Krimis und Thriller erzählen vom Verbrechen, von Tätern, Opfern und Aufklärern – und sie erzeugen im besten Fall Suspense, die die Spannung bis zuletzt steigert. Sie sind aber zugleich in zeitgenössische oder historische Begebenheiten eingebettet. Dabei scheint es derzeit ein ausgeprägtes Interesse an der Epoche vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur jüngsten Zeitgeschichte zu geben.
Und hier die Bücher
Volker Kutscher lässt den Kommissar Gereon Rath in dem Roman „Die Akte Vaterland“ seinen vierten Fall im Berlin der ausgehenden Weimarer Republik lösen (KiWi, 576 S., 19,99 Euro). Rath ist einerseits einem Serienkiller auf der Spur, andererseits macht er sich an die Aufklärung eines Mordes, der im berüchtigten Vergnügungstempel „Haus Vaterland“ geschehen ist. Irgendwie scheinen beide Fälle zusammenzugehören, doch die Zeitumstände erschweren Raths Ermittlungen: Der „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 – der Tag, an dem Kanzler Papen und Präsident Hindenburg die Reichswehr gegen die junge Demokratie antreten ließen – hält das Geschehen in Bann. Wie stets kann man sich auch in diesem Krimi auf Kutschers Geschichtswissen verlassen. Der Mord und seine Aufklärung sind der fliegende Teppich für eine äußerst gelungene Zeitreise.
Im Mai 1948 wird der russische Violin-Virtuose Ilja Grenko von der Geheimpolizei verschleppt – und kehrt nicht wieder zurück. Mit ihm verschwindet auch seine Stradivari, seit vier Generationen im Familienbesitz. 60 Jahre später wird Iljas Enkel Sascha Zeuge, wie seine Schwester auf offener Straße erschossen wird. Seine Spurensuche führt ihn zurück ins Russland des Jahres 1948. Spannend und mit großer Kenntnis der russischen Gefangenenlager hat Mechthild Borrmann ihren Roman „Der Geiger“ (Droemer, 297 S., 19,99 Euro) verfasst.
Die Globalisierung fordert ihre Opfer, das weiß man. Aber was geschieht, wenn Modelabels ihre Jeansproduktion nach Istanbul verlagern, die Jeans mit Sand bestrahlen, um den modischen „Used“-Look zu erhalten, und die Arbeiter daraufhin an Staublunge zugrunde gehen? Zunächst nichts, so lange alle den Mund halten. Wer das Schweigen bricht, wird selbst zum Opfer. Wolfgang Kaes hat mit „Das Gesetz der Gier“ (C. Bertelsmann, 192 S., 19,99 Euro) einen Globalisierungsthriller der feinen und gut recherchierten Art verfasst. Seine Kommissarin Antonia Dix, Globalisierungsgegner und ehrliche Geschäftsleute sagen international agierenden Modekonzernen den Kampf an.
Um rücksichtslose Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen geht es in Patrick Woodheads Politthriller „Der Weg ins Dunkel“ (Rowohlt, 415 S., 9,99 Euro): Auf der Suche nach einem verschollenen Freund, der zuletzt als Arzt im Kongo gearbeitet hatte, stößt Luca auf Arbeitslager, in denen Menschen wie Sklaven gehalten werden und ein Metall abbauen, das China für ein neues Mobilfunksystem benötigt. Wer hier zu viel nachforscht, ist seines Lebens nicht sicher.
Im Sizilien von heute spielt Liaty Pisanis Krimi „Die rote Agenda“ (Diogenes. 416 S., 16,90 Euro). Ein alter Professor ist im Besitz einer Agenda, die viele ehrenwerte Männer mit der Mafia in Verbindung bringt. Der Professor bangt um sein Leben, doch Gott sei Dank gibt es smarte und eiskalte Agenten, die ihn beschützen und weder den Tod noch die Mafia fürchten. Das ergibt eine gekonnte Mischung aus James-Bond-Fieber und Spaghetti-Flair, geschrieben für Männer, die sich – zumindest in der literarischen Fiktion – zu Smarterem und Höherem berufen fühlen.
Von Agenten, die sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Kampf um eine physikalische „Weltformel“ befinden, handelt Max Bronskis Thriller „Der Tod bin ich“ (Kunstmann, 398 S., 16,95 Euro). Das idyllische bayerische Land wird durch einen Mord erschüttert. Aber wer war der alte Richard Eulmann, der zurückgezogen lebte, wirklich? Max Bronski, der sich selbst mit theoretischer Physik beschäftigt, gelingt es in seinem Roman, Zeitgeschichte, Erkenntnisse der modernen Physik und Thriller-Spannung zusammenzuführen. Ja, man hat beim Lesen das Gefühl, als wären Geheimdienst und Kernphysik verwandte Branchen. Zumindest was die Geheimhaltung angeht.
Weitere Neuerscheinungen
Katharina Berlinger: Chiffren im Schnee. Emons, 304 S., 10,90 Euro.
Schauplatz dieses Krimidebüts ist ein Grand Hotel in den Schweizer Alpen zur Zeit der Belle Epoque. Während die Gäste ihrem High-Society-Leben frönen, agieren hinter der Kulisse Agenten – Morde geschehen. Ein passendes Szenario für einen spannenden Historien-Thriller.
Giancarlo De Cataldo: Der König von Rom. Folio, März, 180 S., 19,90 Euro.
Giancarlo De Cataldo, Richter in Rom, schildert den Aufstieg des Chefs der berüchtigten Magliana-Bande. Basierend auf Prozessakten wird die römische Camorra von den 1970er Jahren an atmosphärisch dicht beschrieben.
Leif Davidsen: Die Wahrheit stirbt zuletzt. dtv, 526 S., 9,95 Euro.
Der dänische Großindustrielle Magnus Meyer hält am Abend seines 80. Geburtstags Rückschau: Es geht um das Jahr 1937, den spanischen Bürgerkrieg, seinen verlorenen Bruder, um die große Liebe und zwei Kisten voll Gold. Geschickt verknüpft Leif Davidson Geschichte, Liebe, Schicksal mit Krimi-Elementen.
Jürgen Heimbach: Unter Trümmern. Pendragon, 528 S., 13,95 Euro.
Mainz 1946: Paul Koch kehrt nach Deutschland zurück. Unbelastet wird er wieder Kriminalkommissar, wittert aber hinter jedem Deutschen einen Nazi. In diesem Klima des Misstrauens muss er einen Mord klären. Jürgen Heimbach verbindet gekonnt Zeitgeschichte mit Krimi-Elementen.
Merle Kröger: Grenzfall. Argument / Ariadne Kriminalroman, 350 S., 11 Euro.
Die Drehbuchautorin Merle Kröger schildert in ihrem Krimi eine wahre Geschichte über zwei Roma, die 1992 beim Queren der polnisch-deutschen Grenze erschossen wurden. Ein gelungenes Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion.
Robert Littell: Philby. Porträt des Spions als junger Mann. Arche, 286 S., 19,95 Euro.
Faktenreich und spannend erzählt Littell das Leben und Treiben des Doppel- und Dreifach-agenten Kim Philby im 2. Weltkrieg und während des Kalten Krieges.
Liad Shoham: Tag der Vergeltung. DuMont, März,
352 S., 18,99 Euro. – Eine Frau wird vergewaltigt, und ein Verdächtiger bald gefasst. Der Autor und Anwalt Liad Shoham beleuchtet kenntnisreich und spannend das Geflecht aus Justiz, Polizei und Verbrecherwelt im Tel Aviv von heute.
Andreas Trojan
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