Die Ahnung vom Ganzen

Viel, viel mehr als nur eine Biographie Dürrenmatts – es ist auch die Biographie jedes einzelnen seiner Stücke!

“Die erste große Biographie über Friedrich Dürrenmatt vom Pfarrerssohn aus dem Emmental zum Autor von Weltruhm und mit Millionenauflagen, glänzend und packend geschrieben von Peter Rüedi, einem der ausgewiesensten Dürrenmatt-Kenner.” – so der lakonische Text des Verlages.

Jetzt, nach der Lektüre dieser gigantischen Biographie, muss auch ich gestehen: Wir haben eigentlich sehr wenig von Friedrich Dürrenmatt gewusst. Erbärmlich wenig – obwohl natürlich viele seiner Bühnenstücke und seine Kriminalromane als Schullektüren verwendet werden. Vermutlich liegt unsere Unwissenheit daran, dass Dürrenmatt selbst als Person nicht unbedingt hinter seinen meistbekannten Texten zu erkennen ist.

Anders wird das schon, liest man seine unter dem Titel ‘STOFFE’ erschienenen Texte – ein unglücklicher Titel, der viele erst gar nicht zum Kauf anregte. Interessanter noch – meine jedenfalls ich – sind seine Essays zu naturwissenschaftlichen Themen – und den Weg, den sein Denken dabei findet, was mir selbst sehr vertraut ist und mich dementsprechend fasziniert hat. Aber – begegnete uns, wenn wir ihn gelesen haben, irgendwie die Person Friedrich Dürrenmatt? Da war uns der Max Frisch viel vertrauter, den stellte man sich eben irgendwie vor. (Leider gibt es aber trotzdem über den keine Biographie, die es mit dieser über Friedrich Dürrenmatt aufnehmen könnte!)

Dass Dürrenmatt ein Pfarrerssohn war, schreibt sogar der Verlag. Erst Peter Rüedi verdanken wir nun eine wunderbare Schilderung über Dürrenmatts ‘Pfarrerseltern’, wobei Vater sowohl wie Mutter beeindruckende Persönlichkeiten waren. Auch das ganze Umfeld der Kindheit Dürrenmatts schildert Rüedi mit der fast pingeligen Sorgfalt eines Heimatforschers. Aber, man verliert beim Lesen die Geduld keinesfalls: Vor uns entsteht mit immer größerer Exaktheit und darum immer plastischer eine längst versunkene Welt. Nun ja, es heißt, Rüedi habe zwanzig Jahre an dieser Biographie gearbeitet und Friedrich Dürrenmatt persönlich gekannt und sein letztes Gespräch mit diesem drei Wochen vor dessen Tod geführt. Eigentlich machte Dürrenmatt damals Pläne zu einer Weltreise – um den Aufregungen um seinen 70. Geburtstag zu entgehen. “Die Reise war [dann] größer als geplant.’ merkt Rüedi an.

Friedrich Dürrenematt – so erfahren wir – wollte schon früh ‘Künstler’ werden, wenn er auch selbst das noch nicht genau präzisieren konnte. Aber ich habe die Behutsamkeit der Eltern bewundert, mit der diese den Wunsch ihres Sohne niemals aus den Augen verloren. Obwohl der natürlich ihrer eigenen Welt mehr als fremd war. Künstler werden – Friedrich Dürrenmatt wusste nur unklar, d a s s dies sein Lebensweg werden sollte, aber zunächst gar nicht, w i e das sich gestalten sollte.

Um die besondere Art und Weise, wie Friedrich Dürrenmatt dachte, malte un schrieb – wie Rüedi es wunderbar herausarbeitete, möchte ich hier einen Absatz der der Homepage ‘Friedrich Dürrenmatt’ zitieren:

“Sein ganzes Leben lang hat Friedrich Dürrenmatt gezeichnet. Seine ersten Bilder entstanden, bevor er seine erste Kurzgeschichte „Weihnacht“ geschrieben hatte. In unregelmäßigen Abständen drängte es ihn an die Leinwand oder zu seinem Zeichenblock, wo er dann Stunden, sogar Tage an ein und demselben Bild verbringen konnte. Dürrenmatt zeichnete mit Vorliebe Motive aus der griechischen Mythologie, antike Figuren wie Minotaurus, Herkules und Sisyphus. In seinen Bildern wimmelt es von Sonnensystemen, Milchstrassen und Planeten. Außerdem zeichnete er viele Bilder mit christlichen Motiven wie „Der Papst“, der „Turmbau zu Babel“ und zahlreiche Kreuzigungsmotive. Dürrenmatt malte auch Darsteller seiner Theaterstücke, so etwa Leonard Steckel als der „Meteor“. Außerdem gibt es Szenen aus „Frank der Fünfte“, die Dürrenmatt graphisch gestaltet hat.”

