Die Ursprünge der menschlichen KommunikationDie faszinierende Naturgeschichte der menschlichen Kommunikation –
Neues über den Ursprung der Sprache

Ein Zitat aus Ludwig Wittgensteins Philosophische Untersuchungen steht als Erstes über diesem wahrhaft aufregenden Buch: Zeige auf ein Stück Papier! – Und nun zeig auf seine Form,
– nun auf seine Farbe, nun auf seine Anzahl … Nun, wie hast Du das gemacht?

Michael Tomasello ist Kodirektor am Max Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Das große Thema seines Lebens ist im Grunde der Mensch. Aber man kann diesen nur in der Form verstehen, untersuchen und beschreiben, wenn man weit in seine Entwicklungsgeschichte zurückgeht: an seine Anfänge. Seit dem (so oft missverstandenen) Darwin hat sich irgendwie allgemein eingeprägt, dass der Mensch vom Affen abstamme. Natürlich hat Darwin das auch nicht so gemeint; dennoch: so missverstanden, hat es ihm seinerzeit viel Ärger eingebracht.

Also: Tatsächlich hat sich der Mensch aus einer Nebenlinie der Affen weiterentwickelt, die sich vor Millionen von Jahren eben von der Linie der Affen abgespalten hat. Daher hat man auch lange gebraucht um zu verstehen, dass man Mensch und Affen nicht generell vergleichen kann.

Michael Tomasello ist also davon ausgegangen, dass, wenn man den Menschen in seiner Einzigartigkeit irgendwie begreifbar machen will, man untersuchen muss, inwiefern er sich von seinen nächsten Verwandten im Tierreich unterscheidet und von welchen Grundlagen aus sich die einzigartigen menschlichen Fähigkeiten entwickelt haben. Endlich kann man das jetzt nachlesen:

Menschen sprechen – im Gegensatz zu allen anderen bekannten Lebewesen auf diesem Planeten. Generationen von Wissenschaftlern haben sich an diesem bemerkenswerten Faktum abgearbeitet, Spekulationen über die Herkunft der menschlichen Sprache gibt es viele, aber bis heute keine überzeugende Erklärung. Natürlich kommunizieren auch wohl alle anderen Lebewesen miteinander. Aber sie können – darüber wurde und wird viel geforscht – zwar einander konkrete Mitteilungen übermitteln – was sie nicht können ist: Sich in ihren Kommunikationspartner hineinversetzen und ihm Antworten, Gefühle und Überlegungen mitteilen – ebenso können sie nicht über einen anderen oder etwas Abwesendes ‘reden’.

Aus der frühen, bloßen Kommunikation und Sprache hat sich ja letztlich auch die Schrift des Menschen entwickelt, und ihm so erst seine einzigartige Evolution möglich gemacht. Tomasello hat nun aus der praktischen Erforschung der Primaten und vielen Theorien der Sprachphilosophie und anhand einer Vielzahl von schlagenden Beispielen aus der menschlichen Alltagskommunikation ein mehrstufiges Modell der Sprachentwicklung in individualgeschichtlicher wie auch artgeschichtlicher Perspektive herausgearbeitet.

Man muss es sich klar machen: So ähnlich uns Affen, beobachtet man sie, auch sein mögen: Es ist noch niemals gelungen, ihnen beizubringen, auch nur ein einziges Wort zu sprechen. (Andererseits können Menschen die Laute von Tieren täuschend echt nachahmen: Vogelstimmen, das Röhren der Hirsche in der Brunftzeit, das Fiepen von Rehen, um nur einige zu nennen.) Noch etwas anderes erwähnt Tomasello: Die noch immer nicht restlos erforschte einzigartige Kommunikation zwischen Menschen und Haushunden.

,Wie und wann entsteht also die menschliche Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren? Um seine Grundgedanken, wie Menschen miteinander kommunizieren zu präzisieren, gingen viele Gespräche mit anderen Menschen und Wissenschaftlern voraus. Es ist dem Menschen – so intelligent er auch ist – tatsächlich unmöglich, einem anderen Tier (eine begrenzte Möglichkeit besteht nur bei Haushunden) etwas mitzuteilen. Sie können sich anstrengen, wie Sie wollen, das Tier wird Sie nicht verstehen.

