Herausgegeben und übersetzt von Susanne Lange

Vor die nachfolgende, ausführliche Besprechung dieser neuen Don Quijote-Übersetzung möchte ich – für Eilge – eine Art Kurzfassung stellen:

1.) “… aber nicht irgendeine Quijote-Ausgabe, sondern die von Susanne Lange musst Du lesen! Hat gebunden 68,– gekostet und ist jetzt für 29,95 bei dtv, trotz TB-Ausgabe aber piekfeine Dünndrückausgabe, zwei Bände in Schuber, und sehr haltbar (hat meine Lese-Misshandlungen alle heil überstanden – das will was heißen!) Die insgesamt 1487 Seiten las ich in genau drei Wochen (neben meiner Arbeit), womit es sich hervorragend als Urlaubslektüre eignet – wo man ja auch etwas anderes tut als lesen – und sich den Urlaub, unabhängig vom Wetter, restlos vergoldet! Ein wirklich göttliches Buch – nicht nur bloß zum Lachen – auch zum Genießen – wegen der abgründigen Sprache! Und hervorragende Anmerkungen und Nachworte – einfach genial! Und so spannend: Fast auf jeder Seite passiert etwas Unvorhergesehenes, Erstaunliches … Leider, muss ich sagen, hat Don Quijote auch gegen die Windmühlen gekämpft. Leider deswegen, weil nun jeder sogleich meint, das Buch kenne er ja bereits und es gebe daher keinen Grund, es nun nochmals zu lesen. (Aus einem Brief an jemand, der Don Quijote lesen soll, obwohl er das Buch “schon kennt”.)

2.) … ” die Kinder blättern in ihr [der Don Quijote-Geschichte], die Jugend liest sie, die Erwachsenen verstehen und die Alten preisen sie, kurzum, die Leute von welchem Stand auch immer, kennen, lesen und behalten sie, sodass es allerorten, kommt ein dürrer Klappergaul vorbei, heißt: ‘Das geht Rocinante’. Am meisten haben sich die Pagen in das Buch vertieft, in keinem fürstlichen Vorzimmer fehlt ein Don Quijote, legt der eine ihn aus der Hand, nimmt ihn sogleich der nächste, manch einer stürzt sich dreist darauf, während andere ihn drängend fordern. Diese Geschichte, sage ich, ist der vergnüglichste,, unschädlichste Zeitvertreib, den es je gegeben hat, denn nicht im Entferntesten findet man darin ein anstößiges Wort oder einen Gedanken, der nicht rechtschaffend katholisch wäre. …” (Aus Don Quijote Bd. 2, S. 39!)

Das also ist es, was ich voranstellen möchte, um Sie damit unverzüglich zum Lesen zu bewegen – selbst wenn Sie sonst eigentlich kaum lesen! – und garantiere Ihnen damit unbändige Leselust. Nun folgt einiges für die, die vorher mehr wissen möchten:

Angesichts dessen, dass hier eine wirklich historisch zu nennende Neuübersetzung vorliegt, möchte ich mal jenen den Wind aus den Worten nehmen, die denken: ‘Na ja, gut, die Übersetzerin hat studiert, Deutsch kann sie sowieso, Spanisch hat sie offensichtlich gelernt, lesen und schreiben kann sie ohnehin und bezahlt wird sie ja auch dafür … Außerdem habe ich längst eine Übersetzung von früher im Schrank!’

Vielleicht aber verlockt es Sie, wenn ich erwähne, dass eine ungeheure Leistung hinter dieser Neuausgabe steckt: Susanne Lange hat ja die insgesamt 1487 Seiten der beiden Don Quichote-Bände nicht nur getippt (was schon eine Leistung an sich wäre); sie hat sich mehr als sechs Jahre auch durch zehntausende Seiten nicht nur der verschiedenen Cervantes-Übersetzungen hindurchgelesen, und, vergleichbar Don Quichote und seinem Sancho Panza, die spanische Geschichte und Kultur dieser Zeit gründlich durchquert, durchackert und durchstöbert: Überall hat sie etwas zu berichten gefunden, was man auch noch wissen möchte und muss oder wenigstens müsste, um die Kulisse zu dieser Geschichte auch wirklich vor seinem inneren Auge auferstehen zu lassen. Richtig ermessen kann man diese neue Übersetzung dann besonders, wenn man eine der früheren Cervantes-Übersetzungen im Regal hat und feststellt, wie dabei nahezu all die Finten, Unter-, Rand- – und Nebenbemerkungen, die sich in Cervantes eigentlichem Text verstecken, in dem trockenen Deutsch der seitenweisen ‘Bleiwüsten’ verdorren und nur die nackte Handlung überlassen.

