Wieso Familie und Beruf nachweislich nicht zu vereinbaren sind – Und die Folgen: Gesellschaftlicher Sprengstoff!

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„Beruflicher Erfolg macht glücklich“und „Die Zukunft ist weiblich“. So tönt es uns unverdrossen allerorten entgegen – und ziemlich sehr viele Frauen können das schon lange nicht mehr hören. Nämlich dann, wenn sie schon mal selbst ausprobiert haben, nicht nur den Beruf, sondern obendrein auch eine Familie haben zu wollen.  Wie die Autorinnen.

 

Und wenn jetzt eventuell sofort ein männlicher Leser, der dies gerade liest, einwendet, das sei bloß so ein Gerede von zwei überkandidelten Akademikerinnen (womit der die beiden Autorinnen s.u. meint). Nun ja, erstmal kann man von ihm keine Einsicht verlangen: Das hier geschilderte Problem ist sozusagen erst ‘neueren’ Datums: Es entwickelt sich tatsächlich erst nach 1945. Genau genommen ab etwa 1960, mit der sog. ‘Zweiten Welle der Frauenbewegung’. (Derzeit haben wir die sog. ‘Dritte Welle’.)

„Beruflicher Erfolg macht glücklich“ und „Die Zukunft ist weiblich“. Wer also diese beiden Schlagzeilen  nicht (mehr) glauben mag, (obwohl sie das eigentlich mal geglaubt hat) weil er  (sie)  gerade gegen den alltäglichen Wahnsinn kämpft:  der Versuch, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen … dem eher verschämten Seufzer wird gerne gerne mit einem Killerargument begegnet: „Das ist doch alles nur eine Frage der Organisation“.  Ist es eben nicht.

Im Gegensatz zu den beiden Autorinnen, deren Kinder ja noch jung sind.  weiß ich noch mehr: Ein Kind ist nicht nur eine Angelegenheit von neun Monaten, die ‘Tragzeit’ eines Kindes kann zwanzig, dreißig oder noch mehr Jahre ‘kosten’. (Meine sind inzwischen Fünfzig) Und immer noch ist ein Teil davon in mir drin und ‘kostet’ – wenn wir schon von ‘Kosten’ sprechen wollen –   sagen wir mal etwa 1/4 Gehirn, aus dem  allerdings ein völlig neues Gehirn sich entwickelt hat. Das führt zu anderem Sehen und zu anderen Gesichtspunkten.

(Es sei denn, wir sind vom Typ Johanna Schopenhauer, die ihren Arthur mit etwa zwanzig abrupt von sich geradezu ‘abgesägt’ hat – wogegen er sich zwar zu wehren versuchte; völlig umsonst. Es lohnt sich, darüber nachzulesen. Eine – sehr! erfolgreiche – ‘Emanze’ schon  zu Goethes Zeiten.)

Zum Buch zurück, dem ich auch aus meiner Sicht viele nachdenkliche LeseR/innen wünsche. Wenn man wiedermal rechnet: Es geht nicht an, dass die Hälfte der Menschheit – ganz gleich wo – und eben bei UNS schon garnicht, ziemlich allein einem Riesenbeitrag des elementaren Lebens trägt bzw. bewältigen muss.

Aber  für „Beruflicher Erfolg macht glücklich“ und „Die Zukunft ist weiblich“ bleibt dabei meist keine Zeit mehr übrig. Stattdessen wird sie dabei dabei, auch vom Arbeitgeber bzw. den ehemaligen Kollegen, unterschätzt und gelegentlich über die Schulter angesehen, verliert, außer ihrem Selbstbewusstsein, auch noch ihren beruflichen Anschluss: Überall überschlägt sich stündlich neues Wissen. Was gestern noch galt, ist heute schon alt. Wie aber und wann in den Beruf zurück? Auch stundenweise kommt man kaum auf den Posten, wo man mal war, zurück.  Hinzukommt: Ein (oder gar mehr) Kinder sind ein Ganztagsjob, wo man nicht eben mal einfach mal wegkann.