Tomasellis These war – und ist nun in diesem Buch nachzulesen – dass Menschen durch den Gebrauch natürlicher Gesten miteinander zu kommunizieren gelernt haben; was sich dann im Laufe der Evolution vervollkommnet hat. “Meine zentrale Behauptung in diesem Buch ist, dass wir zuerst verstehen müssen, wie Menschen durch den Gebrauch natürlicher Gesten miteinander kommunizieren und wie diese Fertigkeit im Laufe der Evolution entstanden sein könnte. Meine evolutionäre Hypothese wird nämlich lauten, dass die ersten, nur beim Menschen vorkommenden Formen der Kommunikation in Zeigen und Gebärdenspiel bestanden. (… ) Die menschliche Kooperation trat in der Evolution zuerst (und tritt in der Ontogenese [der Entwicklung eines Lebewesens] zuerst in der Form natürlicher, spontaner Gesten des Zeigens und des Gebärdenspiels auf. ( … ) Konventionelle Kommunikation, wie sie in menschlichen Sprachen verkörpert ist, wird nur möglich, wenn die an ihr Beteiligten schon über Folgendes verfügen: (a) natürliche Gesten und ihre Infrastruktur geteilter Intentionalität sowie (b) Fertigkeiten des kulturellen Lernens und der Nachahmung, um gemeinsam verstandene kommunikative Konventionen und Kontruktionen zu schaffen und weitergeben zu können.”

Sie werden und können nun gespannt sein, wie Tomaselli seine Überlegungen zu untermauern vermochte. Das Buch ist in sechs Problemkomplexe unterteilt; am Ende des jeweiligen Komplexes fasst Tomaselli seine Ergebnisse zusammen. Zunächst untersucht er die Kommunikation bei Primaten. Er fasst zusammen, dass die Untersuchung stimmlicher Äußerung bei Primaten wenig sinnvoll ist. Sie sind nicht gelernte, sondern genetisch fixierte Reaktionen. Neue Vokalisierungen werden nicht erlernt. Ganz anders dagegen ist es mit einer beträchtlichen Anzahl von Gesten. Auf welche Weise dieser Gebrauch von Gesten sozusagen über die Primaten gekommen ist, ist derzeit ein weißer Fleck; jedenfalls hat es sich ereignet.

Der nächste Problemkreis ist die Kooperative Kommunikation beim Menschen. Diesem Kapitel ist wieder ein Wittgenstein-Zitat vorangestellt, das auf etwas Wesentliches hinweist:
[Ich] wüsste […] nicht, worauf ich als Korrelat des Wortes ‘Küssen’ [oder ‘größer’] zeigen sollte. … Es gibt freilich einen Akt, die Aufmerksamkeit auf die Größe der Personen richten, oder auf ihre Tätigkeit. … Das zeigt, wie der allgemeine Begriff der Be-Deutung entstehen konnte. Der Fettdruck und die Teilung des Wortes ‘Bedeutung’ habe ich vorgenommen, um auf dessen eigentlichen Sinn hinzuweisen.

Also, warum gestikulieren Menschen? Es gibt im Wesentlichen zwei Grundformen: Man will die Aufmerksamkeit eines Empfängers räumlich auf etwas in der unmittelbaren Umgebung lenken. Die andere Variante ist aber, die Einbildunskraft des Empfängers auf etwas zu lenken, das außergewöhnlich ist, was durch ein bestimmtes Verhalten (was ein regelrechtes Scenario umfássen kann) simuliert wird. Was aber erstaunlich ist: Diese beiden Grundtypen sind ebenso in den Gestikulationsarten von Menschenaffen wiederzufinden. Jedoch strukturieren die ‘Primaten’ ihre Kommunikation nicht auf dieselbe, komplexe Weise wie der ‘Mensch’.