Susanne Lange berichtet in Ihrem Nachwort auch über die nationalen und bald weltweiten Übersetzungen, die sich bald nach Erscheinen von Cervantes’ Texten, insbesondere gleich nach dem ersten Teil des Don Quijote, in der gesamten westlichen Welt auszubreiten begannen und wie diese immer und immer wieder bearbeitet und erneuert wurden. Wenn uns auch im Internetzeitalter Geschwindigkeit bei der Ausbreitung von Texten nicht mehr erschüttert: Das Tempo, mit dem sich in früheren Zeiten, so auch im Mittelalter, Nachrichten und Texte verbreiteten – ich staune es immer wieder an. Hatte man doch nur die eigenen Füße, sein Pferd (oder auch mal nur einen Esel), und gelegentlich Schiffe zur Verfügung.

Bei uns in Deutschland war wohl die Übertragung während der Romantik von Ludwig Tieck die berühmteste, aber auch sie trifft nicht im Kern das, was Cervantes zu berichten wünschte; vielleicht konnte man auch damals dieses Lockere, Spielerische, Glitzernde nicht nachvollziehen. So kommt Susanne Lange bei den Vergleichen der einzelnen Übersetzungen zu dem Schluss, dass wohl jede Zeit ihren Don Quichote auf die ihr eigene Weise übertrug.

Aber worum geht es eigentlich beim Don Qujote? Ein Ritterroman – meinen die einen. Etwas wie Till Eulenspiegel, stellen sich andere vor, die schon mal die vielen Karikaturen des hageren Don hoch zu Ross und des rundlichen Sancho etwas niedriger zu Esel, gesehen haben – und natürlich die Windmühlenflügel! Wäre es nur etwas dergleichen, nie hätte sich ein Buch, das gleich bei Erscheinen ein Bestseller war, über ununterbrochen 400 Jahre halten können und wäre nicht in einer derart langen Zeit immer wieder von Neuem bis heute von den Größten aus Literatur, Dichtung, Philosophie als etwas ganz Einmaliges und Grandioses angestaunt und kommentiert worden. Und ganz ‘normale’ Leser, fragen Sie jetzt? Für die gilt noch bis heute, was damals (s.o.) von den ‘ganz normalen’ Lesern berichtet wird.

Ist doch die gesamte Geschichte ist ebenso verrückt, widersinnig, folgerichtig wie einzigartig, und ich hoffe, Sie haben die Geduld, mir jetzt zu folgen: Da schreibt einer, der konkret gegen etwas ist, ein Buch, in dem dessen Held in die Welt hinaus zieht, weil dieser genau für das ist, wogegen der Autor eigentlich ist. Obendrein erfahren wir in diesen Buch (wenn auch augenzwinkernd), dass der uns als Autor genannte eigentlich gar nicht der Autor ist, sondern der arabische Historiograph Cide Hamete Benengeli, dessen Manuskript auf dem Markt von Toledo vom ‘Übersetzer’ entdeckt wird, was sich dieser, als er den Namen Don Quijote darin entdeckt, sofort kauft und sich die arabischen Schriftzeichen sogleich von einem Morisken übersetzen lässt. Damit haben wir es nun mit gleich drei Erzählern zu tun: Dem Autor, dem Historiographen und dessen Übersetzer, der stets zu Hand ist, um etwas, was dem Don Quijote nun passieren wird, erläutert, berichtigt oder ergänzt.