Zumindest den derzeitigen Müttern hat man besondere Verlockungen in der Jugend vorgegaukelt: „Beruflicher Erfolg macht glücklich“ und „Die Zukunft ist weiblich“. Dazuhin haben sie gelernt und sich angestrengt  – und nicht alle haben und hatten, wenn sich ‘andere Umstände’ ergeben,   wie ich ein paar tüchtige, ältere Zugehfrauen (die auch mal von was anderem geträumt hatten!).  Die haben mir alles beigebracht, wovon ich zunächst überhaupt kaum eine Ahnung hatte: Fensterputzen ohne Streifen, Kochen, Backen,  rationell arbeiten, rationiert haushalten. Ich habe es ihnen damals immer wieder gesagt und wiederhole mein ‘Danke’ hier nochmal ausdrücklich.

Bei uns endete der Kindergarten um 11 Uhr. Mussten natürlich abgeholt werden. Und wieder hin. Meine Kinder waren danach so heißgespielt und müde, dass sie nach dem Mittagessen bis nach 15 Uhr fest schliefen. Ich mochte sie nicht wecken. Um 16 Uhr hätte der Kindergarten ohnehin schon wieder zugemacht. Und dann die vielen Ferienzeiten des Kindergartens!  Und später das Drama, als plötzlich der Samstag schulfrei wurde. Wie viele, musste auch ich samstags arbeiten!

Dummerweise hatte ich auch noch soetwas wie einen ‘Chefposten’. Ich musste in den Betrieb, die Räder mussten und sollten sich drehen. Gottseidank hatte ich einen absolut emanzipieren Mann, mit dem ich mir – fast wie im Ballspiel – in den ersten Jahren die Aktionen zur Kinderversorgung etwas wie zuwerfen konnte. ‘Ich kann grad nicht – gehst Du mal eben?’ Er konnte alles (außer Stillen, was auch ich nicht geschafft habe.) Anders wurde es später bei den Hausaufgaben: Da war ich geduldiger und gleichzeitig zäher. Da musste ich oft nachts nacharbeiten, was ich nachmittags an Arbeit ‘eingebüßt’ hatte.

Zu meiner Zeit: An ‘Ganztagsschulen’ noch kein Gedanke. (Heute redet man wenigstens darüber.) Dafür damals  Riesenklassen (vierzig oder gar sechzig Kinder), wir produzierten gerade die ‘geburtenstarken Jahrgänge’. Vielfach aus Lehrermangel (den gibt es ja immer noch!) ungeübte  Junglehrer, die es nicht einmal fertigbrachten, dass die Kinder ihre Hausaufgaben ordentlich notierten. Also nach dem Mittagessen erstmal telefonieren: Was hat Ihrer oder Ihre aufgeschrieben? Bis man – wenigstens vermutlich – eben alles beisammen hatte. Wie schön die zweite und dritte Klasse mit einer ‘richtigen’ Lehrerin. Holte ich die Kinder direkt vom Klassenzimmer ab, hörte man sie drinnen nochmal laut im Chor die Hausaufgaben ‘nachbeten’.

Hat sich bis heute viel geändert? Manches schon: Kitas werden gebaut (aber wer wird dort die Kinder wie betreuen?) Wie werden sie verköstigt, kann man sie dem überhaupt überlassen? Ich habe noch einen treffenden Satz aus einer diesbezüglichen Diskussion im Ohr: ‘Wenn Sie einen jungen Hund haben, den geben Sie doch auch nicht tagsüber beim Nachbarn ab.’

Aus den früher eingespielten Spiel- und Abenteuergemeinschaften karren heute Schulbusse die Kinder vieler Gegenden zur Schule. Oft ungefrühstückt (was ich bis heute nicht begreifen kann.) Auch in diesen Schulen erst zaghaft   beginnende Verköstigung, sonst wenigsten ein Hausmeister, wo man mit den mitgebrachten Euromünzen Kakao, Süßigkeiten kauft – die die Kinder oft zuhause aus wohlüberlegten Gründen – nicht bekommen. Manche haben sogar Pausenbrot und Obst mit – und manche geben ab an die, die weder Euro noch Pausenbrot mitbrachten.