Es ist erstaunlich, – probieren Sie es einmal selbst aus! – was man alles mit mit dem Ausstrecken und Deuten nur des Zeige-Fingers (drum heißt er so) erreichen kann. Um die Ursprünge der Kommunikation zu untersuchen, beobachtete Tomaselli das Verhalten von Kleinkindern bei ihrer Geburt beginnend. Vermutlich ist dieses Verhalten – kulturunabhängig – ein universales Muster. [Sicherlich als Folge der allen gemeinsamen Evolution.] Vermutlich kultivieren Kleinkinder ihre Zeigegesten aufgrund persönlicher Erfolge damit. Klar wird, dass Kleinkinder mit ihrer Gestikulation vor den ersten Sprachversuchen beginnen. Wenn sie etwas verlangen oder auf etwas hinweisen, geschieht dies zunächst wortlos aber gezielt durch Gesten. (Leider wird bei den meisten Lesern dieses Buches die Zeit, wo sie selbst mit ihren Babys beschäftigt waren, zu lange zurückliegen. Doch: Wenn man sich bemüht sich zu erinnern, fällt einem schon noch so einiges dazu ein.) Jedenfalls haben Babys, so klein und absolut hilflos sie tatsächlich sind, eine schier unglaubliche Fähigkeit, das Verhalten ihrer Erwachsenen im Sinne des Babys zu beeinflussen. [Vermutlich werden auch Kleinkinder, die aus irgendwelchen Gründen um das Erfolgserlebnis nichtsprachlicher Kommunikation gebracht werden, später auch Schwierigkeiten beim Spracherwerb haben.]

Auch dieser Themenkomplex wird von Tomaselli – wie dies für amerikanische Wissenschaftler typisch ist- in Untersuchungen und Folgerungen leicht fasslich erklärt. Er begründet auch, warum derartiges Zeigen bei 3-monatigen Babys noch fehlt; erst die dazugehörige Gehirnentwicklung érmöglicht den Kleinkindern mit frühestens zwölf Monaten diese kooperative Fähigkeit. Diese ‘Revolution’ beginnt sich ab neun Monaten abzuzeichnen. Tomaselli weist aber auch darauf hin, dass unser Wissensstand ‘hier noch sehr primitiv [ist]’.

Als nächstes geht Tomaselli auf Phylogenetische Ursprünge ein. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, hätte Tomaselli – für einen zwar interessiertes aber mit den Begriffen nicht so vertrauten Leser auf die Unterschiede von Ontogenese und Phylogenese hingewiesen. Ontogenese meint die Entwicklung eines Lebewesens; Phylogenese beschreibt die entwicklungsgeschichtliche. Hier wird nun beschrieben, wie sich menschliche Formen sprachlicher Kommunikation evolutionär aufbauen. Aber hier kommen wir der geradezu sensationellen Entwicklung zum Menschen um einiges näher. Denn in diesem Komplex erklärt Tomaselli, dass Sprache aufgrund gemeinsamer, kooperativer Aktionen entsteht – und sich hier die bei Menschenaffen erforschten Verhaltensweisen deutlich von denen des Menschen unterscheiden. Natürlich wird bei Affen gemeinschaftlich-strategisches Jagdverhalten beobachtet. Aber: Tomaselli wählt ein einfaches Modell, um etwas, was bei den Affen fehlt, zu erklären: ‘Im allgemeinen ist es fast unvorstellbar, dass zwei Schimpansen spontan etwas so Einfaches tun können, wie einen schweren Gegenstand gemeinsam zu tragen oder ein Werkzeug gemeinsam herzustellen.’ Die Betonung in dieser Feststellung liegt auf gemeinsam. Was Tomaselli hierzu an Untersuchungsberichten aneinanderreiht, können Sie, leicht verständlich und äußerst interessant, selbst lesen.