Von diesen verwickelten Umständen sollten Sie sich aber vom Lesen nicht abhalten sondern anziehen lassen. Es beginnt damit, dass der Verstand des bis dato unbescholtenen Edelmannes, etwa fünfzig Jahre alt, von ‘zähem Leib, hagerem Wuchs, hohlen Wangen’ – wohnhaft in einem Ort der Mancha, Name vielleicht Quijada oder Quesada. Besagter Hidalgo widmete sich in den Mußestundfen – die meisten im Jahr – dem Lesen von Ritterromanen, und das mit solchem Eifer und Vergnügen, dass er darüber [alles Lebensnotwendige] vergaß.” Also ergeht er sich völlig in deren Gedankenwelt.. “Derlei Ergündungen bezwangen den Verstand des wackeren Mannes. Der Ärmste durchwachte Nächte, um sie zu begreifen und einen Sinn herauszufischen, den nicht einmal Aristoteles hätte hervorlocken und greifen können, wäre er auch eigens dazu von den Toten auferstanden. (…)” also dessen Verstand von den Tag und Nacht verschlungenen Ritterromanen (wie dies damals tatsächlich alle Welt tat) derart vernebelt wurde: “Sein Kopf bevölkerte sich mit dem, was er in den Büchern fand: Mit Verzauberungen und Turnieren, mit Schlachten, Fehden, Blessuren, Liebesschwüren, Amouren, Herzensqualen und anderem abwegigen Unfug.”

Bereits auf Seite 31 beschreibt Cervantes in einem sowohl seinen Helden (wie auch irgendwie sich selbst): “Als seine Vernunft bereits hoffnungslos verflogen war, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, dem je ein Verrückter auf der Welt verfallen war, denn es schien ihm würdig und recht, zur Mehrung seiner Ehre und zum Dienst an seinem Land ein fahrender Ritter zu werden und wohlgerüstet hoch zu Ross in die Welt hinauszuziehen.”

Auf einigen Seiten stellt uns nun Cervantes das gesamte Handlungsgewirr der damaligen Ritterbücher, mit ihrem Ränken, Liebesschwüren und Siegen dar – und es kommt, wie es in diesem Buch nun kommen muss: Cervantes lässt seinen Helden – natürlich gemäß dessen eigener Logik – folgerichtig vorgehen: Als erstes musste dieser sein Rüstzeug putzen und rittergemäß aufmöbeln – schon allein hier die von Ironie triefende Komik des Buches, danach bekam sein Klepper (“der mehr Aussatz als Einsatz zeigte, und mehr Gebrechen als das Pferd des Hofnarren Gonella”) einen dem Rittertum gemäßen Namen: Rocinante, und, nach weiteren acht Tagen Brütens, gab er sich selbst den rittergemäßen Namen Don Quijote von der Mancha. Nicht genug damit war als Krönung seiner Strategien die Erkenntnis, dass alle Ritter in den Romanen einer Herzensdame dienten: Don Quijote nannte die seine Dulcinea von Toboso, die schönste Frau auf Erden (war er doch einmal in eine Bauerntocher in einem benachbarten Dorf verliebt gewesen – die selbst wohl nie etwas davon erfahren hatte.)

Damit haben wir denn nun den Anfang dieser schmerzlich-absurd-schönen, ebenso wuchtigen wie filigran geschilderten Ereignisse, während deren es dem Ritter Don Quijote in der Realität eigentlich ziemlich schlecht geht, er es aber in seiner Phantasie nie so empfindet. Es ist fast unheimlich, wie es Cervantes gelingt, diese Geschichte – die obendrein ebenso spannend, drastisch wie komisch ist – zwischen allen Wirklichkeiten irgendwie schweben zu lassen; bis heute ist es mir nicht möglich, in konkreten Zahlen anzugeben, wie viele Wirklichkeiten es sind.

Schließlich ‘ritterlich ausgerüstet kommt es zu seiner ersten Fahrt als Ritter, von der Don Quijote ge- und zerschlagen zu Nichte und Haushälterin heimkehrt, wobei nun noch der Pfarrer auftaucht, der die Ritterromane teils verbrennt zumindest verdammt, die – sachlich betrachtet, tatsächlich das gesamte Arsenal jener Zeit darstellen – die aber auch der Pfarrer samt und sonders gelesen hat. Jedoch gelingt es weder Nichte, Haushälterin, Pfarrer oder dem Barbier den unheimlichen Sehfehler Don Quijotes zu beheben, dem jeder Realitätssinn abhanden gekommen zu sein scheint.

