Ein faszinierender Lebensweg, geleitet von der Kraft der Versöhnung

Also, der Autor, das muss einmal gesagt werden, ist eigentlich noch jung – mit 48 Jahren jedenfalls ist man nicht alt und viele wissen erst dann überhaupt, was sie eigentlich wollen. Und er hat ein außerordentlich sympathisches Buch geschrieben – nicht nur das, es ist viel besser, als ich erwartet habe und es demzufolge in einem Rutsch gelesen habe: Mit großem Interesse, manchmal mit Vergnügen und wurde auch oft überrascht beim Lesen.

Als Prominentensohn aufzuwachsen, ist ein Schicksal besonderer Art. Walter Kohl hat es erlebt und teilweise einen hohen Preis dafür gezahlt. Und es gelang ihm nur mühsam, aus dem Schatten seines Namens zu treten und seinen eigenen Weg zu gestalten. Eine faszinierende Lebensgeschichte und ein Buch über die größte Macht schlechthin: Versöhnung.

Was ich besonders erwähnenswert finde, ist, dass Walter Kohl die entscheidende Wendung seines Lebens ebenfalls Büchern verdankt: Es ist die Begegnung mit dem Psychiater Viktor Frankl: ‘Trotzdem JA zum Leben sagen’ – das vor ihm auch schon unzähligen anderen Menschen geholfen hat. .

Wenn man aber Walter Kohl einmal in einer Talkshow gesehen hat, fällt eines eines sofort auf: Die unglaubliche Ähnlichkeit mit seinem Vater = er halt die gleiche, seltsame Kopfbewegung wie dieser; wenn man sie nachmacht, weiß jeder gleich, wer gemeint ist. Als ‘Sohn vom Kohl’ war – wo er auch hinkam – sofort ‘abgestempelt’. Manchmal bloß mit Hänseleien, manchmal auch mit den Fäusten bis sein Kopf im Urinal einer Toilette landete. Bei der Bundeswehr mit zusätzlichem Exerzieren, Willkür von Ausbildern ausgesetzt – aber durchgestanden! Überhaupt war die Devise, die sein Elternhaus vom ihm erwartet: ‘STEHEN!’ Das verlernt man nie.

Beide Eltern hatten in ihrer Kindheit/Jugend Ende des Krieges und danach viel durchstehen müssen; sie wussten, dass in Notfall nur eines hilft ‘STEHEN!’ . Aber Walter ist nicht im Kriegs- oder Bombengebiet. Ihn versucht von Kleinauf die Umwelt zu beschädigen und zu vernichten. Wunderbar ist die Schilderung seiner Eltern, die man regelrecht vor sich sieht: Der Erratische Block = sein Vater – für den es nur eines gab: Die CDU – und der seine Ziele mit der Unbeirrbarkeit einer Dampfwalze plante, ebnete – durchsetzte. Und Walters Mutter? Die Ehefrau dieser ‘Dampfwalze’, Managerin von allem, was in deren Dienst zu managen war. Oft auch hart, oft auch heftig, oft auch in überraschenden Situationen geduldig, bedacht, ironisch. Und dann ‘beendet’ sie diese Tätigkeit auf ihre eigene Weise: Gewissenhaft und höflich; deutlich jedoch auch.

All das erfahren wir – aber noch mehr. Wir begleiten Walter Kohl auf dem schwierigen Weg, Walter Kohl persönlich zu werden – nicht mehr ‘der Sohn vom Kohl’ zu sein.

Der Autor erzählt von seiner zeitweise schwierigen Kindheit als Sohn vom Kohl in einem Umfeld des Terrorismus und in einer Zeit voller ideologischer Auseinandersetzungen. Der Tod der Mutter im Juli 2001 bildet einen tragischen Tiefpunkt. Doch die Krise wird zum Wendepunkt für ihn, denn sie bildet den Ausgangspunkt für seine innere Neuorientierung.

Walter Kohl entdeckt für sich selbst den Weg der Versöhnung als die zentrale Heilkraft seines Lebens. Dank der Versöhnung kann er seinen Frieden mit sich und anderen schließen, mit dem Namen, mit der eigenen Vergangenheit und somit neue Lebensenergie finden. Von nun an ist sein Lebensweg auf eigenen Vorstellungen aufgebaut.

Walter Kohl ist überzeugt: Wir können unsere seelischen Wunden heilen und ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben führen, wenn wir uns der eigenen Situation vorbehaltlos stellen und unserer inneren Stimme folgen, denn die Versöhnung schenkt uns allen die notwendige Lebensenergie.

Was es heißt, Kanzlersohn zu sein: Einblicke in eine Kindheit und Jugend zwischen Politik und Familienalltag.Wie Walter Kohl es schaffte, dem Schatten seines Namens zu entwachsen und sein eigenes Leben aufzubauen.

Das Buch ist nspirationen für die Leser, die sich in einer kompliziertem Lebensphase befindden, selbst aus fremd bestimmten Lebensumständen herauszufinden und den eigenen Weg zu gehen. So erhält dieses Buch eine Bedeutung, die weit über die darin enthaltenen Einblicke in das Kohlsche Familiensystem herausragt.

Es ist eine Wegbeschreibung zurück für all jene, die in der Mitte des Lebens den Faden verloren haben. Dass die geschilderten Beispiele für Traumata und Demütigungen einer bekannten Familie entstammen, ist hilfreich, aber das Buch ist auch dann lesenswert, wenn man sich nicht für Politik interessiert.

Es ist keine Abrechnung eines Sohnes mit dem berühmten Vater, eher ein Essay über gelingendes Leben und eine Phänomenologie der Macht. In alldem gelingt Walter Kohl ein sehr differenziertes und berührendes Porträt seiner Eltern, insbesondere von Hannelore Kohl …

Leben oder gelebt werden ist ein von Titel, Stil und Struktur her ungewöhnliches Buch, das man ganz zu Ende liest und welches einen lange begleitet. Es bezieht seine besondere Energie schon aus der Entstehungsgeschichte: Dieses Buch kommt aus der Tiefe, es ist Literatur als Lebensmittel, als Gegenteil des Selbstmords. (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Wenn es Ihnen so geht, wie mir: ich wollte das Buch eigentlich gar nicht lesen – dann tun Sie wie ich es nun doch: Jetzt würde es mir leid tun, es nicht gelesen zu haben. Es lohnt sich wirklich!

Ingeborg Gollwitzer

Über den Autor:

Walter Kohl, Jahrgang 1963, Dipl. Volkswirt, MBA, BA, machte sich nach 15 Jahren als Angestellter in Großunternehmen selbstständig. Heute ist er in der Automobilzuliefererindustrie tätig. Gleichzeitig arbeitet er daran, Wege der Versöhnung zu entwickeln und zu vermitteln. Als studierter Historiker und überzeugter Christ findet er seine Vorbilder und Inspirationen in unserem kulturellen Erbe.