Anders die gemeinschaftlichen Aktivitäten des Menschen. Natürlich muss wieder die Evolution hinzugezogen werden: Wie war das eigentlich an den Anfängen? Um dies grundsätzlich zu erklären, zitiere ich wieder Tomaselli: ‘( … ) während also die meisten Primaten in sozialen Gruppen leben und an Gruppentätigkeiten teilnehmen, leben Menschen in Kulturen, die auf der Erwartung beruhen, dass ihre Mitglieder sich an vielen verschiedenen Arten gemeinschaftlicher Tätigkeiten beteiligen, die geteilte Ziele und eine Arbeitsteilung erfordern, wobei alle Beteiligten einen Beitrag leisten und die Beute am Ende unter allen denen verteilt wird, die es verdient haben. Menschen schaffen sogar kulturelle Praktiken und Institutionen, deren Existenz einzig und allein in Praktiken und Institutionen der kollektiven Zustimmung aller Gruppenmitglieder besteht, dass es so sein soll. (… ) [Ebenso ist die] Neigung, Früchte der gemeinschaftlichen Arbeit ‘fair’ zu teilen, bei Menschen besonders stark ausgeprägt. (…) Es scheint in der der Tat schwer vorstellbar, wie gemeinsame Ziele und gemeinsame Aufmerksamkeit, geschweige denn wechselseitige Annahmen der Hilfsbereitschaft und die kommunikative Absicht, in Kontexten hätten entstehen können, in denen wir alle nur zu unserem eigenen Nutzen und konkurrenzbetont handeln. (…) ‘
Lesen Sie bei Tomaselli nun selbst, wie die Evolution des Menschen verlief und welche Folgen davon noch in unserer Gegenwart feststellbar sind. Natürlich wäre das alles, ohne sprachliche Kommunikation kaum möglich gewesen. Und hier nun ergeben sich gravierende Unterschiede zu den Kommunikationsfähigkeiten der Menschenaffen. Etwas sehr Wesentliches bedeutet nämlich die Sprach-Evolution des Menschen: Sie ermöglicht u.a. die Beschreibung von räumlich entfernten bedeutsamen Dingen: So zum Beispiel war es unmöglich, pantomimisch auf eine Antilope hinzuweisen, die sich außer Sichtweite befindet. Es ist sehr spannend zu lesen, wie hierzu Tomaselli die Fähigkeiten von ‘Primaten’ denen des ‘Menschen’ gegenüberstellt und vergleicht; ebenso faszinierend ist es, wenn er auf bestimmte, bevorzugte umgangssprachliche Worte hinweist.

Wie allen anderen Problemkreisen hat Tomaselli auch dem Thema ‘Die grammatische Dimension‘ ein Wittgenstein-Zitat vorangestellt: Und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.
Mit dem Grundthema und Wittgenstein-Zitat ist schon eine Menge über das Folgende gesagt. Eigentlich nehmen wir es ja als natürlich und gegeben hin, dass wir zumindest unsere Sprache, und das (meist) grammatikalisch richtig, einsetzen. Dennoch beschreibt Tomaselli den Entstehungsprozess, der ja nicht nur zu unserer, also einer Sprache führte, sondern zu insgesamt 6000, oft sehr unterschiedlich aufgebauten Sprachen.

Hier kommt nun ein wesentlicher weiterer Gesichtspunkt hinzu: Im Verlauf der Evolution kommt nun die kulturelle Evolution des Menschen hinzu. Diese beinhaltet eine – im Vergleich zur allgemeinen Evolution – rasante Entwicklung.

Mit Erstaunen hat man festgestellt, (…) dass selbst bei der Grammatik der größte Teil dieser Geschichte in der gestischen Modalität stattfand. (…) Die jüngsten Beispiele dafür, die einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden, sind die Nicaragua-Zeichensprache und die Beduinen-Zeichensprache, die jeweils in Generationen komplexe grammatikalische Strukturen entwickelt haben. (…) es ist aus unserer Sicht ebenso gut möglich, dass die menschliche Sprachfähigkeit sich lange Zeit im Dienste gestischer Kommunikation entwickelte und die stimmliche Modulation eigentlich nur eine sehr junge Überlagerung darstellt. (…) Bei dem Begriff ‘sehr junge’ muss man sich aber die Zeitrechnung des Evolutionsverlaufes klar machen, in der, uns lang erscheinende z.B. 10000 Jahre, nur so viel wie weniger als eine Sekunde bedeutet.