Zu seiner ersten Fahrt war er, getragen (außer von Rocinante) von den Höhenflügen seiner Phantasie heimlich aufgebrochen. Zunächst wird ihm eine einfache Schenke zur ‘Burg mit vier Türmen samt Hauben aus funkelndem Silber, nicht zu vergessen die Zugbrücke, den tiefen Burggraben und alles Beiwerk, mit dem man dergleichen Burgen zu schmücken pflegt. So hielt er auf die Schenke zu, die ihm als Burg erschien, zog vor ihren Mauern Rocinantes Zügel an und wartete, dass da ein Zwerg zwischen den Zinnen auftauche und mit einer Fanfare verkünde, dass ein Ritter sich der Burg näherte. Da der sich aber Zeit damit ließ und Rocinante (dessen Eigenarten und Innenleben uns noch öfter begegnen werden) Richtung Stall drängte, machte er sich das Tor der Schenkeselbst auf und sah zwei ‘lustige’ Mädchen, die ihm als liebliche Burgfräulein erschienen oder als bestrickende Bräute, die sich dort verlustierten…” Einen Schweinehirt, der in der Nähe seine Säue mit dem Horn zusammenrief, hielt er für den erwarteten Zwerg mit der Fanfare, der seine Ankunft verkündete. Der Wirt, als Kastellan betitelt, macht das Spiel des Verrückten, als den er Don Quichote erkennt mit, und “hielt den Quijote den Steigbügel und dieser saß äußerst mühsam und umständlich ab, ganz wie einer, der bis zum Abend nicht gefrühstückt hat.” In eben diesem Satz steckt eine weitere Fähigkeit Cervantes’: Die gesamte, tiefgründige Komik einer Scene in einem Nebensatz zusammenzufassen. Das hat ihm meines Wissens bis heute niemand nachmachen können, und das auch noch über mehr als 1000 Seiten durchzuhalten!

Aber es ist nicht nur das, weswegen ihn Dichter und Denker seit Erscheinen des Buches immer wieder geradezu ehrfürchtig – und dabei immer auch von Herzen lachend – lesen und anstaunen. Gar mancher wird lesend darüber nachgedacht haben, wie man das gesamte Dasein des gegenwärtigen, ebenso verwirrten, widersprüchlichen, kritisierten Zeitabschnittes darstellen sollte, indem man Irrwitziges wie Trauriges, Ungerechtes wie Entsetzliches, Jammervolles wie Verlogenes zu einem Gemenge von Handlung und Kulisse zu einer Einheit – eben Wirklichkeit – zusammenknäulen könnte – und überdies der (fast immer) darin verborgenen Komik den höchsten Rang zuzubilligen. Obendrein aber, wie es gelingen könnte, sich jeglicher Anklage und jedem Angriff zu entziehen – so wie es auch Cervantes (wie oben schon zitiert) selbst gesagt hat: “denn nicht im Entferntesten findet man darin ein anstößiges Wort oder einen Gedanken, der nicht rechtschaffend katholisch wäre. …” Denn auch das gehört beim Lesen dazu: Wenn man bedenkt, in welchem historischen Zeitabschnitt der Don Quijote erschienen ist – dann überfällt einem beim Lesen ein unüberhorbares Bangen, ob ‘man’ nicht hier oder da Cervantes einen Strick daraus drehen hätte können, weil er fast – aber eben nur fast – mit mancher Schilderung zu weit gegangen war. Tatsächlich musste später dies oder das gestrichen werden; die Inquisition hatte darauf bestanden.

