Felsbilder der Sahara und Spurensuche – heute – nach dem afrikanischen Geist

 

Wenn Sie in diesem wunderbar gestalteten Afrika-Bild- & Textband, mit seinen unbeschreiblich schönen farbigen Abbildungen, mal eben rund 35.000 Jahre zurückgebeamt werden (manchmal noch etwas weiter), begreifen Sie so nach und nach das Wort ‘Grundlagen’. Über die Grundlagen des Menschen kann man ja dauernd irgendwo immer wieder etwas lesen. Hier ist das anders. Hier erlebt man sie mit.

Edgar Sommer berichtet hier über Felsmalereien, und was jene Zeitzeugen, die er auf den Felswänden fotografiert hat, so erzählen von dem, wie das Damals war.

Es ist ein ganz und gar einzigartiges Buch, das man sogar dann lesen und betrachten sollte, wenn man sich eigentlich für Afrika und Felsbilder erstmal nicht interessiert. Es ist einzigartig deswegen, dass man nicht nur lernt, Felsbilder zu verstehen – was sich bei diesen herrlichen Fotos als besonderer Genuss entpuppt – sondern dass man an ganz einfachen Beispielen erklärt bekommt, auf welche Weise das Denken ursprünglich entstanden ist.

Das Einzige, was ich als Information zu diesem Buch vorfand, war (nämlich ziemlich wenig):

“Felsbilder sind der neolitische Höhepunkt von Magie und nur dieser spirituellen Ebene ausgehend zu deuten.
Peter Pannke (RBB Kultradio Berlin): “Ein Zauberbuch! …die unwirtliche Welt der Wüste wird für Edgar Sommer zu einer Fundgrube, aus der die Quellen menschlichen Bewusstseins hervorsprudeln.”

Aber – was verstehen wir eigentlich, wenn wir Fotografien von Felsbildern sehen? Ich glaube mal sagen zu können, dass wir keine Ahnung haben! Auch, wenn wir nach Infos im Internet suchen, ist die Ausbeute rundheraus nicht nur mager, sondern meistens auch etwas zweifelhaft.

Daher will ich hier einfach mal mehr oder mal weniger den Verfasser selbst zu Wort kommen lassen, was er z.B. über die Gegend, die dem Band den Titel gab, so erzählt. (Er erzählt wirklich, und man wird einfach nicht müde, ihm zuzuhören: d.h. immer weiter zu lesen!) Ich versuche es, möglichst nah an seinen Worten, einen roten Faden durch dies Buch zu ziehen, was wegen der Vieltfalt der hier aufgezeigten Aspekte einfach gar nicht anders möglich ist.

Tassili ist ein bizarr erodiertes Felsplateau in der Südsahara, dem die Tuareg diesen Namen gaben, der übersetzt ‘Stufenland der Flüsse’ heisst. Jedoch, als die Tuareg vor etwa eintausend Jahren die Tassili erreichten, war hier bereits alles Wüste. Dass sie also hier sporadisch auftauchten, war nicht wegen des Wassers (das es nicht mehr gab), sondern sie hatten einen spirituellen Grund, hier ihre Bilder zu malen.

Edgar Sommer zitiert Walter Benjamin, der meinte, diese Bilder seien nicht für ein breites Publikum gemacht, sondern ausschließlich für die Geister. In den Feucht- und Trockenzeiten des Quartärs, also unendlich lange zurück, waren – wo jetzt nichts als Wüste ist- die riesigen Flusstäler Sarra, Tilemsi, Ighaghar, Ausaak und Tafassasset. Das waren zum Teil breit ausgefächerte Flüsse, die schließlich in Lagunen verdunsteten oder in Senken versickerten. Tafassasset ist möglicherweise in den Atlantik gemündet, dort, wo heute das Niger-Delta ist.

