Das fand ich eben in meinem Buchhandels-Börsenblatt und hoffe,
diese Info aus erster Hand interessiert viele:
“Literarisches Leben
Robert Koall nimmt für Wolfgang Herrndorf den Preis der Leipziger Buchmesse entgegen© Tobias Bohm
15.03.2012 Leipziger Buchpreis
Die Sonne hinter der Düne
Wolfgang Herrndorf schaut zu Hause in Berlin via Live-Stream zu, während sein Freund Robert Koall für ihn den Preis der Leipziger Buchmesse entgegennimmt.
Beim Fußball nennt man das eine Konzessionsentscheidung. Man könnte auch von ausgleichender Gerechtigkeit sprechen. Vor einem Jahr war Wolfgang Herrndorf bereits mit seinem fulminanten, mit den Genres des Jugendbuchs und der Road Novel spielenden Roman „Tschick“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert gewesen und als Favorit gehandelt worden. Nun hat die Jury ihre zweite Chance genutzt und den in Berlin lebenden, an einem Gehirntumor erkrankten Autor für seinen im Herbst herausgekommenen Roman „Sand“ ausgezeichnet. Er konnte sich damit gegen Sherko Fatah, Anna Katharina Hahn, Jens Sparschuh und Thomas von Steinaecker durchsetzen.
Als eine „Vanitas-Parabel“ beschrieb Jurorin Ingeborg Harms das Buch, in dem ein Mann auf der Suche nach seiner eigenen Geschichte und Vergangenheit in das Szenario eines Agententhrillers gerät. „Sand“ handele, so Johanna Adorján in ihrer Laudatio, „von der Sinnlosigkeit jeden Tuns und von der Vergeblichkeit“. Trotz dieser düsteren Seite, begeistere der Roman durch seine Komik. Man folge dem Erzähler gern. Zu behaupten, dieses Buch sei „erwachsener“ als sein Vorgänger, würde allerdings seine Eigenart, seine Andersartigkeit verkennen, so Adorján. Wolfgang Herrndorf konnte den Preis nicht selbst entgegennehmen, verfolgte die Zeremonie zu Hause als Live-Stream im Internet. Geschickt hatte er stattdessen Robert Koall, der im Namen Herrndorfs einen Satz verlas, der in „Sand“ eine wichtige Rolle spielt: „Die Sonne geht immer hinter der Düne unter, die dir gerade am nächsten ist.“
Jury-Vorsitzende Verena Auffermann© Tobias Bohm
Während der angenehm dezent inszenierten, eher nüchternen Preisverleihung stand die Sonne über der großen Glaskuppel der Leipziger Messe. Hier hatte sich der Literaturbetrieb nun schon zum achten Mal zu einem der Höhepunkte der Buchmesse zusammengefunden, ein Treffpunkt, an dem nicht nur Wetten auf die Preisträger abgeschlossen werden, sondern auch das Gemurmel des Betriebs gut vernehmbar ist: ein gesellschaftliches Ereignis, das zum Austausch von Neuigkeiten, zu internem Geplauder und Klatsch einlädt.
Bei den Nominierungen war in diesem Jahr besonders etwas auffällig, das für Juryvorsitzende Verena Auffermann den Leipziger Buchpreis charakterisiert: Offenheit und Vielfalt. Tatsächlich fanden sehr unterschiedliche Bücher ihren Weg auf die Shortlists der verschiedenen Kategorien.
Christina Viragh (rechts) mit ihrem 1700-Seiten-Übersetzungsmeisterwerk „Parallelgeschichten“ von Péter Nádasz© Tobias Bohm
Im Bereich Übersetzung wurde – wenig überraschend – Christina Viragh ausgezeichnet. Sie hat Péter Nádasz imposanten 1700-Seiten-Roman „Parallelgeschichten“ aus dem Ungarischen ins Deutsche gebracht. Eine Meisterleistung, wie die Jury befand, denn diese „ungarische Geschichte der Empfindsamkeit“ (Eberhard Falcke) sei eine Form synthetischer Literatur, die Vergangenes und Gegenwärtiges, Gesagtes und Verschwiegenes auf faszinierende Weise miteinander in Schwingung versetze. Jede Person, so Laudator Martin Ebel, habe ihren eigenen Klang in diesem „grandiosen Sprachorchester“. Die in Ungarn geborene Übersetzerin und Schriftstellerin Christina Viragh habe dieses Orchester auch im Deutschen zum Klingen gebracht.
Jörg Baberowski, Preisträger in der Sachbuch-Kategorie© Tobias Bohm
In der Kategorie Sachbuch schließlich wurde Jörg Baberowski für seine Studie über „Stalins Herrschaft der Gewalt“ geehrt. Der Preisträger zeigte sich überwältigt und gerührt und dankte vor allem seiner Frau, die über Jahre hinweg habe ertragen müssen, „dass Stalin Gast in unserem Haus war“. Selbst an deutschen Universitäten entstünden gute Bücher, stellte Laudator Jens Bisky verblüfft fest, auch wenn das immer unwahrscheinlicher werde. Der Osteuropa-Historiker Baberowski, der an der Humboldt-Universität in Berlin lehrt, habe mit „Verbrannte Erde“ ein Standardwerk geschaffen. Es lasse ein neues Bild von Stalins Terrorherrschaft entstehen. Die Lektüre bezeichnete Bisky als eine „bedrückende Erfahrung“, aber das sei der Preis, den man für historische Erkenntnis zu bezahlen habe. Und die Erkenntnis aus dieser Preisverleihung: Die Jury hat drei eigensinnige, eigenständige, beachtliche Werke ausgezeichnet. Mit Verena Auffermann bleibt zu hoffen, dass die Leser diesen Empfehlungen folgen.
Ulrich Rüdenauer
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