Nach der ersten, unrühmlichen Heimkehr bekommt Don Quijote nun seinen klassischen Gefährten: Sancho Panza, den man immer mehr zu lieben lernen wird. Ganz das Gegenteil seines – im Grunde sehr gebildeten – Herrn, kann er weder lesen noch schreiben, ist rundlich, verfressen und beobachtet unerschütterlich erdverbunden die Höhenflüge seines Herrn nahezu unerschrocken; jedoch hat auch Sancho einen Traum: Er, ein “benachbarter Bauer, ein guter Mann – wenn sich einer ohne Geld und Gut so nennen kann -, doch mit viel Witz unter dem Schopf. Dem redete, sicherte er [Don Quijote] so viel zu, dass der arme Dörfler schließlich einwilligte, mit ihm auszuziehen und als Schildknappe zu dienen. So führt Don Quijote etwa ins Feld, er könne guten Gewissens mit ihm gehen, denn bestimmt werde ihnen bald ein Abenteuer begegnen, bei dem er in einem Schnapp ein Eiland gewinne, zu dessen Gubernator er ihn ernennen wolle.

Und so reiten sie nun vierhundert Jahre durch die Weltgeschichte: Der ‘hochgerüstete’, hagere Don Quijote, auf seinem klapperdürren Gaul, gefolgt von seinem rundlichen Gefährten Sancho Panza. dem es lieber war, auf einem Esel zu reiten denn auf Schusters Rappen, und der wie ein Patriarch auf seinem Esel thront – obwohl es in keinem einzigen Ritterroman einen Ritter gab, dessen Knappe ihn hoch zu Esel begleitet hatte.

Ursprünglich mag es so gewesen sein, dass Cervantes lediglich etwas gegen diese grassierende Epidemie der Ritterromane schreiben wollte. (Die hatte er nämlich gründlich gelesen!) Dann aber, als die ‘Erstausstattung’ seines Don Quijote vollzogen und diesem obendrein Sancho Panza beigesellt worden war – muss ihm klar geworden sein, d.h. ihn die Lust überfallen haben, alles, aber auch alles, womit er seine Gegenwart in einer ganz eigenartigen Spiegelung zu sehen begonnen hatte, nachzuzeichnen. Angeblich soll ihm die Idee zum Don Quijote bei seinem letzten Gefängnisaufenthalt in Madrid gekommen sein. Vielleicht war es dieser Ort, wo man eine ganz eigenartige Perspektive auf Die-da Draußen, Die-da Oben, Die-da-Unten gewinnen konnte. Die Realität Spaniens war so extrem anders als die in den Ritterromanen, und das Gold von ‘Spaniens Goldener Zeit’ – bröckelte nicht bloß ab, sondern landete in großen Fladen auf dem Boden neuer Tatsachen; viel zu vieles wurde mit Füßen getreten oder war zur bloßen Attrappe erstarrt.

Als Cervantes 1605 den ersten Teil seines Don Quijote veröffentlichte, war er 58 Jahre alt. Hinter ihm lag jedoch ein mehr als bewegtes Leben. Sein (angeblich blinder) Vater, ein armer Wundarzt, war bitterarm, der aber auf seinen Stand als Hidalgo pochte, (also zum, wenn auch verarmten, Adel gehört). Miguel wächst auf in einer ehemaligen maurischen Festung auf, 30 km von Madrid entfernt, die damals eine Hochburg der Bildung war. Recht viel mehr weiß man nicht von ihm. Aber wenn man seinen Don Quichote liest, merkt man Kapitel für Kapitel seine außerordentliche Bildung, die so ziemlich das gesamte damalige Wissen umfasst. (Gar mancher könnte sich heute eine Scheibe davon abschneiden!) 1569 wird seine gerade begonnene literarische Laufbahn Dank eines – damals verbotenen – Duells unterbrochen: Cervantes flieht 1571 nach Rom und schreibt sich später zusammen mit seinem Bruder Rodrigo als Soldat ein. Er ist kein verträumter Hidalgo, nimmt mit seiner Kompanie an der Seeschlacht von Lepanto teil, auf die ich, um zu Cervantes’ Hintergrund noch etwas beizutragen, kurz näher eingehen möchte.