Für die Primitiven (eigentlich mag ich das Wort nicht, es ist bei uns heute so negativ besetzt), also die damals lebenden Menschen war (und ist) aber das Wasser viel mehr als für uns. Zudem denken sie anders als wir, nämlich anschaulich. Dieses gestalthafte Denken ist der Schlüssel zu ihrem Weltbild und der Hintergrund ihrer Kunst und Religion. Und hier sollte jedermann genau lesen: Aus diesem frühen Denken entstand letztlich auch das unsere, wir finden Hinweise dazu, ‘wie das eigentlich entstanden ist’ in diesem Buch mit seinen wunderbaren, ganz herrlichen Meisteraufnahmen, und seinem klugen, nachdenklichen Texten.

Damals also stellten die sich das so vor: Um an reales Wasser wieder heranzukommen, es herbeizulocken, musste der Mensch eigentlich ‘nur’ an den Ursprung des Wassers herankommen, also an den Geist des Regens. Doch wo konnte dieser Geist sein? Wie konnte man ihn fassen? Wie seine Gestalt und sein Wesen finden?

Nach der damaligen Logik war dieser Geist dort zu suchen, wo er sein Wesen trieb, wo er sich versteckte: entweder in der Nähe der Orte, wo Wasser einmal gewesen war, oder aber in seiner Verwandlung: Im Tier, in einer anderen Gestalt. Denn das war es: Ein- und dasselbe Wesen konnte verschiedene Gestalten annehmen. Analog konnte der Geist des Wassers deshalb auch im Bild des Tieres sein, denn zwischen Bild und Darstellung wurde im primitiven Weltbild – das die Dualität Subjekt-Objekt nicht kannte – nicht unterschieden. Das Bild trug den Geist in sich, das Wesen. Das Bild eines Tieres konnte deshalb den Geist des Regens enthalten und damit den Ursprung des Regens.

Die damaligen Felsbilder sind nicht als eine praktische Suche nach Wasser allein zu verstehen; vielmehr ging es um Zusammenhang und Verstehen, dies geheimnisvolle Etwas, was wir heute Glauben nennen, steckte schon damals in den Menschen; sie brauchten das. (In diesem Zusammenhang möchte ich etwas anmerken: Glauben hat im Laufe sehr langer Zeiten immer wieder neue Gestalt angenommen. Götter sind gekommen und wieder vergangen. Seit zweitausend Jahren prägt uns das Christentum. Aber in der Vergangenheit ist eben auch immer wieder ein Zeitpunkt gekommen, in dem Menschen an neue ‘Götter’ oder andere Religionsformen zu glauben begannen, weil ihr Wissen um die Zusammenhänge wieder ein Stück gewachsen war. Vielleicht ist das hier beschriebene Beispiel ganz hilfreich, das 21. Jahrhundert zu verstehen, bzw. wachsamer zu beobachten. Nun ja, soetwas kann einem durch den Kopf gehen, wenn man in der endlosen Wüste ist.)

Die Menschen damals hatten auch ein anderes Zeitgefühl als wir. Was sie erlebten, war die kosmische Zeit am Verlauf der Mondphasen und die Zyklen von Leben und Tod spielten sich im gleichen Raum ab, in dem jedoch kein Ziel angezeigt ist. Da dies ein andauernder Prozess ist: alles ist anschaulich = begreifbar. Demzufolge fehlt ihnen jede Transzendenz.

Viele der vom Schicksal umschwirrten Geister Afrikas kommen seit Jahrtausenden geradewegs aus der Erde: Ihre Symbole sind das Krokodil, die Schlange, der Waran. Diese Echsen stehen für die Kraft der Erde. In ihnen sind die Geister des Wassers und des Feuers. Das Auffinden der Felsmalerei und Deutung kann für einige Leser, die davon lesen, recht belanglos sein Wenn man aber Edgar Sommer folgt, wird etwas außerordentlich Spannendes daraus. Er meint, dass die Inhalte der Bilder metaphysisch sind, denn der (ihr) Geist lebt in der Zeit – also bis heute -fort.

