Evolution – Kognition und Verhalten.  Der Hund im Blick der Wissenschaft

Ein bahnbrechendes Buch – das erleichtert aufatmen lässt!

Hunde1994 beschlossen Dr. Adam Miklósi und seine Mitarbeiter nach längeren Diskussionen, die Aquarien aus ihren Labors zu entfernen – es erschien ihnen sinnvoller, die soziale Interaktion zwischen Hund und Mensch aus der verhaltensbiologischen Perspektive zu erforschen – was allerdings auch wiederum wenig verlockende Zukunftsperspektiven aus einem besonderen Grund zu haben schien: Erstaunlicherweise – und was manchen verwundern wird (und was viele, denen dieser Umstand bekannt ist) seit Jahrzehnten beklagen: Wissenschaftliche, ernstzunehmende Literatur zu diesem Thema existierte nicht. Eigentlich unbegreiflich: Der Hund ist das älteste Haustier des Menschen und hat mit diesem eine Co-Evolution durchlaufen. Um es gleich vorweg zu sagen: Mit ‚Literatur‘ sind nicht Hundegeschicht(chen) gemeint und womit auch gleichzeitig gesagt wird, was dieses Buch NICHT ist.

Wer hofft, hier werde nun am Beispiel lose aneinandergereihter, amüsant zu lesender Beobachtungen an Hunden (genau so macht meiner das auch!) und vielen bunten Bildern ein ‚leckeres Lesevergnügen‘ zu haben, der wird zunächst enttäuscht. Aber nicht wenige, ernsthaft an Hunden Interessierter, bemerken ziemlich bald, dass hier endlich DAS vorgelegt wird, wofür es mehr als an der Zeit war; ja, dass es geradezu ein Armutszeugnis ist, dass etwas Derartiges nicht schon vor Jahrzehnten in Angriff genommen wurde. Hundeliebe und das Bedürfnis, mehr von diesem Begleiter des Menschen in der gesamten Menschheitsgeschichte zu erfahren und zu wissen, wurden (und werden) sowohl von der normalen Bevölkerung, wie auch seitens der Wissenschaft mit einer Handbewegung abgetan, belächelt oder verteufelt. Seit Jahrzehnten ist es beliebt, in der Sauregurkenzeit der Presse groß aufgemachte Berichte von menschenzerfleischenden Hunden zu bringen. Ein ‚Hundeführerschein‘ wurde kreiert, bestimmte Hunderassen nahezu vernichtet, weil als aggressiv bezeichnet. Hundekot in den Straßen wird als Kostenfaktor gesondert ausgewiesen – der übrige Unrat trotz seiner unglaublichen Mengen, hingegen nicht.  Was ist schon das Ozonloch gegen ein paar Häufchen Hundekot! (Nun ja, die müssten ja auch nicht unbedingt sein.) Immerhin aber wird (neben Tabak- und Alkoholsteuer immerhin!) Hundesteuer erhoben; oft nicht wenig. Eine besondere Art, Wertschätzung zu bezeugen.

Aber lassen wir es, all das sattsam Bekannte zu erwähnen.

Warum ist dies von Dr. Miklósi vorgelegte Buch mehr als ein Lichtblick? Und warum beleuchtet es gleichzeitig erstmals eine eigentlich entsetzliche Landschaft? Ich will im Bilde bleiben: Was vor uns hier ausgebreitet wird, ist wie eine Weltkarte, über der graue Schleier liegen, worunter man,  kaum sind sie zu erkennen, – nur schwache Skizzen der Erdteile entdecken kann. Auf diesen Erdteilen sind aber zudem riesige weiße Flecken: Sie zeigen an, dass das meiste auf dieser (Hunde-)Welt unentdecktes Land ist..