Dieses fanatische Zeichnen-Müssen war nicht nur das typische Kennzeichen seiner Kindheit und Jugend. Mehrfach erwähnt Rüedi, wie Dürrenmatts Eltern immer wieder kompetente Fachleute um Rat baten, die Bilder ihres Sohnes zu begutachten. Was konnte man daraus erkennen? Konnte das zu einem ‘Brotberuf’ werden? Aber Dürrenmatt beschäftigten auch all die Ereignisse und Persönlichkeiten, die ihm von seinen Eltern erzählt wurden und was er davon er im Bücherschrank seines Vaters entdeckte.

Nachdem ich soviel über Dürrenmatt gelesen, konnte es nicht ausbleiben, dass ich dann auch bei ihm selber weiterlas und in meiner Ausgabe STOFFE eine interessante Passage fand, in der er seinen Prozess ‘Denken-Zeichnen-Schreiben’ so beschreibt : ‘ (…) ein weißer Karton unberührt; flüchtig gleitet einmal der Stift darüber, schnell ist etwa im Vordergrund eine Stadt skizziert, dahinter, noch hinter dem Horizont, zwei ungeheure Tiere, die sich bekämpfen, am Himmel Milchstraßensysteme; (…) plötzlich erfasst mich die Leidenschaft, es ist, als erschaffe sich aus diesem Nichts, aus der weißen Leere des Kartons, von selbst eine Welt.. (…) Bei der Prosa ist dieses ‘Zurücktreten’, [vor einem an der Wand befestigten Bild] , dieses ‘Überschauenkönnen’ noch schwieriger. Die Prosa treibt, im Zeitfluss dahin und davon. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich dahintreiben zu lassen (…) wie ich ‘drauflos zeichne’. schreibe ich drauflos, nur sind die Folgen beim Schreiben schwerer: eine Unterbrechung, und ich bin nicht mehr im Zeitfluss. (…) An anderer Stelle macht Dürrenmatt seinen engen Zusammenhang zwischen Zeichnen und Schreiben deutlich: “Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen.” An anderer Stelle präzisiert er es noch klarer: “Malerei als eine Kunst, ,schöne Bilder’ zu machen, interessiert mich nicht, ebenso wenig mich die Kunst, ,schönes Theater’ zu machen, nicht interessiert.”

Schritt für Schritt geleitet uns Rüedi nicht nur durch Dürrenmatts Anfangsjahre – nie wird er müde, alles vor uns auszubreiten, was schließlich dazu beitrug, dass daraus der erwachsene Friedrich Dürrenmatt werden sollte. Oh nein, der junge Dürrenmatt war kein Adonis – eher etwas übergewichtig. Und er studierte auch nicht besonders zielstrebig, war er endlich aus der Schulzeit heraus. Der Anfang eines späteren Gedicht Dürrenmatts sagt das so:

Nur das Nichtige hat Bestand.

Wütend und nass // glitt ich aus dem Leib meiner Mutter // begriff nie wozu // und auf wessen Befehl // später blinzelte ich im Licht // und wurde misstrauisch // so bin ich immer noch // genüge mir selber; die Welt // da draußen // ist ungewiss. Sie gehört nicht mir. // Ist eine unbegreifliche Gnade // oder auch // ein böser Fluch. Wer kann das wissen // Auf alles gefasst sein. // (…)

Den verständlichen Vorschlag des Vaters, er solle Theologie studieren, lehnt Dürrenmatt ab. Für den Militärdienst untauglich erklärt, wird er immerhin Füsilier in der Gebirgsinfanterie – ach, und aus Rebellion gegen den Vater nimmt er sogar für Hitler Stellung – aber was tut man nicht alles, wenn man jung ist und nicht weiß, wohin mit sich? Schließlich immatrikuliert er sich für Neuere Deutsche Literatur und Kunstgeschichte. Zwischendrin zeichnet und malt er und schreibt dies und das.

