bundestagsabgeordnete, die den wachsenden Ärger der Antwortenden bemerkte, versucht zu schlichten: „Sehen Sie, wir bekommen ja nicht viel Informationen, und wir sind froh, dass wir überhaupt einmal hierherkommen und uns das alles ansehen und uns einen Eindruck verschaffen dürfen.“ Bei dieser Gelegenheit ist dann der Autorin der Kragen geplatzt: Denn ausgerechnet dieser Personenkreis war es, die darüber abzustimmen hatten – in der Tat, man hatte sich das alles viel professioneller vorgestellt. Und da die Autorin nun mal ins Reden gekommen war, erzählte sie von den Sorgen und Nöten: zu wenig Personal, mangelnde Recourcen, zu wenig Geld, und, sagte sie: „Wenn schon, dann sollte man es auch richtig machen …“ (Alles, was sie sagte, wurde allerdings ohne ihr Wissen mitgeschrieben!)
Und natürlich kann man sich hier kaum vorstellen, wie das ist, wenn ein Bus mit zwanzig Soldaten, die friedlich auf dem Heimweg waren, von einem Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt wird. „Mein Blick fiel als erstes auf eine Alumuniumdecke, die mit der Goldseite nach oben den Körper eines Menschen einschließlich des kopfes bedeckte. Er war ganz offensichtlich tot. Ein breites Rinnsal von Blut kam unter der Decke hervor, lief auf die Straße, sammelte sich etwas weiter in einem Schlagloch zu einer Pfütze und vermischte sich mit dem Staub der Straße. (…) Es war ein deutscher Soldat!“ „Überall lagen tote und schwerverletzte Soldaten, blutüberströmt und voller Dreck Die Straße war übersät mit zertrümmerten und verbrannten Autoteilen, Glassplittern, Gummifetzen von geplatzten Autoreifen (…) Die Rucksäche, die die Soldaten bei sich getragen hatten, waren aufgeplatzt (… ) Die aufgeregt rufenden Stimmen der Helfer, das Schreien und Stöhnen der vielen Verletzten ( …) Die Hitze des trockenen Tages brannte auf meiner Haut. (..) Vor uns lag ein junger Mann, vielleicht neunzehn Jahre alt. Eines seiner Beine war zertrümmert, hing nur noch an ein paar Muskeln, blutüberströmt, verbrannt, schwarz. Mit kalkweißem Gesicht, zu schwach, um zu schreien, zu tief im Schock, um Schmerzen zu empfinden, sah er mit leeren Augen in den Himmel.“
Das alles ist schon entsetzlich genug. Noch entsetzlicheR ist alleRdings das Schicksayl der heimkehrenden Veteranen, die oft Monate, Jahre oder länger brauchen, bis sie sich wieder gefunden haben. (Selbstmord ist hier keine Seltenheit.) Auch wie das ist, beschreibt die Autorin minutiös, weil sie es am eigenen Leibe erlebte. Von diesem „Teil“ Afghanistans weiß man in unserer Öffentlichkeit kaum etwas.
Ingeborg Gollwitzer
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