Ausgleichende Gerechtigkeit:

Die Strafe, die ich oft verdient
Gestehen wir es offen:
Ist sonderbarerweise nie
Ganz pünktlich eingetroffen.
Der Lohn, der mir so sicher war
Nach menschlichem Ermessen,
Der wurde leider offenbar
Vom Himmel auch vergessen
Doch Unglück, das ich nie bedacht
Glück, das ich nie erhofft –
Sie kamen beider über Nacht.
So irrt der Mensch sich oft.

Neulich  Abend lief in der ARD die bewegende Dokumentation „Der letzte schöne Tag“ über das Weiterleben einer Familie nach dem Freitod der Mutter. Sensationelle 5,7 Mio. Zuschauer sahen diese Sendung, in der eben auch Mascha Kalékos wunderbares Gedicht „Letztes Lied“ rezitiert wurde. Eigentlich war es dieses Gedicht, das dem Film einen eigenartigen, versöhnlichen und wunderschönen Ausklang gab, der auf geheimnisvolle Weise auf das eben Geschilderte zurückleuchtete –  und unzählige Zuschauer machten sich auf die Suche, die Quelle dieses Gedichtes zu finden. Das Gedicht von Masha Kaléko ist in ihren  Gedichtbänden: „Mein Lied geht weiter“   und in „Die paar leuchtenden Jahre“ (beide dtv-Taschenbuch) enthalten.

Mascha Kaléko ~ Letztes Lied
Ich werde fortgehn, Kind. Doch Du sollst leben
Und heiter sein. In meinem jungen Herzen
Brannte das goldne Licht. Das hab ich Dir gegeben,
Und nun verlöschen meine Abendkerzen.
Das Fest ist aus, der Geigenton verklungen,
Gesprochen ist das letzte Wort.

Bald schweigt auch sie, die dieses Lied gesungen.
Sing Du es weiter, Kind, denn ich muss fort.
Den Becher trank ich leer, in raschem Zug
Und weiß, wer davon kostete, muss sterben …
Du aber, Kind, sollst nur das Leuchten erben
Und all den Segen, den es in sich trug:

 Mir war das Leben wie ein Wunderbaum,
von dem in Sommernächten Psalmen tönen.
– Nun sind die Tage wie ein geträumter Traum;
Und alle meine Nächte, alle – Tränen.
Ich war so froh. Mein Herz war so bereit.
Und Gott war gut. Nun nimmt er alle Gaben.

In Deiner Seele, Kind, kommt einst die Zeit,
soll, was ich nicht gelebt, Erfüllung haben.
Ich werde still sein, doch mein Lied geht weiter.
Gib Du ihm deinen klaren, reinen Ton.
Du sei ein großer Mann, mein kleiner Sohn.
Ich bin so müde – aber Du sei heiter.

Erst in den letzten Jahren ist man zögerlich dazu übergegangen, Mascha Kaléko literarischen Rang zuzuerkennen. Lange Zeit hielt man sie für eine Art lustige Gelegenheitsdichterin, was meiner Ansicht nach auch mit an der Ausstattung der damaligen Büchlein lag.

Nun, seit sie 1975  gestorben ist, und ihr Gesamtwerk vorliegt, beginnt >man< nun, sie mit Ringelnatz, Tucholsky , Kästner u..a. zu vergleichen – und anerkennt ihren einzigartigen ‘Sound’. Wir anderen wussten das ja schon länger.

Aber nicht alle wissen, wer Mascha Kaléko (1907-1975) eigentlich war. An ihren Gedichten merkt man zwar unzweifelhaft, dass sie sowohl heitere, als auch ziemlich düstere Gedichte schrieb. 1907 wurde sie als Golda Malka Aufen in Chrzanów in West Galizien geboren – ihre Mutter Rozalia Aufen und ihr Vater Fischel Engel waren ‘nur’ nach jüdischen Recht verheiratet – nicht aber standesamtlich – die Tochter galt also als unehelich geboren. Als ob es nicht schon gereicht hätte, aus Galizien zu kommen! 1914 Auswanderung der Familie nach Deutschland – Vater sofort als russischer Staatsangehöriger interniert. 1918  Umzug der Familie nach Berlin – wo dann auch 1922 die Eltern standesamtlich heiraten – Mascha heißt nun Mascha Engel. 1818 heiratet sie dann den Jounalisten und Philologen Saul Aron Kaleko – und 1929 erscheinen erste Gedichte im »Querschnitt« und anderen Zeitungen; ab 1932 ist sie Mitglied im Schutzverband Deutscher Schriftsteller (SDS). 1933 erscheint bei Rowohlt ihr erster Gedichtband | Das lyrische Stenogrammheft, das bis heute seinen Charme nicht verloren hat. Es ist jetzt bei DTV als Taschenbuch erhältlich. 1934 folgt >Kleines Lesebuch für Große<, Rowohlt Verlag. 1937 streckt, wie Sie wohl inzwischen vorausgesehen haben, das NS-Regime seine Krallen nach ihr aus. Das lyrische Stenogrammheft wird zum >schädlichen unerwünschtem Schrifttum<. 1936 wird ihr Sohn Evjatar Alexander (später Steven gen.) geboren, Vater ist der spätere zweite Mann der Komponist und Dirigent Kaléko Chemjo Vinaver ; 1938 wird sie von ihrem ersten Mann  geschieden. 1938 emigriert sie mit ihrer Familie nach New York.

