Die Jagd nach dem Geheimnis der Lebensenergie
Zuerst wird es wohl nötig sein, zu erklären, was hier mit Lebensenergie gemeint ist: Dies Buch ist keine Anleitung, wie sich ein Einzelner in die Lage versetzen kann, seine geistigen und psychischen Kräfte zu steigern. Also kein Ratgeber.
Das, was aber gemeint ist, ist wenigen Lesern gegenwärtig: Es geht um Mitochondrien, diese kleinen, merkwürdigen Zellen innerhalb unserer Zellen, die auch wiederum wohl kaum ein gewöhnlicher Leser je gesehen oder davon gehört hat. Sie funktionieren, ohne dass wir das wissen und ohne dass es irgendwo groß erwähnt wird. Wozu also ein Buch zu einem Thema, das überhaupt gar nicht in Mode ist? Und noch dazu ein so großartiges Buch: Ein Biologie-Krimi und Lebensbericht in einem. Gerade so liest es sich auch: Die Spannung des Lesers nimmt von Seite zu Seite zu: Wann endlich wird der ‚Täter‘ endlich gefasst, wann endlich weiß man, wie und mit welchen Fähigkeiten und Hilfsmitteln er seine ‚Taten‘ vollbringt? Und was alles unternehmen die ‚Kommissare‘ – hier die Wissenschaftler – um hinter sein Geheimnis zu kommen? Wie so oft in der Wissenschaft steht man am Ende da und staunt über das, was man endlich herausbekommen hat.
Übrigens: Die Mitochondrien bekommt das werdende Leben immer von der Mutter! Sie zünden in der ersten Zelle – die jeder von uns einmal war – das Leben an! Danach haben die Forscher gesucht: Wie funktioniert das Feuer des Lebens?
Feuersucher schildert auf packende Weise, wie das Rätsel der Energieproduktion bei der Zellatmung gelöst wurde und liefert eine atmosphärische Schilderung der Forschungslandschaft im Nachkriegsösterreich und -deutschland sowie in den USA und in der Schweiz. Aus dem Geburtsjahr des Autor sieht man, dass er das Ende des Krieges und die Nachkriegsjahre bewusst miterlebt hat; und das beschreibt er auch. Nur auf wenigen Seiten, aber umso einprägsamer. Das Ende des Nazireiches, allerdings auch den (noch immer latenten) Antisemitismus, dessen Folgen dem jungen Mann wohl erst nach und nach bewusst werden. Zwei Lager gab es im damaligen Österreich: Gegenwelten: entweder rot oder schwarz. Und die ‚freiheitlichen‘ rechtslastigen Studentenverbindungen die mit scharfem Säbel fochten. „Das Österreich der Nachkriegsjahrzente schlief den Schlaf der Ungerechten.“ Wissend, dass seine Zukunft ‚Biochemie‘ sein sollte, wandte er sich an alle möglichen Wissenschaftler: ‚Please send me copies of all your papers‘, einige der Adressaten schicken ihm Aktuelles. Nur der Wissenschaftler David E. Green sandte ihm gleich ein gewichtiges Paket mit mehreren hundert seiner Publikationen: Manna, das – und völlig unerwartet – vom Himmel gefallen zu sein schien. David E. Green war eine der Koryphären der Mitochondrienforschung. Eben diesen David E. Green sollte er viel später auch persönlich kennenlernen.
Und damit war der Wegweiser für ein ganzes, zukünftiges Forscherleben gegeben, das mit dem Chemie-Studium in Graz begann. Als Assistent von Hans Tuppy entdeckte er dann, zusammen mit anderen, die DNS der Mitochondrien. 1964-66 forschte er in New York am Public Health Insitute, nach einem Zwischenaufenthalt in Wien emigrierte er 1968 mit seiner Familie in die USA, wo er als Professor für Biochemie an der Cornell University in Ithaka tätig war. 1974 berief ihn die Universität Basel an das neugegründete Biozentrum, das er zeitweise leitete. Für seine Entdeckungen über die Bildung der Mitochondrien erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und zwei Ehrendoktorate. Auch nach seiner Emeritierung 2000 konnte er unmöglich untätig bleiben und präsidierte vier Jahre lang den Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat.
Nach dem Grauen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelten sich zunächst in den USA nach und nach drei alles verändernde Revolutionen: 1953 entdeckten die jungen Forscher Watson, Crick und Wilkins eines der großen Geheimnisse des Lebens: Die Doppelspirale, die den genetischen Datensatz enthält. Gottfried Schatz erlebte den Ausbruch aller drei Revolutionen in New York mit. Das eine war die biologische Revolution, das nächste die digitale Elektronik und als drittes die sexuelle, nach Entwicklung der Pille.