[Zum Hinweis auf die Nicaragua-Zeichensprache möchte ich Tomasallo etwas vorgreifen, der dieses Phänomen später noch genau beschreibt. Etwa in den 1977ern entstanden bei jungen Gehörlosen Nicaraguern Bedingungen, die dazu führten, dass sie – unabhängig von anderen – eine eigene Gebärdensprache entwickelten, die auch in folgenden Schüler-Generationen nicht nur genutzt, sondern weiterentwickelt wurde. 1986 wurde dies Phänomen dann bekannt und näher untersucht. Man fand zum allergrößten Erstaunen heraus, dass hier mehr als eine bloße Gebärdensprache, sondern vielmehr ein komplexes Verständigungs-System entstanden war, das die Kongruenz der Verben und eine feste grammatikalische Struktur beinhaltete. Der Sprachforscher Steven Pinker beschreibt das so: ‘… und es ist das erste und einzige Mal, dass wir beobachten konnten, wie eine Sprache aus dem Nichts heraus entsteht.’ Bemängelt wird von einigen, dies sei deshalb keine richtige Sprache, weil sie sich nicht schriftlich äußern kann. Andere wieder erkennen in dieser Entwicklung eine besondere genetisch bedingte Fähigkeit des Menschen, sich in einer komplexen Sprache ausdrücken zu wollen und zu können.]

Um auf die Sprachentwicklung zurückzukommen: Was kann man hierzu bei Schimpansen feststellen? (…) Fast 40 Prozent dieser Gestensequenzen bestanden schlicht aus mehrfachen Wiederholungen derselben Geste. Der Rest waren Sequenzen verschiedener Gesten – wodurch sich die Möglichkeit einer bestimmten Art von grammatikalischer Struktur insofern abzeichnet, als neue Bedeutungen erzeugt werden, die mit einzelnen Gesten nicht auszudrücken sind (…) Es gibt aber ein paar bemerkenswerte Untersuchungen zu Versuchen, Schimpansen eine Gebärdensprache zu lehren, damit sie sich dem Menschen verständlich machen können. (…) Wir sollten [wie bei kleinen Kindern] ihnen also zumindest eine minimale grammatische Konsequenz zugestehen, die einen ersten Schimmer auf dem Weg zur menschlichen Syntax wirft. (…) Die kommunikativen Fähigkeiten dieser ‘sprachlichen’ Affen sind wirklich erstaunlich: Sie lernen neue Kommunikatiosgesten und -zeichen und setzen diese gegenüber einer anderen Spezies effektiv ein. Aber: ‘Sprachliche’ Affen setzen also keine syntaktischen Hilfsmittel bei ihrer Kommunikation mit Menschen ein. Was sie also, kurz gesagt, auszudrücken vermochten, beschränkte sich immer auf das Hier und Jetzt. Jedoch stehen die ‘sprachlichen’ – bei Gehörlosen beobachteten Fähigkeiten in erheblichem Gegensatz zu dem, was trainierte ‘Affen’ zu äußern vermögen.

Wie entwickelt sich nun das frühe Sprechen bei ‘normalen’ Kindern? (…) Es [= dass Kinder einige Zeit brauchen, sich eine grammatische Sprachstruktur anzueignen] ist eine wichtige Tatsache für jede Debatte über den evolutionären Ursprung der Grammatik. (…) vielmehr beginnen sie mit einer Art von einfacher Syntax (…) Wenn wir über die Evolution dieser Fähigkeit nachdenken, sollten wir vernünftigerweise annehmen, dass, in den frühen Stadien einer ernstzunehmenden Syntax, die Grammatik des Informierens, Menschen ihre Äußerungen vermutlich mit syntaktischen Hilfsmitteln strukturiert haben (…)

Richtig spannend wird allerdings die Frage: Warum erzählen alle Menschen in allen Kulturen überhaupt Geschichten? Tomaselli versucht, auch anhand einer Grafik, den vermutlich evolutionären Verlauf der Sprachentwicklung zu demonstrieren. Darin stellt er das, wie sich bei (a) Menschenaffen (b) die ‘Gattung Homo’ (c) ‘früher Homosapiens’ (d) ‘Später Homosapiens’ eine evolutionäre Grammatik in drei Stufen entwickelt haben kann. Erst so wurde, im Verlauf von sehr langer Zeit, auch das Erzählen von Geschichten möglich (und vermutlich auch wichtig.)