Dann neues Studium: Psychologie, Nationalökonomie, Schwerpunktfach Philosophie; Seminararbeit über Platon, (dessen Höhlengleichnis ihm später als Stoff dienen sollte) und die Tragiker. Dissertation über Kierkegaard und das Tragische schreibt er dann doch nicht fertig; bricht dann Studium überhaupt ab. Wie Dürrenmatt so vor sich hinwächst, Rüedi beschreibt es mit niemals nachlassender Akribie – alles ist wichtig. Irgendwann habe ich angefangen, Rüedi zu bewundern: Dass er nicht verzweifelte angesichts der Menge dessen, was er auch noch als wichtig entdeckte, was erwähnt und zugeordnet werden musste. Alles steckte oft irgendwo im Verborgenen, Verstreuten; oft auch lediglich im Nachlass Dürrenmatts, den er der ETH Zürich vermacht hatte.

Hatte Dürrenmatt eine Etappe seines ‘Wachstums’ hinter sich, gab es radikale Schnitte. Man beginnt zu ahnen, dass das ‘Ganze’, zu dem er werden sollte, ihn sicher nach einem geheimen, erst im Rückblick erkennbaren Plan, steuerte. Rüedi gelingt es wunderbar, das nachzuzeichnen: Jahresring um Jahresring. Damit man jedoch auch alles richtig begreift, wird wirklich alles erklärt, welche Ereignisse, oft Zufälle zu verzeichnen waren – auch die aus der Vergangenheit und was in der Zukunft daraus wurde.

Dann endlich die Erkenntnis und die Entscheidung Friedrich Dürrenmatts: Er würde Schriftsteller werden. Erste Veröffentlichungen. Dann wieder ein Entschluss: Er würde heiraten (die Schauspielerin Lotti Geissler); Umzug nach Basel. Selbstverständlich hat Rüedi auch über sie penibel berichtet. Ohne regelrechtes Einkommen, in dürftigen Verhältnissen leben. Das Fundament auf dem das alles stand: Dürrenmatts unverrückbarer Glaube an seine literarische Berufung. Wie auch später im Leben war der junge Dürrenmatt rastlos tätig, seine psychische und physische Anstrengung führt zum gesundheitlichen Zusammenbruch; finanzielle Probleme tun ein Übriges. Hinzu kam sein Diabetes (was ihm aber die Freude am Wein niemals nehmen konnte.)

Dann will Horwitz Die Wiedertäufer (Es steht geschrieben) aufführen! Als es 1947 uraufgeführt wurde, verließ das Publikum protestierend den Saal! Aber immerhin hat dieser Eklat Dürrenmatt schlagartig berühmt gemacht. Zwanzig Jahre später hat Dürrenmatt dann das Stück umgearbeitet. Rüedi merkt an, dass der Vergleich der beiden Fassungen eine ‘germanistische Delikatesse’ sei. Seine Hörspiele, Kriminalromane und Stücke, ich zahle sie nicht alle auf. Überhaupt wurde Dürrenmatt ein Leben lang nicht müde, etwas umzuschreiben. So bin auch ich mir nicht sicher, ob ich die letztlich gültigen Texte besitze, oder einiges nochmals kaufen muss.

Wie gesagt, auch als junger Mensch neigt er zu fast eruptiven Entschlüssen: 1952 pumpt er sich Geld zusammen und kauft in Neuchatel das Haus, in dem er bis an sein Lebensende wohnen wird. Und dann kommt, 1956, der Durchbruch mit ‘Der Besuch der alten Dame’; finanzielle Probleme gehören von nun an der Vergangenheit an. Nicht nur hier gelingt es Rüedi, ‘die Schrift hinter der Schrift’ Dürrenmatts immer wieder hervorzuholen: Anlässlich der ‘Alten Dame’ ist es Dürrenmatts Faszination gerade alter Menschen. Aber auch sein anderes gewichtiges Problem: Der Umgang mit Schuld und Sühne, ist hier auf wahrhaft geniale Weise zur für immer gültigen Parabel geworden. Meist ist dabei immer wieder sein besonderer, typischer Humor im Spiel, aber auch Überzeichnung, Ironie und auch Sarkasmus, Groteskes bis in die kleinsten Einzelheiten, in den nebensächlichsten Dialogen – statt pathetisch zu werden, wird er fast übermütig! Dürrenmatts Schreiben selbst ist letztlich das Gleichnishafte, die Parabel. Es ist, als zeichne er ein Bild von etwas, das ihn beschäftigt, und macht es dann – geschrieben – zu einem anderen Bild, das oft etwas Groteskes schildert und dennoch weiß der Leser/Zuschauer genau, welcher Grundgedanke dahinter steht. Max Frisch mag das hier ausdrücken. Zum Meteor schreibt er an Dürrenmatt “(…) aber das Stück ist nahe an dem Punkt, wo einer nur noch schweigt. (…)’ Das aber gilt für viele Stücke, hat man sie einmal – in guter Regie und Besetzung – auf der Bühne sehen können. In Rüedis Biographie jedoch erleben wir zu allem, was Dürrenmatt geschrieben hat, in bislang einzigartiger Weise die oft langsame Genese der Texte mit.

