Goethes und Schillers Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen!

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Die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller – weit mehr als ein Zweckbündnis?
Zum 85. Geburtstag der großen Goethe-Forscherin

„Leben Sie wohl und lieben mich, es ist nicht einseitig.“ (Goethe an Schiller am 18. März 1795)

Zum Glück gab es damals weder Telefon noch Handy – sonst wäre heute möglicherweise die ganz besondere Beziehung von Goethe und Schiller in ein falsches Licht geraten … So aber war jede Kommunikation – außer der mündlichen – nur schriftlich möglich, ist weitgehend erhalten und musste ‘nur’ noch richtig gelesen und verstanden werden..

Überraschenderweise lässt sich am Beispiel nur weniger Gedichte – wenn man sie aufmerksam liest und mit biografischen Daten und Briefen verknüpft  -bereits ein fast detailgetreues Bild mosaikartig zusammensetzen, dass man die gemeinsamen Jahre der beiden größten deutschen Dichter wie einen Film an sich vorüberziehen lassen kann.

Warum und wie war die tiefe Beziehung und Liebe der beiden durchaus nicht einseitig?  Schiller, der zehn Jahre Jüngere, hatte schon lange eine Art Hass-Liebe zu Goethe, dem er zu gern persönlich begegnet wäre, entwickelt. Das kann man heute nur noch gerührt belächeln.

 

Wenn man weiß, dass hier, aus einem eher unverbindlichen ersten  Gespräch – das am 20. Juli 1794 stattfand, sehr schnell eine enge und folgenreiche Verflechtung und Verzahnung werden sollte, die erst nach zehn Jahren mit Schillers Tod endete… Wir wissen sogar, dass es dabei um die Metamorphose der Pflanze ging, genauer um die URPFLANZE mit der sich Goethe damals intensiv beschäftigte.  Sie konnten über alles, nicht nur über Dichtung reden.

Wo frühere Biographen in Goethes und Schillers Verbindung oft nur das bloße Zweckbündnis sahen und selbst in jüngster Zeit der Fokus eher auf die „gemeinsame Lebensarbeit“ gerichtet wurde, deckt Katharina Mommsen noch ganz andere, bisher verborgene Dimensionen des einzigartigen Dichterbundes auf:

In vielen Liebesgedichten, die die Freunde einander insgeheim zueigneten, und in chiffrierten Zeugnissen gegenseitiger Zuneigung ist ein geheimer Dialog zu entdecken, der den innersten Grund ihrer Partnerschaft offenbart. Aber man lernt es zu begreifen! Denn: Was einem auch sonst im Leben sehr selten, eher wohl nie geschenkt wird, ist ein Mensch, der vollendet zu dem passt, was einen einzelnen Menschen im Kern ausmacht. Das Normale ist, dass jeder – über ganz weite persönliche Bereiche – wohl einsam bleiben muss.

Heute ist man ja schnell bei de Hand, zu kommentieren, dass die Liebe  zwischen Männern eben – Homosexualität sei. Was man auch damit sagen will.  Ich empfinde besonders diese, aber auch jede andere Form von Liebe  als ein Geschenk.  Überwiegend Ausnahmepersonen sind so begabt, was hier im Kapitel „Unsere Winckelmanniana“gezeigt wird, in dem Goethe das Besonderssein Winckelmanns würdigt.  Damals war das mehr als mutig; vielleicht begriff man aber erst nach und nach, was gemeint war. Und heute? Bei Hugo Loetscher oder Golo Mann las ich es: Es sei eben Liebe – und sonst nichts. Katharina Mommsen zeigt uns sehr schön, dass es, in beider Überlegungen beispielsweise zur Kunst, die scheinbar gegensätzliche Pole zu sein scheinen, tatsächlich Übereinstimmungen fundamentaler Art gibt. Sie zeigt es am Beispiel von Goethes Mährchen und Schillers Ästhetischen Briefen.

Die deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin lenkt den Blick auf die Geburt der Weimarer Klassik aus dem Geist des platonischen Eros. Dicht an den Texten lässt sich das gemeinsame Ringen um Wiedergewinnung antiken Geistes verfolgen, das nicht nur Sehen, Denken und Schreiben der Dichter, sondern auch ihr Gefühlsleben verwandelte.

Dieses Buch Katharina Mommsens ist wirklich als ein Ereignis zu bezeichnen! Ihre ganz besondere Art der Textanalyse zeigt, dass man auch heute noch lesbare, geradezu spannende Essays schreiben kann, die sich mehr als wohltuend von den oft verquasten, eitlen Wort- und Satzungetümen abheben, die seit den 70er und 80er Jahren so sehr in Mode gekommen sind, die man oft, nur wenige Jahre nach deren Abfassung, überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann.

Katharina Mommsen  macht es möglich, dass man die mehr als zweihundertfünfzig Jahre, die dazwischen liegen, überhaupt nicht mehr spürt, wohl aber Zugang bekommt, zu dem, was das einzigartige Bündnis der beiden ausmacht. Das war viel mehr als nur ein Zweck- und Arbeitsbündnis, sondern eine überaus fruchtbare Zweisamkeit, die beide tatsächlich verändere und in ihrem Werk bis heute weiterlebt.

Aber noch etwas anderes war Schiller und Goethe täglich bewusst: Ihre Gemeinschaft war ihnen vom Schicksal wohl nur zögerlich gegeben: Sie war – durch die Krankheit Schillers bedingt – von vornherein nur endlich.

 

Nänie

Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.

Schillers Nänie erschien erstmals 1800 im Band Gedichte von Friedrich Schiller, Erster Theil und entstand vermutlich 1799, kurz vor dessen Drucklegung. Es stammt also aus der Zeit der Weimarer Klassik, deren Literatur sich mit griechischen Epen und Mythen auseinandersetzte, den Idealen antiker Ästhetik folgte und Formen antiker Dichtkunst übernahm.

Als unmittelbare Einflüsse Schillers gelten Goethes Gedicht Euphrosyne, das inhaltliche und formale Parallelen zur Nänie aufweist und in Schillers Musen-Almanach für das Jahr 1799 erschienen war, sowie Goethes Achilleis und Schillers Auseinandersetzung mit dem „Tod des Schönen“ im Rahmen seiner Arbeit an Wallensteins Tod. Der kunstphilosophische Gehalt des Gedichts zeugt von der Beschäftigung des Dichters mit Karl Philipp Moritz‘ Über die bildende Nachahmung des Schönen (1788).

Bereits aus den hier erwähnten Texten kann man erkennen, dass es auch über ihre Gedichte eine enge Kommunikation der beiden gab.

Das wird in diesem Buch von Katharina Mommsen auf faszinierende Weis geschildert; man sollte es lesen, und sich wieder einmal selbst die Zeit nehmen Gedichte – auch laut –  zu lesen und zu verstehen.  Gerade das Schöne, das einem hier begegnet, ist eben  nicht vergänglich  und einiges davon verankert sich auch im Leser auf unerwartete, wohltuende Weise.

 

 

Kein Rettungsmittel als die Liebe – von Mommsen, Katharina;
gebunden
Schillers und Goethes Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen. 400 S. m. 53 Abb. 740g , in deutscher Sprache.
2010   Wallstein  ISBN 3-8353-0761-4  ISBN 978-3-8353-0761-2 | 28.00 EUR