Mich trieb von Berlin nach Amerika
Ein Abschnitt der jüngsten Geschichte.
Nun sitz ich im fernen New York, U.S.A.,
Und schreibe dort – deutsche Gedichte

Wirtschaftlich und gesundheitlich geht es der Familie viele Jahre sehr wenig gut. 1944 bekommen sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1945 das dritte Buch >Verse für Zeitgenossen< .1960 wandern Mascha Kalénko und ihr Mann Chemjo Vinar nach Jerusalem aus. Sie unternehmen zahlreiche Reisen nach Europa, wo sie Lesungen hielt.; zum Schluss reist Mascha wegen der Krankheit ihres Mannes überwiegend allein. Jedoch war ihre Ehe, so schwer die Jahre auch waren, als sehr glücklich zu bezeichnen; einer trug des anderen Last, und die Arbeit des einen war auch die Arbeit des anderen.

Nun mache ich einen großen Sprung: 1968 stirbt am 28.Juli der einzige Sohn Steven, die wohl größte Katastrophe im Leben von Mascha Kaléko! und ihrem Mann, von der sie sich nie erholen werden

Elegie für Steven (1969; ihr einziges Gedicht in dieser Zeit)

Kein Wort vermag Unsagbares zu sagen.
Drum bleibe, was ich trage, ungesagt.
Und dir zuliebe will ich nicht mehr klagen.
Denn du, mein stolzer Sohn, hast nie geklagt.

Und hätt’ ich hundert Söhne: Keiner wäre
Mir je ein Trost für diesen, diesen einen!
Sagt ich: hundert? Ja, ich sagte hundert
Und meinte hundert. Und ich habe keinen.

 Dass man doch lernte, sich vor ihm zu neigen,
Der grausam nimmt, was er so zögernd gab.
Solang mein Herz schlägt, ist darin dein Grab.
Ich setze dir ein Malaus purem Schweigen.Kein Wort.

Kein Wort, Gefährte meiner Trauer! Verwehte Blätter, treiben wir dahin.
Nicht, daß ich weine, Liebster, darf dich wundern,
Nur daß ich manchmal ohne Träne bin

Über das alles können Sie aber viel besser in der einfühlsamen und interessanten Biographie: >Jutta Rosenkranz, Mascha Kaléko < nachlesen. Es war ein verflixt mühseliges Leben – aber es  war kein unerfülltes; sie hat viel hinterlassen, was man nun beginnt, es als >Literatur< zu bezeichnen. Leider hat sie das ja selbst nie so richtig erlebt.Sie stirbt 1975.

Aber wenn Sie bislang den Eindruck hatten, Mascha Kaléko hätte nur Besinnliches oder Schwermütiges geschrieben – das ist ein Irrtum. Vor allem wurde sie berühmt durch ihre fetzigen, ironischen und immer treffenden Verse, ihr Sinn- und Unsinngedichte, Limericks und vieles andere mehr. Das müssen Sie aber selbst nachlesen – und werden Ihre helle Freude daran haben, wenn Sie in den Bändchen blättern. Jedesmal. Immer wieder. Sie klagt an. Sie hat Heimweh. Sie liebt. Schreibt Chansons – und Sie werden allerlei finden, das sie abschreiben, um es als Zettelchen jemand anderem zuzuschieben.

