Mein letzter Versuch die Welt zu rettenDer vorliegende Roman hat eine ungeahnte Aktualität bekommen, durch die Zeitungsmeldungen, dass bei der Zulassung als Atom-Müll-Endlager von Gorleben vielleicht einiges nicht in Ordnung war. Mit Schrecken hören wir von eindringendem Wasser und der Verseuchung von Grundwasser…

Aber wie das damals, 1984, war, als man zum ersten Mal Atom-Müll nach Gorleben brachte und viele Demonstranten – vielleicht ahnten sie noch nicht, dass ihr Unterfangen unsinnig war- den Transport zu verhindern suchten – das wissen nicht mehr viele. Auch ich habe das nicht richtig mitverfolgt, hatten wir damals doch noch kein Fernsehen und außerdem war Gorleben weit weg.

Mit umso größerem Interesse habe ich den Roman von Jo Lendle gelesen, nicht nur, weil er die Erlebnisse einiger 17-jähriger Jugendlicher schildert, die sich aufmachen, friedlich gegen den Atom-Müll-Transport zu demonstrieren. Zunächst einmal nämlich nahm mich gefangen, wie gut das Buch geschrieben ist.

Sie waren zu siebt; und Florian, der die Geschichte zweier Tage erzählt (an deren Ende sein Tod steht) schildert mit Genauigkeit und liebevoller Ironie, wie sich sich auf dieses in ihren Augen garantiert friedliche Unterfangen vorbereiteten. (Wie es vermutlich auch viele andere ebenso taten.) Alle haben sich fein gemacht: Vor allem durfte nichts darauf hindeuten, dass sie zu einer Demonstration fahren würden. Befragt, würden sie sich als Jugendkammerchor auf dem Weg zu einer Partnergemeinde ausgeben.

Mit Breughelscher Genauigkeit wird alles, nahezu Bild für Bild geschildert: Das letzte Vorbereiten der Bekleidung jedes Einzelnen, die Noten, die sie zu “Ich hatte viel Bekümmernis” mit sich führten, und die sie jederzeit anstimmen konnten, und der Gemeindebus mit dem Schriftzug: Sprengel Nord on Tour (seitlich), Die Letzten werden die Ersten sein (Heckklappe). So, geradezu demonstrativ friedlich ausgestattet, machten sie sich auf die Fahrt, die nun wieder nahezu kilometerweise genauestens geschildert wird.

Mit jedem Kilometer wird deutlicher: Es sind Kinder aus gutem Hause, die sich naiv und voll guten Glaubens aufmachen, die Welt friedlich zu retten. Für die Leser dieser 250 Seiten wird nach und nach aufgerollt, wie das damals war, nach Gorleben zu fahren. Und es werden viele Geschichten der Mitfahrenden erzählt, so deutlich, als seien sie gemalt. Nicht zu vergessen die zarte Liebesgeschichte von Florian, den sie Flo nennen , und seiner Freundlin, Antonia, von allen Anton genannt. Am liebsten hätten sie immerzu “Was kostet die Welt?” gerufen – obwohl allen klar war: Sie kostete viel, sehr viel, sie war unbezahlbar.

Insbesondere Flo erlebt in diesem zwei Tagen, bevor er nach einer wilden Jagd mit der Polizei auf dem Grenzzaun zur DDR den Tod findet, alle Reifeprozesse bis zum Erwachsensein. Auch die anderen, so friedlich und harmlos sie auch sind, erhalten tiefe Blessuren. Was sie zunächst fast wie ein Ferienlager erleben, schlägt bald – ganz ohne ihr eigenes Zutun – in blutigen Ernst um.

Zwei Tage sind es nur, in denen Sie miterleben, wie es damals war, nach Gorleben zu fahren. Der Autor erfüllt alle Ansprüche, die man an eine gute Geschichte stellen kann: Sie ist blendend geschrieben, sie ist ausserordentlich spannend, man erfährt, was man über die Vorgänge um Gorleben so nicht gewusst hat; eine zarte Liebesgeschichte, die wirklich zart ist, und hat obendrein ein Buch, bei dem – aller geschilderten harten Realität zum Trotz – einem viele Leute einfallen, denen man es bei nächster Gelegenheit unbedingt schenken wird.