Es war ein Wettrennen der Biologen, die Buchstabenschrift der Erbinformationen in den frisch entdeckten DNS-Fadenmolekülen zu entziffern, die im übrigen allen Lebewesen gemeinsam ist. Damals waren die Wissenschaftler der USA führend. Anfang der 60er Jahre begann auch die rasante Entwicklung der Computer, ohne die wenig später manches Rätsel der Genetik gar nicht zu enträtseln gewesen wäre. Überhaupt wurde das technische Equipment – allerdings sehr unterschiedlich in den einzelnen Universitäten – immer großartiger und erlaubte An- und Einsichten die nur so zu erlangen waren.
Was hier nur einige Zeilen ausmacht, war ein langes, unermüdliches und inhaltsreiches Forscherleben. So ist dies Buch in dreierlei Richtung interessant: Einmal als autobiographische Schilderung all der Ereignisse, denen er im Verlauf seines Lebens begegnete. Zweitens erfahren Sie, nach und nach wie in einem Krimi, die abenteuerlichen Wege der Erforschung der Mitochondrien und deren noch abenteuerlichere Funktionsweise. Dort entdeckte man nämlich das erste Rad – das hatte die Natur sich längst einfallen lassen! Drittens aber schildert er eindrücklich, was es heißt, Wissenschaftler bzw. Forscher zu sein. Wie sich diese auf wahrste Weise in etwas Unbekanntes hineinbegeben und nie wissen, ob sie irgendwann irgendwo auch ankommen werden. Da braucht es Wissen, Geduld , Phantasie, Zusammenarbeit und nie nachlassende Anstrengung. Immer aber auch den möglichen Absturz vor Augen: Wenn Forschungsprojekte womöglich unerfüllt bleiben, ins Nichts laufen, eine Karriere enden kann. In einem Kapitel werden Forscher mit Schiffen verglichen, die sicher im Hafen liegen. Aber dafür sind sie eben nicht gebaut!
Ach, ja, bald hätte ich es vergessen: Es gibt noch ein Viertes: Das sind die Personenbeschreibungen zahlreicher Wissenschaftler, mit denen Gottfried Schatz in Berührung kam bzw. zusammenarbeitete. Sie sind eindrucksvoll, prägnant oft mit Zuneigung, wohl auch mit Humor. Auch seine eigene Person beschreibt der Autor nicht selten ironisch.
Schwer zu entscheiden, was spannender zu verfolgen ist: Die packende ‚Jagd nach dem Geheimnis der Lebensenergie‘ oder die Skizzen der Begegnungen mit berühmten Mitochondrien-Forschern; berührend jene mit dem 1938 in die USA geflohenen Wiener Wissenschaftler Efraim Racker.
Vor allem kann Gottfried Schatz als Wissensschaffender populär schreiben wie nur wenige. Er lässt einen sein Fach erleben. Der Biochemiker bietet einen profunden Blick hinter die Kulissen des Wissenschaftsbetriebes, wie man ihn ganz selten findet und das alles bestens lesbar und frei von übertriebenem Fachvokabular. Ergänzt wird das Buch durch Zeichnungen von P. Leslie Dutton, einem Fachkollegen von Schatz. Gottfried Schatz legt mit ‚Feuersucher‘ einen Rückblick auf sein vielfältiges Forscherleben vor. Es ist mehr als eine Autobiographie. sondern ein spannender Streifzug durch mehr als ein halbes Jahrhundert Zeitgeschehen, Wissenschaftsgeschichte und durch das Wesen wissenschaftlichen Denkens schlechthin.
Ingeborg Gollwitzer
Zum Verfasser: Gottried Schatz wurde 1936 in Strem, einem kleinen Ort an der ungarischen Grenze, geboren. »Mir ging ein Licht auf«, erzählt Albert Einstein – und ebenso geht’s den Lesern von Gottfried Schatz, auch wenn am Ende nicht immer eine Relativitätstheorie dabei herauskommt. (Diese hätte man auf seine Weise auch mal ganz gern erklärt bekommen!) Der weltbekannte Chemiker und Biologe schreibt ungeheuer spannend. Gottfried Schatz ist sehr vielseitig interessiert: Beispielsweise spielte er Geige an mehreren Opernhäusern, studierte in Graz Chemie und Biochemie und lehrte und forschte in Wien, in den USA und am Biozentrum Basel. Jetzt ist er emeritierter Ordinarius für Biochemie und ehemaliger Leiter des Biozentrums Basel. Träger vieler renommierter Preise, Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Akademien. Jetzt hat er Zeit zum Schreiben – hoffentlich noch vieler Bücher!
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