Damals hätten wir Mütter überhaupt nicht gewagt, etwa über die Institutionen Kindergarten und Schule nachzudenken. Kindergarten war sowieso ziemlich teuer (bis heute!), wenigstens war das Schulgeld für Gymnasium zu unserer Zeit abgeschafft, was meiner verwitweten Nachkriegs-Mutter mit uns drei Fahrschulkindern noch viel Kopfzerbrechen bereitete. – der Bus kostete noch zusätzlich –  .

Aber (ganz) damals, wie später bei uns und wohl bis heute: Eltern, bzw. Mütter sind sich viel zu wenig darüber klar, dass sie einen Anspruch dem Staat gegenüber haben, was dieser hinsichtlich Kindergärten, Schulen oder später Universitäten an Nachdenken und Planung vorzuleisten hat. Mit jedem Geburts-Jahrgang kann man ohne weiteres hochrechnen, wie viele junge Menschen im Verlauf ihres Lebens und wann auf einen zukommen werden. (Von wegen überraschend hoher Schüler- bzw. Studentenandrang!) Auch nach Geschlechtern getrennt könnte man hochrechnen.

Man könnte, wenn man wollte, auch hochrechnen, wieviele junge Frauen möglicherweise studieren und Überlegungen anstellen, was diese dann nach abgeschlossenem Studium überhaupt für Möglichkeiten haben und haben müssen. Ich spreche schon gar nicht von: Mehr Frauen in die Vorstände. Vorher hat sich schon manche Frau überlegt:  Erstmal kein Kind. Dann, Ende dreißig: Doch noch schnell wenigstens ein Kind. Für gar manche ist jedoch ihre Uhr bereits abgelaufen.

Und wie ist das mit den immerhin ‘gelernten’, aber unstudierten Frauen? Die dann eben einfach – gelegentlich überraschend – ein Kind bekommen? Den entsetzlich und viel zu vielen ‘Alleinerziehenden’, wie man sie so schön nennt – oft am Rande des Existenzminimums – vielleicht auch darunter? Außerdem gibt es noch eine, überraschend große Zahl alleinlebender Männer, oft Väter. ‘Singlehaushalt’ ist der Ausdruck auch dafür.

Genau genommen, und davon handelt dieses notwendige Buch, gibt es weder von staatswegen, noch auf Seite der Arbeitgeber ein Konzept, wie sich Familie und Beruf vereinbaren lässt. Das gilt hauptsächlich für Frauen, aber auch für emanzipierte Väter, die sich in ihre Familien einbringen möchten.

Die beiden Autorinnen haben vorbildlich und gründlich gearbeitet! Das sind keine ‘spinnerten Akademikerinnen’ mit zu viel Freizeit! Vor allem wissen sie eins: Es darf, ganz gleich aus welcher Perspektive man es betrachtet, ganz einfach so nicht weitergehen. Obwohl eine Änderung einfach manchmal unmöglich zu sein scheint, wieviel es dabei zu bewältigen gilt. Sie werfen auch einen Blick auf andere Länder: Selbst im ziemlich vorbildlichen Schweden sind es die Frauen, die dann doch draufzahlen.

„Beruflicher Erfolg macht glücklich“ und „Die Zukunft ist weiblich“. Susanne Garsoffky und Britta Sembach entlarven diese Sätze als die Lügen, die sie sind, und fordern mehr Ehrlichkeit bei diesem Thema, denn wir können und müssen aus der Vereinbarkeitsmisere herausfinden.

Wer Familie und Beruf gleichzeitig leben will, zahlt einen Preis und dieser Preis ist hoch. Auch wenn man uns immer weismachen will, dass wir beides haben können: Kinder und Karriere und dass alles möglich ist, so haben doch fast alle von uns am eigenen Leib erfahren, dass das einfach nicht stimmt.

Da hilft es auch nichts, wenn man uns vermeintliche Vorbilder von Victoria Beckham bis Ursula von der Leyen vor die Nase hält, denn wir sind halt nicht so, sondern ganz normal.

Es gibt keine Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und das ist auch keine Frage der Organisation. Es gibt nur ein Nebeneinander. Strukturelle Probleme verlagern wir auf das Individuum und das kann auf Dauer nicht gutgehen.