Ein erster bescheidener aber auch grandioser Versuch (Stockardt; Scott & Fuller), etwas über Hunde zu erfahren, wurde in den USA zwischen ca. von 1920 bis 1960 unternommen. Es kam Beachtliches dabei heraus – die Versuche mussten aber aus Geldmangel danach eingestellt werden. Überdies waren – was die Wissenschaft anbelangt – Hunde dort auch als – Versuchstiere gern gesehen. Mittelgroße Hunde – möglichst billige Mischlinge – brauchen weder viel Platz noch viel Futter. Beagles wurden dann allerdings gezielt für Forschungszwecke gezüchtet – sie waren besonders friedliche Rudeltiere; damit sie nicht durch ihr angeboren häufiges Bellen störten, wurden sie eben ‚debarked‘. Anderen Hunden brach man die Knochen, um das Heilen von Brüchen zu studieren – ohne allerdings zu ahnen, dass diese Wachstumsvorgänge rassenunterschiedlich sind. Sogar die Pille wäre um 1960 herum,  fast an Hundeversuchen gescheitert! Die Hündinnen, an denen man sie ausprobierte, gingen nämlich ein. Niemand hatte beachtet, vermutet oder geahnt, dass Hündinnen einen völlig anderen Zyklus haben als Menschen.

Das gesamte Szenario erinnert verzweifelt an mittelalterlich Prozesse. Und es sei wie diese ausdrücklich angeklagt.

Nichts von dem finden Sie bei Ádám Miklósi, dem Leiter der größten Forschungsgruppe zum Thema Hund in Europa; er  befasst sich seit Jahren mit den Sinnes- und Gedächtnisleistungen von Hunden. Sachlich, voller wissenschafftlicher Neugierde und Forscherfreude – und oft voll Überraschtseins. Aber lassen Sie sich hier nicht täuschen: „Hunde“ ist ein von der ersten bis zur letztem Seite wissenschaftlicher, sachlicher Bericht; Viele werden sehr viel Geduld und Nachschlagen benötigen, um das Beschriebene nachvollziehen zu können. Was sich aber letztlich lohnen wird.

Miklósi  und seine Mitarbeiter gingen zunächst daran, einen wissenschaftlichen Rahmen dafür zu erstellen, wie man die biologische Untersuchung des Hundeverhaltens auf der Basis von Tinbergens so klar zusammengefassten Studien planen und aufbauen müsse. Miklósi stellt nüchtern fest: „Im Gegensatz zu Stichlingen, Honigbienen oder Schimpansen wurde dem Hund von Ethologen oder Psychologen bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Anscheinend ist dieses Wesen (‚der beste Freund des Menschen‘) aus nicht völlig klaren Gründen in der Wissenschaft irgendwie zum Ausgestoßenen geworden.“ Miklósi  sieht auch richtig den vermutlichen Grund dafür darin, dass Hunde wegen der vielen Geschichtchen und Sagen rund um sie herum, als ‚künstliche‘ (also nicht ‚richtige‘) Tiere bezeichnet werden; als Grund für ihre ‚Unnatürlichkeit‘ wird oft angegeben, dass sie in ‚freier Wildbahn‘ ohne den Menschen nicht überlebensfähig wären. Sogar das ihnen immerhin zugestandene ‚Wolfsblut‘ in ihren Adern macht sie nicht zum ‚richtigen‘ Tier, es wird missbraucht, um sie zu missbrauchen.

Im Buch ist nach bestimmten Schwerpunkten zusammengestellt, wie ein Forschungsgerüst aufzubauen sei: Zunächst geht es um ‚Der Hund – Historie und vergleichende Verhaltensforschung.‘ Bereits hier wird das zu untersuchende Terrain abgesteckt und untersucht, zu welchem Bezirk man Erkenntnisse anderer Forscher einsetzen kann. Das geht von Pavlow bis Tinbergen, wobei letzterer bereits Grundlegendes zur Vorgehensweise aufgezeigt hat; letztlich aber erweist sich, dass man den Komplex ‚Hund‘ nicht nach einem vorgefertigten Wissenschaftmodell untersuchen kann: Allein funktioniert weder die Top-down – noch die Bottom-up Methode, die in anderen Wissenschaftzweigen eingesetzt werden. Zellbiologen lernten beispielsweise anhand ihrer immer besser auflösenden  Mikroskope hinzu: immer mehr wurde erkennbar, sie verfuhren also nach der Top-down – Von Oben- nach Unten-Methode, bei den Meteoriolen hingegen wurde und wird genau andersherum verfahren: sie benötigen Modelle in kleinem Maßstab, um darüber zu globalen Erkenntnissen zu gelangen. Im Laufe dieses Buches werden Sie sehen, wie hierbei versucht wird, den gesamten Komplex aus immer neuen Perspektiven erkennbar zu machen Auch wird natürlich die ewige Frage nach der Intelligenz von Wolf (dem ‚echten‘ Tier) und dem Hund gestreift. Und wer das von dem Hund und seinem Stammvater dem Wolf schon lange nicht mehr hören kann, wird ab hier beruhigt weiterlesen: Es wird klargestellt, dass jede Spezies anders ist, und dass kaum jemand sich wirklich vorstellen kann, auf welche komplexe Weise die genetische Ausstattung Einfluss auf geistige Prozesse nehmen kann. Aber auch: „Im Gegensatz zu anderen Tier-Spezies sind Hunde einer ‚doppelten‘ Sozialisation unterworfen, weil sie gewöhnlich einer Gruppe von gemischten Spezies, bestehend aus Menschen und Hunden, ausgesetzt sind.“