Noch etwas ist in diesem Zusammenhang interessant: die verschiedenen Sprachen, die sich überall auf der Welt entwickelt haben. Tomaselli kommt dabei sowohl auf Sprachuniversalien (also auf etwas allen Sprachen Gemeinsames) und auf Sprachverschiedenheit zu sprechen. Das ist ein komplizierter Bereich, in dem sich oft nicht alle Linguisten einig sind. Aber, um auf die sprachlichen Universalien zurückzukommen: Bereits früher hat z.B. Eibl-Eibesfeld in einer umfassenden Untersuchung dargelegt, dass überall auf der Welt – wo immer er auf Menschen traf – Universalien des Verhaltens beobachtbar sind. Wie sollte es bei den sprachlichen Universalien anders sein, die am Anfang des Lebens eines jeden Menschen aus zunächst Zeigen dann auf Gebärden und seiner Umwelt entstehen. Die Frage “Was ist eigentlich ein Mensch?” steht hinter sehr vielen Fragen, die derzeit auch mit einem Blick auf die Evolution beantwortbar werden. Was seinerzeit Darwin, um nochmals auf ihn zurückzukommen, mit ‘nichts’ als Beobachten, aber mit einem hellsichtigen Blick ‘gesehen’ hat, wird immer wieder, je weiter die Wissenschaft voranschreitet, bestätigt.

Michael Tomasello hat – wie seinerzeit Darwin – das Beobachten – allerdings gezielt mit dem Blick auf die Evolution – eingesetzt. Er hat untersucht, was, mit dem Blick auf die Menschenaffen, bei diesen vorfindbar ist und wo der Mensch sich von diesen deutlich unterscheidet. Vielleicht haben manche ihrerseits schon längst vermutet, wie menschliche Kommunikation vor sich geht. Aber – wo sind die Wurzeln, die Urspünge, wo fängt sie an, diese so wichtige Art und Weise, wie Menschen kommunizieren; erst aus der Sprache ist dann auch das Schreiben gekommen und erst damit verbunden die rasante kulturelle Evolution des Menschen, der damit auf eigenartige Weise seine eigene, ursprüngliche Evolution überholt hat.

Mit einer – nachdenklichen – Formulierung fasst es Tomasello so zusammen: Insgesamt deutet die hier vorgelegte Analyse darauf hin, dass die menschliche Sprache am besten im Sinne von Bates als eine ‘aus vielen Teilen gemachte, neue Maschine’ verstanden wird. Obwohl es schwer ist, sich das im 21. Jahrhundert vorzustellen, hätte am Ende eine andere Maschine stehen können, wenn sich einige ihrer Teile am Anfang anders entwickelt hätten. ( …) es gibt also viele Ursprünge der menschlichen Kooperation, und ihren Gipfelpunkt in Form von Fertigkeiten sprachlicher Kommunikation, stellt ein weiteres Beispiel eines koevolutionären Prozesses dar, durch den sich elementare kognitive Fähigkeiten phylogenetisch entwickeln. Dadurch wird historisch die Schaffung von Kulturprodukten ermöglicht, die dann sich entwickelnde Kinder mit biologischen und kulturellen Werkzeugen versorgen, welche sie für ihre ontogenetisch [also individuelle] Entwicklung brauchen.

Dieser Zusammenfassung seiner Untersuchung ist nur noch hinzuzufügen, dass auch daraus hervorgeht, wie die, sich nach einem ‘langen Fahrplan’ entwickelnden Kinder, dringend darauf angewiesen sind, dass sie mit allem nur Erdenklichen versorgt werden müssen, um eine Sprachentwicklung zu durchlaufen, für die in ihnen alles bereits angelegt ist. Es handelt sich um die um die wichtigste Grundlage der menschlichen Kultur.

Nachdem ich Ihnen so viel über dieses wirklich ausserordentliche Buch berichtet habe, hoffe ich, dass recht viele von Ihnen es auch selbst lesen werden. Schrittweise können Sie hier nicht nur verstehen, was Sprache bedeutet, sondern auch, was den Menschen im Grunde ausmacht. Eigentlich möchte doch jeder Genaueres darüber wissen.

Ingeborg Gollwitzer