Susanne Garsoffky und Britta Sembach geht es nicht um individuelle Lebensentwürfe und weitere Selbstoptimierungsversuche, sondern um gesellschaftliche Solidarität. Die gehört auch mit zur Demokratie! Sie zeigen, wie mögliche Lösungen für unsere Gesellschaft aussehen könnten. Sie legen aber auch einen Finger auf viele und deutliche offene Wunden.

Hoffentlich wird man ab jetzt darüber nachdenken (müssen). Mit Sätzen wie dem: Die Frauen sollen sich ruhig zu Kindern trauen, ich habe es doch auch geschafft! … Ziemlich vielen ist das – ganz ohne eigene Schuld – eben nicht gelungen. Das Absinken unserer Geburtenzahlen spricht eine eindeutige Sprache. Schon mal überlegt? (Glücklicherweise liegt Deutschland bei der ‘notwendigen’ Pro-Kopf-Kinderzahl in Europa mal nicht an der Spitze. Aber auch in unserem ‘Mittelfeld’ sind es noch zu wenige. (Wegen der Bestandserhaltung! 🙂

Mir tut das leid: Denn Kinder zu haben ist – und das weiß ich so genau wie nur irgendwas: Das schönste Geschenk, das eine Frau bekommen kann; noch dazu eines, wovon sie ein Leben lang hat.

Wenn ich jedoch zurückdenke: Angesichts des Mutes, den wir damals hatten, schaudert es mich heute. Es ist mir heute auch ein Rätsel, wie wir das rein zeitlich schafften. Im Gegensatz zu früher sehe ich das alles heute erheblich kritischer. Ich habe zu viele scheiternde und verbitterte Frauen erlebt. Das ‘System’ verwehrte ihnen alle Chancen vor allem auf ein erfülltes Familienleben!

Dieses ‘System’ ist  bis heute nahezu unverändert.  „Beruflicher Erfolg macht glücklich“und „Die Zukunft ist weiblich“ – “Mehr Frauen in die Vorstände” – “Alles nur eine Frage der Organisation” – heißt es heute plötzlich. Das klingt in den Ohren derer, die das tatsächlich mal geglaubt haben, fast wie ein Hohn.

 

Ein bisschen Statistik sollte man ab und zu mal betrachten:

 

2012: Jede fünfte Frau zwi­schen 40 und 44 Jah­ren ist kinder­los.
Geburtenentwicklung : 2001:  734 475 zum Vorjahr: -32 524  2013: 682 100 +8 556 (vorläufig)

Ich hätte noch ein paar Statistiken zum Nachdenken: Hier ein Link (das Kopieren der Statistik misslang mir 🙂

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/HaushalteFamilien/Tabellen/FamilienKindern.html

 

Das war’s. (Ist’s)

Die Autorinnen:

Garsoffky, Susanne

Susanne Garsoffky, geboren 1968, studierte Geschichte und Politikwissenschaften. Nach der Journalistenschule in Berlin arbeitete sie zunächst als Reporterin bei der Berliner Morgenpost. Dann folgte der Wechsel als Autorin und Redakteurin zum Westdeutschen Rundfunk nach Düsseldorf und Köln. Zuletzt gestaltete sie als Redakteurin das frauenpolitische Magazin frauTV mit. Susanne Garsoffky ist verheiratet und Mutter zweier Söhne.

Sembach, Britta

Britta Sembach, geb. 1968, studierte Politikwissenschaft, Geografie und Portugiesisch in Köln und Hamburg. Nach einem Zeitungsvolontariat in Halle an der Saale arbeitete sie als Redakteurin, Reporterin und Autorin für eine renommierte Nachrichtenagentur, diverse Printmedien und TV-Sender. Seit mehreren Jahren ist sie neben ihrer journalistischen Arbeit in freier Praxis als Mediatorin BM® und Kommunikationstrainerin tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne.

 

 

Die Alles ist möglich-Lüge
von Garsoffky, Susanne; Sembach, Britta;
Gebunden
Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind. 256 S. 215 mm 434g , in deutscher Sprache.
2014   Pantheon
ISBN 3-570-55252-7
ISBN 978-3-570-55252-0 | 17.99 EUR