… und hier nun: > Die Leistung der Frau in der Kultur (Auf eine Rundfrage)

Zu deutsch: »Die kl ägliche Leistung der Frau«.
Meine Herren, wir sind im Bilde.
Nun, Wagner hatte seine Cosima
Und Heine seine Mathilde.
Die Herren vom Fach haben allemal
Einen vorwiegend weiblichen Schatz
Was uns Frauen fehlt, ist »Des Künstlers Frau«
Oder gleichwertiger Ersatz.
Wenn William Shakespeare fleißig schrieb
An seinen Königsdramen,
Ward er fast niemals heimgesucht
Vom »Bund Belesner Damen«.
Wenn Siegfried seine Lanze zog,
Don Carlos seinen Degen,
Erging nur selten an ihn der Ruf,
Den Säugling trockenzulegen.
Petrarcas Seele, weltentrückt,
Ging ans Sonette-Stutzen
Ganz unbeschwert von Pflichten,
wie etwa Gemüseputzen.
Doch schlug es Mittag, kam auch er, Um seinen Kohl zu essen,
Beziehungsweise das Äquivalent
In römischen Delikatessen
Mag sie auch keine Venus sein
Mit lieblichem Rosenmund,
So tippt sie die Manuskripte doch fein
Und kocht im Hintergrund.
Und gleicht sie auch nicht Rautendelein
Im wallenden Lockenhaar,
So macht sie doch täglich die Zimmer rein
Und kassiert das Honorar.  
Gern schriebe ich weiter
In dieser Manier,
Doch muß ich, wie stets, Unterbrechen.
Mich ruft mein Gemahl.
Er wünscht, mit mir
Sein nächstes Konzert zu besprechen.

 

Nun möchte auch ich nichts mehr hinzufügen – habe hoffentlich einigen von Ihnen den Mund wässerig gemacht und führe nun die erwähnten Bücher unten nochmals auf.

Noch etwas – ich schaue gerade aus dem Fenster:

> Die Sonne klebt wie festgekittet
Bäume tun, als ob sie blühn.
Und der blaue Himmel schüttet
Eine Handvoll Wolken hin.
(—)<

Es gibt wirklich keinen >Zustand>, zu dem sich bei Mascha Kalékos Gedichten nicht etwas findet!

Ingeborg Gollwitzer

 

 

Mascha Kaléko von Jutta Rosenkranz In meinen Träumen läutet es Sturm von Mascha Kaléko Die paar leuchtenden Jahre von Mascha Kaléko
Rosenkranz, Jutta :   Mascha Kaléko . Biografie .    304 S.   m. 26 SW-Abb. .   210 mm .
978-3-423-34671-9
– DTV –     KT        9.90 EUR
Neu Oktober 2012! Kaléko, Mascha :   Sämtliche Werke und Briefe, 3 Bde.
In Kassette .
978-3-423-59083-9
KT        59.90 EUR
Kaléko, Mascha :   In meinen Träumen läutet es Sturm .
Gedichte und Epigramme aus dem Nachlaß
978-3-423-01294-2      – DTV –
KT        7.90 EUR
Kaléko, Mascha :   Die paar leuchtenden Jahre .
Mit e. Essay v. Horst Krüger .   Hrsg., eingel. u. m. d. Biographie ‚Aus d. sechs Leben d. Mascha Kaleko‘ v. Gisela Zoch-Westphal
978-3-423-13149-0
– DTV –
KT        9.90 EUR
Kaléko, Mascha :   Mein Lied geht weiter .
Hundert Gedichte .   Originalausgabe .   Ausgew. u. hrsg. v. Gisela Zoch-Westphal . 978-3-423-13563-4     KT        5.90 EUR
Kaléko, Mascha :   Verse für Zeitgenossen .
Hrsg. u. m. e. Nachw. vers. v. Gisela Zoch-Westphal .
978-3-499-14659-6 – Rowohlt TB. –
KT        6.95 EUR
K aléko, Mascha :   Verse für Zeitgenossen, Großdruck .
978-3-499-33247-0      – Rowohlt TB. –
KT        7.95 EUR
Kaléko, Mascha :   Das lyrische Stenogrammheft; Kleines Lesebuch für Große .   .
978-3-499-11784-8      – Rowohlt TB. –
KT        7.99 EUR
Hörbuch
Kaléko, Mascha :   Interview mit mir selbst, 2 Audio-CDs .
Mascha Kaleko spricht Mascha Kaleko .   120 Min. .   Gelesen v. Gisela Zoch-Westphal u. Gerd Wameling
978-3-8291-1877-4
– Universal Music –  ;  – Deutsche Grammophon -CD   fPr       25,00 EUR