Die Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571 ist die Seeschlacht mit den meisten an einem Tag Gefallenen. Gleichzeitig ist sie die größte Galeerenschlacht der Geschichte. Sie begann, unter dem Trommeln der Türken, die den Takt der Ruderer vorgaben, um 10.00 morgens und endete fünfeinhalb Stunden später als überraschender Sieg der Heiligen Liga, die nur über 206 Galeeren, mit 40.000 Matrosen und Ruderern sowie 28.000 Soldaten verfügte, jedoch hatte jede Galeere eine große Kanone am Bug (einige darunter gleich mit mehreren schweren Geschützen) und vier kleinere, flankierende Geschütze; (die meisten Christen waren ausgerüstet mit Arkebusen, schwere Gewehre mit Bleikugeln). Die Flotte des Sultans jedoch war noch größer: Insgesamt zählte sie 208 Galeeren mit Kanonen, sowie weitere 120, zumeist kleinere Schiffe. Hier jedoch bestanden die Waffen der Soldaten nur auf Pfeil und Bogen. Ausgangspunkt dieses Gemetzels war das übergriffige Vordringen der Osmanen (osmanischen Sultane waren sunnitische Muslime) was von christliche Seite zurückgedrängt wurde.

Hier also Cervantes, mit 400 Soldaten zusammengepfercht auf einer Galeere, er wird an der linken Hand schwer verletzt. Man nennt ihn El Manco de Lepanto. Nach vier Jahren will er das Soldatenleben quittieren, wird aber auf der Rückfahrt nach Spanien, zusammen mit seinem Bruder, von Berberkorsaren gekapert; eine fünfjährige Gefangenschaft in Algerien schließt sich an. Es folgen abenteuerliche, misslingende Fluchtversuche, versuchtes Freikaufen durch seine Familie. Als das Geld nur für einen reicht, gibt Miguel seinem Bruder den Vortritt. 1580 kann er endgültig freigekauft werden und kehrt nach Madrid zurück. Jedoch verläuft in der Folge nichts so recht nach seinen Plänen: Die Krone (verfährt wohl damals wie bis heute mit Veteranen) gibt ihm keine ordentliche Beschäftigung, jedoch versucht er sich als Schriftsteller zu etablieren, was auch damals schon nicht besonders einfach war. Und bald hat er auch seinen künftigen Lebensfeind, der uns in seinen Büchern immer wieder begegnen wird: Der fünfzehn Jahre jüngere Lope de Vega – im Nachwort zum Don Quijote können Sie viel darüber lesen. Abgelehnt wird auch Cervantes’ Ersuchen, in die spanischen Kolonien zu kommen – was wiederum für uns heute positiv ist: Kaum hätte er wohl dort den Don Quijote geschrieben. Ab 1590 wird er endgültig vom Staat schlecht behandelt und bekommt nur noch sehr undankbare Aufgaben: Für die Seezüge der Armada muss er Lebensmittel requirieren, doch die Bauern waren noch nicht für ihre vorherigen Lieferungen bezahlt worden. Aber seine ‘Feldzüge’ über Land und zu Leuten sind wohl eine der Grundlagen seines Don Quijote. In dieser Zeit kommt er obendrein kurzzeitig ins Gefängnis. Anschließend wird er Steuereintreiber – doch die Bank, wo er das Geld deponiert, geht pleite, man gibt ihm die Schuld, und wieder folgen einige Monate Gefängnis: es ist in Sevilla, das damals größte der spanischen Gefängnisse.

1604 schreibt er (wohl nachdem er den übrigen Text bereits fertig hatte) seine Vorrede zum ersten Teil seines Don Quijote – und schon diese ist prall voll Ironie, und blitzt und glitzert von all ihren Anspielungen darauf, was damals in der Literatur so ‘dazugehörte’, um ge- und beachtet zu werden.

Zu den bereits beschriebenen Merkwürdigkeiten kommt nun, vor Erscheinen des zweiten Teils des ‘offiziellen’ Don Quijote, noch eine weitere Absonderlichkeit: 1614 erscheint, unter einem Pseudonym, ein weiterer Teil des Don Quichote; in seinem Vorwort wird Cervantes als Einhändig und verbittert beleidigt, man wirft ihm Neid auf den Dichter Lope des Vega vor – die Figuren und ihre Abenteuer geraten aber zu Karikaturen, hölzern durchreiten sie Spanien, die Abenteuer gröber und nicht hintersinnig und wo Cervantes alles in der Schwebe lässt, bleibt nichts als blödsinnige Realität. (Mit Recht hat es diesen Pseudo-Don-Quijote nicht in die Weltliteratur geschafft – nicht mal zu seinen eigenen Zeit.)