Im ‚Ausblick auf die Zukunft‘ am Ende dieses Komplexes heisst es: „Wir hoffen, dass der Hund seinen Platz (wieder) unter den ‚wilden‘ Spezies findet, die von Ethologen erforscht werden. Wie es aussieht, kann das Verhalten des Hundes in dem von Tinbergen und anderen vorgelegten Bezugssystem untersucht werden, Fragen zu den entweder endgültigen oder unmittelbaren Gründen für das Verhalten des Hundes eingeschlossen. Trotz der Bemühungen mehrerer Wissenschaftler sind Verhaltensmodelle noch lange nicht ausgereift, und die derzeitige Situation gestaltet sich schwierig auf Grund der verschiedenen Stategien zur Modellentwicklung.  (..) „

Die  zweite Gruppe behandelt: Fragen zur Erforschung des Hundeverhaltens‘. Ab Seite 86  ‚Hunde in Gesellschaft und Familie‘. – Merkwürdig, dass sich nicht schon längst Soziologen dafür interessierten, was hier eher nur erwähnt wird: „Die Verbindung zwischen Hunden und Menschen ist eine der wenigen, kulturübergreifenden Eigenschaften menschlicher Gesellschaften, wenngleich einige Traditionen oder Tabus den öffentlichen Ausdruck menschlicher Zuneigung unterdrücken. (…) „ Und gleich hier, auf Seite 87, findet sich, wie auch später immer wieder die dringende Aufforderung, dass es geradezu eine PFLICHT sei, diese oder jene ernsthafte Erforschung des Hund-Mensch-Komplexes endlich in Angriff zu nehmen.

Nun folgt logisch ab Seite 114 ‚Auf der Spur von Canis‘; und ab Seite 153 Geht es ‚Vom Wolf zum Hund – die Domestizierung‘. Nun aber, ab Seite 214 kommen wir ‚der Sache‘ immer näher: ‚In der Welt der Sinne‘. Auf Seite 256 kommen wir mit dem, wie Hunde unsere Welt sehen und verstehen ein Stück weiter: Zunächst ‚Physikalische Kognition‘, gefolgt (ab Seite 255) von ‚Soziale Kognition‘. Immer enger  eingekreist wird das Thema ab Seite 312 ‚Entwicklung von Verhalten‘, und weiter mit (S. 341 ‚Temperament und Persönlichkeit‘. Ab Seite 365 kommt aber nicht nur ‚Ausklang‘ oder Zusammenfassung‘ sondern eine handfeste Aufforderung: ‚Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert‘. .


Durch zahlreiche Versuchsanordnungen hat Miklósi gezeigt, wie exakt Hunde zum Beispiel auf Zeigegesten des Menschen reagieren und auch komplizierte Sachverhalte verstehen. In seinem Buch fasst er die neusten Erkenntnisse über Evolution, Kognition und Verhalten der Hunde zusammen und gibt einen Ausblick auf das zukünftige Zusammenleben von Mensch und Hund.

Dr. Ádám Miklósi ist Leiter des Lehrstuhls für Ethologie an der Eötvös Loránd Universität in Budapest und betreut die größte Forschungsgruppe in Europa, die sich ausschließlich mit dem Verhalten von Hunden beschäftigt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist er zudem durch seine Seminare und Vorträge bekannt.

Ingeborg Gollwitzer