Theorie über die Grundlagen und Mechanismen des Denkens

kwlbfmwtEs ist etwa 30 Jahre her, dass ich Hofstaedters Buch „Goedel, Escher, Bach“ gelesen habe. Damals habe ich mich intensiv mit mathematischer Logik beschäftigt und Hofstaedters Buch über selbstbezügliche Sätze und ihre Erscheinungsformen in Kunst, Musik und Logik faszinierten mich zutiefst. Ein Buch über grundlegende theoretische Formalismen verführte mich zum Spiel mit formalen Denkobjekten und half mir kreativ zu werden in einer Ecke meines Denkens, in der ich es nicht vermutet hätte.

Hofstaedters neues Buch verführt den Leser in ähnlicher Weise zum Selberdenken und ist ausserordentlich lesenswert.

Zusammen mit seinem Kollegen Emmanuel Sander entwickelt

Hofstaedter eine Theorie über die Grundlagen und Mechanismen des Denkens, wobei die Grundelemente der Theorie nicht notwendigerweise beschränkt sind auf menschliches Denken. Das Ergebnis der Zusammenarbeit beider Autoren –im Folgenden H/S abgekürzt– ist eine im besten Sinne unterhaltsame Lektüre, denn die Argumente und Belege für ihre an sich abstrakte Theorie finden H/S in alltäglichen Beispielen und Anekdoten, zu denen jedem Leser sofort Vertrautes aus dem eigenen Umfeld in den Sinn kommen wird. 

So wird im Prolog die rhethorische Stilfigur des Zeugmas benutzt, um den Zusammenhang zwischen Wörtern, ihren vielfältigen Bedeutungen und den mehrfachen Zuordnungen ein und desselben Wortes zu oft gänzlich verschiedenen Kategorien sozusagen wortspielerisch zu verdeutlichen. Ich konnte gar nicht anders, als bei Ringelnatz, Morgenstern und Erhardt nach weiteren Beispielen zu suchen und „Analysen“ im H/S-Stil anzustellen.

Zeugmata ermöglichen es uns, so H/S, über die „verborgene Struktur hinter der Oberfläche eines Worts oder einer Wendung nachzudenken“. Ein zeugmatischer Satz verwendet dasselbe Wort in verschiedenen Bedeutungen zugleich, so dass man gewissermaßen mitten im Satz „umschalten“ muss.

Mit beispielhaften Analysen dieses vordergründig amüsanten Wandels der Wortbedeutung an Ort und Stelle machen H/S dem Leser bewusst, wie deutlich getrennt und gleichzeitig unscharf die Kategorien sind, denen ein Wort zugeordnet ist. Diese Kategorien sind mentale Strukturen, die wir im Lauf der Zeit erweitern und anpassen und die uns helfen, Situationen, in denen wir uns gerade befinden zu verstehen. Gemäß H/S ist der Motor hinter der Bildung von Kategorien, das permanente Finden bzw. Erfinden von Analogien.

Die Kerngedanken des Buches werden bereits im knapp 40 Seiten langen Prolog umrissen und mit Beispielen dargestellt; auch liefert dieses Kapitel eine zusammenfassende Darstellung der weiteren Kapitel, die sich als Navigationshilfe eignet, da man das Buch sehr gut auch einer von der eigenen Neugier vorgegebenen Reihenfolge lesen und sich mit den unterschiedlichen Aspekten des Bildens und Anwendens von Analogien und Kategorien beschäftigen kann.

Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis, das die Textstellen nicht nur mit Seitennummern auflistet, sondern auch den Kontext andeutet, indem das Stichwort jeweils verwendet wird, erleichtert das Querfeldeinlesen erheblich.

Zuweilen frage ich mich allerdings, ob es wirklich soviele und jeweils gerade die gewählten Beispiele, Anekdoten, Aspekte etc. sein mussten, ob die Darstellung nicht auch hätte kürzer ausfallen können, ohne deswegen trocken zu werden. Im dritten Kapitel wird z.B. der Bildung von Analogien im Denken von Hunden ein kurzer Abschnitt gewidmet. Das ist zwar einerseits interessant und wird sicher hundeinteressierte Leser ansprechen, die die beigesteuerten Anekdoten zu Erlebnissen mit ihren eigenen Vierbeinern in Bezug setzen können. Jedoch wird das Thema nicht weiter vertieft, indem etwa Bezüge zur Evolution des Menschen und des Bewusstseins untersucht werden. Stammesgeschichtliche Entwicklung, tierische Denkprozesse sind nicht Gegenstand des Buches und vielleicht auch nicht der dargestellten Theorie, aber bedarf es dann dieses Ausflugs.

Ein anderes Beispiel über das ich gestolpert (eine Analogie!) bin, ist die –letztlich nicht haltbare– Analogie zwischen Sonnensystem und Bohrschem Atommodell im Zusammenhang mit dem Übergang von oberflächlicher zu tiefschürfender Analogie. Warum gerade dieser Fall eine tiefschürfende Analogie sein soll, wird leider nicht weiter vertieft.

Sind Denkprozesse in den Köpfen von Wissenschaftlern besonders interessant aus Sicht der H/S-Theorie? Sind theoretische Physiker zu besonderen Leistungen im Bereich der Bildung von Analogien und Kategorien fähig? Oder ist es gerade im Gegenteil erstaunlich, dass das ganz alltägliche Erfinden von Analogien ausreichend ist, um hervorragende wissenschaftliche Ergebnisse hervorzubringen? Mich hätte schon interessiert, warum H/S gerade dieses Beispiel gewählt haben.  ( Matthias Gollwitzer)

Jedoch liegen alldem zunächst ganz einfache Vorgänge zugrunde:Sie steigen in einen Aufzug, mit dem Sie noch nie zuvor gefahren sind. Wissen Sie, was Sie tun müssen, um nach oben zu kommen? Natürlich und der Grund dafür sind die Analogien: Der Aufzug funktioniert wie alle anderen Aufzüge.

Alles, was wir wissen, setzen wir in Beziehungen und schaffen es dadurch, Ähnlichkeiten zu entdecken, uns im Chaos der Welt zurechtzufinden. Diese Ähnlichkeiten machen wir uns täglich und meist ganz unbewusst im Umgang mit Neuem und Fremdem zunutze.

Wie dieses Feuerwerk des Denkens „funktioniert“, das zeigen Douglas Hofstadter, brillanter Autor und Pulitzer-Preisträger, und der Psychologe Emmanuel Sander. Sie nehmen uns mit auf eine abenteuerliche Reise in die Welt der Sprache und des Geistes und sie zeigen uns, warum Gedanken ohne Einfluss der Vergangenheit undenkbar sind. Ein inspirierendes Lesevergnügen!

Die Analogie
von Hofstadter, Douglas R.; Sander, Emmanuel;
Gebunden
Das Herz des Denkens. Aus d. Engl. v. Susanne Held .   Originaltitel: Surfaces and Essences 2. Aufl. 784 S. 229 mm 1212g , in deutscher Sprache.
2014   Klett-Cotta
ISBN 3-608-94619-5
ISBN 978-3-608-94619-2    34.95 EUR