Kurz vor seinem Tod, also zehn Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes, kann aber Cervantes 1615 noch den eigenen zweiten Teil des Don Quijote in den Händen halten.

Er ist, wie auch der erste Teil: Seite für Seite mit einer absurden Komik und der ihr innewohnenden Dramatik, jede Seite blättert man mit neuer Spannung um – und niemals findet man etwas Erwartetes vor. Betrachtet man aber beide Teile als eine Geschichte, merkt man, wie sehr sich Cervantes zunehmend in seine Helden hineinversetzt hat und mit und in ihnen lebt – und spielt: Beide sind sie auf ihre Weise Helden ganz besonderer Art: Die von Don Quijote war ja von vorn herein im Ansatz gegeben – jedoch verändert er sich. Sancho jedoch gewinnt erst im Laufe der Ereignisse immer wärmer und liebvoller gezeichnete Konturen.

Das Wunderbare aber an diesen Geschichten ist, dass sie ausnahmslos aus Gesprächen ‘aufsteigen’; eine weitere ‘Stimme’ ist die des ‘Übersetzers’. Da sind einerseits die Gespräche mit Sancho und seinem Herrn, während sie da reiten, kämpfen oder ruhen. Wie auf einer Bühne tauchen aber immer wieder ganz unterschiedliche, oft ebenfalls wunderliche Fremde auf, die dann ihrerseits in irgendwelche Kämpfe einbezogen werden, oder aber ihre eigene, oft mysteriöse Geschichte erzählen; scheinen sie dann vorerst verschwunden zu sein, kommen sie später wieder ins Blickfeld – wobei dann neue Komplikationen hinzukommen oder vergangene sich aufklären.

Im ersten Teil wird noch handfest geprügelt oder gesiegt. Im zweiten Teil wird die handfeste Prügelei, das konkrete Abenteuer des Ritters. wenn auch oft nur haarscharf umgangen, ja, geradezu verhindert – was aber nun nicht weniger spannend ist, weil man ja nicht weiß – ob – oder ob nicht … Ja, es wird sogar versucht, Don Quijote von seinem Traumbild Dulcinea abzubringen – und zwar, indem man ihm eine Begegnung mit ihr in Aussicht stellt – und ihn so nach Hause zurücklotst … Mit Sancho und seinem Herrn ist es mehr und mehr wie bei zweien auf einer Wippe: Mal ist der eine oben, mal der andere. Schon immer war Sancho gewichtig: In seiner scheinbaren Naivität gehört er zu seinem Herrn wie das Brot zu der Wurst, die darauf liegt; jetzt kommen dann zu Don Quijotes hintersinningen Gedankengängen – in den Kommentaren von Sancho eine unglaubliche Fülle an sprichwortreifen Sätzen, was das Lesen zu einem neuen, unerschöpflichen Vergnügen macht.

Von einem war hier überhaupt noch nicht die Rede: Vom ‘Erzähler’, der manchmal auch so dazwischen redet,, dann wieder etwas zurechtrückt, weil es bei Cide Hamete anders steht. Der aber auch nicht mit Seitenhieben spart, wobei auch Lope des Vega immer mal wieder sein Fett wegkriegt. Im zweiten Teil freuen sich Don Quijote und Sancho beide immer wieder daran, welche Popularität sie inzwischen im Lande genießen; aber Cervantes wird auch vorsichtiger: Im ersten Teil war ihm einiges mit Sanchos Esel passiert, der mal weg war, und der wieder da war, obwohl niemand erfuhr, warum. Irgendwo steht da aber auch, dass ein Dichter sich wohl ebenso wenig an das, was er eben schrieb, erinnere, wie an die Wolken vom letzten Jahr.