Rüedi hat rastlos gesammelt und gehortet: Dazu gehören auch Gespräche mit Verwandten (besonders der Schwester Dürrenmatts) – aber auch, wie sich der ‘Pfarrerssohn’ nach und nach aus seinen damit verbundenen Zwängen löste. Er kam ‘vom Glauben des Vaters’ zum ‘Glauben des Schriftstellers’, zu einer ganz eigenen Metaphysik. Dennoch ist ihm das ‘alte Wissen’ z.B. der Griechischen Sagen und klassischer Texte tief im Innern stets präsent. Über den ‘Minotaurus’ – dessen viertelgöttliche Entstehung er in den STOFFEN köstlich schildert, der nichts für seine fürchterliche Gestalt kann und in seiner Höhle in totaler, ewiger Einsamkeit gefangen ist … Minotaurus und dessen Labyrinth wird für Dürrenmatt ein Urthema, immer wieder sieht er sich selbst und sein Leben darin gespiegelt: “Ich kam mit der Stadt nie zurecht, wir stießen einander ab, ich tappte in ihr herum wie Minotaurus in den ersten Jahren im Labyrinth.”. An anderer Stelle sagt er es noch deutlicher: “indem ich […] mich mit Minotaurus identifizierte, vollzog ich den Urprotest, protestierte ich gegen meine Geburt, […] auch identifizierte ich mich mit jenen, die in das Labyrinth verbannt wurden […] Schließlich identifizierte ich mich mit Dädalus, der das Labyrinth erschuf, denn jeder Versuch, die Welt, in der man lebt, in den Griff zu bekommen, sie zu gestalten, stellt den Versuch dar, eine Gegenwelt zu erschaffen, in der sich die Welt, die man gestalten will, verfängt” Ebenso, wie überhaupt alle alten klassischen Texte, zu denen auch die Geschichten der Bibel gehören, die hm zu Stichworten wurden, wie es z.B. auch Sisyphos war: Dürrenmatt: “[…] dass mich vor allem [bei ihm] die Frage beschäftigte, was Sisyphos zwinge, den Fels immer wieder hochzustemmen.” und andere klassische Gestalten, die ja selbst ein Gleichnis an sich sind. Aber in einer Art Quantensprung lässt Dürrenmatt den alten Text bzw.. alles Gelesene, was in ihm geradezu organisch fortlebte, in sich und macht eine neue, eigene Parabel daraus.

Noch etwas darf hier nicht unerwähnt bleiben. Vieles, was Dürrenmatt später schrieb, hat als Stoff schon lange, oft eben bereits seit seiner Kindheit in ihm ‘gewohnt’. Früh wurde nämlich durch einen Lehrer Dürrenmatts Liebe zur Astronomie geweckt. Er beschäftigte sich ausführlich mit Planeten, zeichnete die Konstellationen von Sternen und lernte ihre Namen. Rüedi berichtet auch, wie Dürrenmatt das beibehalten hat: Als seine junge Frau ihn einmal vermisste, fand sie ihn schließlich auf dem Dach – in die Betrachtung des Himmels versunken. In den Physikern findet sich der Text:

“Wir hauten ins Weltall ab. Zu den Wüsten des Monds. // Lautlos verreckten manche schon da. […]. // sogar auf dem Mars fraß uns die Sonne, // Donnernd, radioaktiv und gelb. // Jupiter stank[…] //. Hing er so mächtig über uns, // Dass wir Ganymed vollkotzten. […] // Saturn bedachte uns mit Flüchen. […] //. Hatten wir doch längst die Sonne mit Sirius verwechselt, […] // Längst schon Mumien in unseren Schiffen //. Verkrustet von Unrat // In den Fratzen kein Erinnern mehr // An die atmende Erde.”