Wirklichkeiten bestehen im Wesentlichen aus Bewusstsein. Darin ist beispielsweise der Löwe der Khoi-/Xam Metapher für die Sonne, die den Tod bringt. Aus diesen Metaphern entsteht Wirklichkeit, sie ist also an Kultur gebunden. Für Edgar Sommer war es vorrangig herauszufinden, wie jene Menschen gedacht haben könnten – und nicht so sehr, was. Ihm ging es um deren Wirklichkeit. So begann also de Suche nach dem Geist.

Was er aber da über die Steinzeitaltler schreibt, gibt auch unserem Denken eine gute Grundlage. Steinzeitler waren unbefangen. Sie kamen gar nicht auf die Idee, dass viele Ereignisse – die sie eben gut oder schlecht hinnehmen und durchleben mussten – irgendwelchen Naturgesetzen folgen könnten, also Ursache und Wirkung zeigten. Alles, was ihnen widerfuhr erlebten sie als Aktion, als Reaktion und Zeichen von ‘Wesen’. Die Welt war für sie kein Gegenstand. Die Menschen sahen sich, ebenso wie Regen und Tiere, als Teil eines geschlossenen Geschehens, eines ständigen zyklischen Werdens, dessen Gesetze und Mysterien sie versuchten zu reflektieren. (So, wie es uns vermutlich gehen würde, gelangten wir mit unseren Familien und anderen Menschen, durch irgendeinen ??? auf einem entfernten Planeten. Wir haben keinerlei Informationen, müssen uns zu ernähren versuchen, was ja gelingen muss, Kinder werden geboren, andere wieder sterben, und wir versuchen, aus allem was geschieht und uns begegnet, herauszufinden, womit wir uns am Leben halten können – mehr haben wir nicht zu denken, und das ist ziemlich viel, und für anderen Gedanken hätten wir auch überhaupt keine Zeit.)

Felsbilder als Zeichen des ‘Geistes’ jener Menschen sind ikonographische Symbole, zum Teil sicher auch Symbolketten, und kennen ihrerseits keine Trennung zwischen Geist, Dingen und Wesen. Hier sagt Edgar Sommer etwas in meinen Augen sehr Wichtiges: >Wenn wir heute jedoch diese Bilder wie Kunstgegenstände betrachten, ist das nicht richtig und entspricht nicht dem ursprünglichen Sinn; denn Felsbilder sind keine Gegenstände, auch im Nachhinein nicht. Ihre Inhalte sind weder Information noch ästhetische Struktur noch Ersatz für Tatsachen, also keine Abbildungen. Sie sind immer und überall und auch im Hier und jetzt lebendige metaphysische Botschaften, festliegend in Raum und Zeit.<

Das war für mich das Wichtigste, was ich bei diesem Buch gelernt habe – und was für mich einen ganz neuen Ansatz gab, diese Bilder zu betrachten. Er ergänzt diesen Satz noch: So werden sie zu authentischen Zeitinseln, indem sie Zeit und Geist festhalten, als Reflexe einer bestimmten, bewusst erfahrenen Wirklichkeit,. Ihre Botschaft ist die Frage und Antwort nach der Einheit des Menschen mit dem Planeten Erde und seiner Zeit.<

Ach, Geister sind in Afrika immer noch gegenwärtig, und als sich Herumgesprochen hatte, dass Edgar Sommer herumführe, um Geister zu fotografieren – wurde er gar, als ein Auto einmal nicht ansprang, geholt, um den bösen Geist zu vertreiben.