Nun habe ich eben sehr viel, was einem so bei einem 1500-Seiten-Buch einfällt, wieder gestrichen, weil Sie die Handlung ja selbst lesen sollen und in den Nachworten und Anmerkungen so viel Interessantes, Überraschendes und Bemerkenswertes viel besser nachlesen können, als ich es hier lückenhaft abschreiben könnte. Aber mir war die Begegnung – Ja, es war wirklich eine! – mit “Don” und “Sancho” ein ganz außerordentliches Vergnügen, sodass ich gar zu gern noch ein paar Seiten dazugeschrieben hätte. Nur so.

Was ich jetzt also ausgelassen habe, liest man einfach nach in den Angaben des Verlages, so da geschrieben stehet:

Jeder kennt Don Quijote, den Ritter, und seinen weltklugen Knappen, Sancho Panza. Wortreich und wunderbar absurd sind die Gespräche, in denen die beiden Helden streiten und philosophieren, während sie sich von ihren Blessuren kurieren.

Zweihundert Jahre nach Ludwig Tieck, der den”Don Quijote”zum entscheidenden Werk der Romantik machte, erhält der Klassiker mit Susanne Langes Neuübersetzung nun auch im Deutschen die sprachliche Dimension, die er im Original besitzt.” (Na ja, das hatte ich ja auch schon wortreich erwähnt.)

“In einem reichhaltigen Anhang wird das Goldene Zeitalter in Spanien beleuchtet, werden biographische und geschichtliche Hintergründe aufgezeigt sowie die jüngsten Erkenntnisse der Quijote-Forschung mitgeteilt.

Bei Erscheinen dieses Neuübersetzung waren sich alle Kritiker einig und voll des Lobes:”Don Quijote von Miguel de Cervantes ist das Wunderelixier gegen die Tristesse des Daseins. Das Werk über Heldensehnsucht in unheroischen Zeiten wurde famos neu übersetzt.” Manfred Schwarz, Welt am Sonntag, 12.10.08 “Jedes Jahrhundert braucht seinen Quijote – wir haben unseren jetzt: Susanne Langes Cervantes-Übertragung.” Hans-Martin Gauger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.08 “Nichts für Weichlinge: Der geistvolle Hidalgo Don Quijote verachtet den Alltag, seinen Komfort und seine schlechten Gewohnheiten. Die neue Übersetzung von Susanne Lange bewahrt Rhythmus und Genauigkeit, Witz und Opulenz des Miguel de Cervantes Saavedra.” Heinz Schlaffer, Süddeutsche Zeitung, 14.10.08 “Die große Leistung von Cervantes, beinahe ein Wunder, ist nun, dass uns seine Riesenerzählung noch immer bezaubert. Ein Sprachwunder!” Hans-Martin Gauger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.08 “Susanne Langes Neuübersetzung von Cervantes war überfällig. Übersetzungen altern, Originale nicht.” Sabine Küchler, Der Tagesspiegel, 11.10.08″

Den Rest lasse ich nun weg, empfehle aber jedem, der mir bis hier gefolgt ist: Lesen Sie die Buch unbedingt selbst, auch wenn Sie es schon von früher kennen zu glauben, auch wenn es Ihnen zu lang zu sein scheint oder zu lang her zu sein scheint: Das scheint Ihnen nur so – Ihr Vergnügen aber wird wirklich sein!

Ingeborg Gollwitzer


Miguel de Cervantes Saavedras Lebensweg war abenteuerlich. Er schlug sich als Steuereinnehmer und Soldat durch, wurde bei Lepanto schwer verwundet und von Piraten gefangen. Mit 69 Jahren starb er hochverschuldet am 23. April 1616.

Susanne Lange, geb. 1964 in Berlin, ist eine deutsche Philologin und literarische Übersetzerin sowie Gutachterin für Verlage im Bereich spanischsprachiger Literatur. Sie studierte Komparatistik, Germanistik und Theaterwissenschaft und ist seit 1992 als freie Übersetzerin von literarischen Texten in die Deutsche Sprache tätig. Susanne Lange lebt und arbeitet in Barcelona. 2009 wurde sie mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung geehrt.