Gestirne, Milchstraßen usw. finden sich immer wieder in seinen Texten.

Dürrenmatt hat viel gelesen, aber sich auch mit den neuen Wegen der Naturwissenschaft eingehend auseinandergesetzt. Auch das hat sein ‘Welt-Bild’ entscheidend verändert. Sie werden (mal wieder) staunen, was Rüedi über Hintergründe und Begleitumstände nur der Rede Dürrenmatts über Einstein zusammengetragen hat! Aber wie in der Welt der Physik das Unberechenbare keine unwesentliche Rolle spielt, gilt dies auch anderweitig: “Der Mensch als Einzelner ist grundsätzlich unberechenbar.” Das ist es, was Dürrenmatt zum ‘Glauben des Schriftstellers’ brachte.

Rüedi lässt auch einige, geradezu legendäre Lebensgewohnheiten und -umstände Dürrenmatts nicht unerwähnt: Dazu gehört sein später gerade legendärer Weinkeller, wie aber auch einige Verstrickungen: Das eine waren die Hunde im Hause Dürrenmatt – vielleicht waren die Hunde ungeeignet, oder lag es an deren Haltern? Und ebenso abenteuerlich war das Kapitel: Dürrenmatt, seine Autos (die immer größer wurden) und seine spezielle Fahrweise. Auch war er, wie alle großen Persönlichkeiten, betrachtet man sie näher, nicht immer ein liebenswerter Mensch.

Hier in diesem Text habe ich nur versucht, Ihnen einige Besonderheiten zu Dürrenmatts Schaffensprozess zu umreißen. Das können nur Stichworte sein. Bei Rüedi kann man all die Verästelungen, die hinter allem, was wir von Dürrenmatt kennen, minutiös nachlesen. Hat man aber diese Biographie gelesen, verlockt es geradezu dazu, sich auch Dürrenmatt selbst wieder vorzunehmen. Wie anders liest sich das alles, hat man ihn nun endlich kennengelernt.

Ich möchte sagen, dass Rüedi etwas ganz Außerordentliches und Ungewöhnliches gelungen ist: Er beschreibt den gesamten Kosmos und das individuelle Zeitgeschehen Dürrenmatts so, dass diese Biographie auch selbst zum Kunstwerk geworden ist. Auch wenn Rüedi zwanzig Jahre daran geschrieben, gefeilt und immer wieder ergänzt hat – hält er sich selbst so zurück, wie es auch Dürrenmatt tat – und gestaltet das eindrucksvolle Gesamtbild eines Menschen, aber auch ein Gesamtbild von dessen Werk, von dem wir kaum etwas wussten, den wir alle ‘kannten’ – nun entsteht er vor uns; man meint, mit ihm reden zu können. “Große Prosa” nennt es die FAZ.

Ich habe hier viel ausgelassen von dem, was in diesen fast tausend Seiten zu entdecken ist – das muss nun jeder Leser für sich selbst entdecken.

Zum Autor (nach Wikipedia)

Peter Rüedi wuchs nach früher Kindheit in Mailand und Como in Arbon im Kanton Thurgau auf. Nach der Matura in Frauenfeld studierte er ab 1961 Germanistik an der Universität Basel, insbesondere bei Walter Muschg. 1966 wurde er Redaktor bei der Zürcher Woche bzw. deren Sonntags-Journal (1968–72). 1974 wurde er Ressortleiter Kultur bei der Weltwoche. 1980 wechselte er aus dem Journalismus, um bis 1982 als Dramaturg in Berlin am Schillertheater tätig zu sein. Zwischen 1982 und 1989 war er Chefdramaturg am Schauspielhaus Zürich. Seitdem arbeitet Rüedi vorwiegend für die Weltwoche: von 1994 bis 1996 redigierte er die literarische Beilage Weltwoche Supplement, aktuell schreibt er wöchentliche Kolumnen zu Jazz und Wein. Für Die Zeit verfasst er gelegentlich CD-Rezensionen. 1990 war er Mitbegründer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau, deren Stiftungsrat er bis 1999 angehörte. Im Weiteren war er zwischen 1985 und 1997 Stiftungsrat der Schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia. Nachdem er 1998 den Briefwechsel zwischen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt im Diogenes Verlag herausgegeben hatte, erschien 2011 seine umfangreiche Dürrenmatt-Biografie «Dürrenmatt oder Die Ahnung vom Ganzen».Rüedi lebt in Tremona.

Ingeborg Gollwitzer