Von allem, was einmal geschah, gibt es Spuren auf der Erde, auch unsichtbare. Auf Seite 52 ist die Fotografie eines Geistersteins oberhalb des Brunnens, auf dem sowohl Tiere als auch eine menschliche Gestalt (des Zauberers) zu erkennen ist. So enthält dies Buch eine riesige Menge hervorragender Fotos, auf denen man – wenn man weiß, was die Zeichnungen bedeuten – lesen kann wie in einem Buch. Die alten (damaligen) Zauberer waren mächtig: Sie sind als eine Art Strichmännchen ‘fotografiert’ und um sie herum die unterschiedlichsten Tiere. Man kann aber auch tanzende Figuren erkennen.

Aber was ist dort dargestellt? Mächtig waren sie, die alten Zauberer, konnten sie doch selbst die unsichtbaren Spuren erkennen und so auch spüren, wo die Geister zu finden waren. ‘Geister-haft’ war für sie nämlich, wie und wo Regen entsteht. Aber sie konnten daher auch spüren, wie und wo der Regen entsteht. Wenn sie, so mächtig sie auch waren, nach langer Trockenzeit den Geist des Regens finden musste, war das auch gefährlich. Auch sich selbst konnten ja die Zauberer durch ihre Zeichen in Geister verwandeln, manchmal auch in Tiere. So kamen sie in das Land der Geister, wo alles entsteht. Es heißt: Der Geist des Regens muss viel Wasser mit sich herumschleppen., des halb sieht er aus wie eine riesige girba. [Das ist der Wassersack der Nomaden, aus einem Ziegenbalg hergestellt.] Nun´war er ja auch einige Zeit ein Tier, weil der Geist auch gern im Tier war. Sein Lieblingstier war die Antilope – und wenn die Antilope groß und dick [gezeichnet] war, war sie wie eine riesige girba.

Der Regenzauberer war auch ein Jäger – er jagte nämlich den Geist, der das Wasser bringt. Er jagte ihn, indem er das Regentier malte; dann tanzte er so lange davor [daher auch immer Figuren von Tanzenden zwischen den Tierbildern] bis der Geist darin neugierig wurde; wenn er den Regenzauberer dann erblickte, wie der tanzte und schrie, erschrak der Geist. Das Regentier platzte und es regnete.

Beim Auswerten seiner zahlreichen Fotos von Felsbildern greift Edgar Sommer immer wieder auf ältere wissenschaftliche Literatur zurück, um seine Bilder mit dem zu vergleichen, was früher bereits wissenschaftlich untersucht worden war. Dabei macht er erstaunliche Entdeckungen. Sind diese imaginären Bilder eigentlich männlich oder weiblich? In archaischen Weltbildern ist die Erde weiblich, der Regen männlich. Oft findet er Tänzer mit Masken. Tanz ist in archaischen kulturen immer sakral: Zeremonie, Zauber. magische Verwandlung. Im ausgehenden Paläolithikum gab es in der Sahara noch Flusspferde, Nashörner Giraffen, Krokodile, Esel; die aber waren kein Jagdwild. Findet man diese also den Felsmalereien, wird dort kein Jagdwild festgehalten, sondern Fruchtbarkeitssymbole oder Tiergottheiten. Giraffen werden auch als Vorboten des Regens dargestellt; dazu gibt es ein wundervolles Foto. Für die damaligen Menschen waren Tiere in mystisch eben der Natur überlegen; sie waren eins mit der Natur.

In diesem Rahmen hier konnte ich nur auf wenige Aspekte von Tafassasset eingehen – zu viel ist es, wovon uns der Verfasser zu berichten weiß. Auch, dass er auf oft sehr lebendige Weise von dem Abenteuer berichtet, das es ist, wenn man in der Wüste unterwegs ist, um – oft sehr verborgene – Felsbilder zu finden und zu fotografieren.

Ich wünsche diesem Buch sehr viele Leser, die Ihnen – selbst, wenn ihnen dieser Themenbereich eigentlich fremd ist, eine unvergleichliche, sehr, sehr weite Lese-Reise bescheren wird. Immerhin ist es auch ein sehr lebendiges Afrika-heute- Buch!