Ein einzigartiges und aufregendes Dokument deutscher Literaturgeschichte in über 600 Briefen!

 

»Das Ziel war, Schriftsteller zu werden und zu sein.« Peter Handke

“Da ist zum einen der Dichter, ein großer Stilist deutscher Sprache, aber auch ein gefürchteter Publikumsbeschimpfer, radikal in seinen Urteilen über andere und dabei selbst hochgradig empfindsam. Und da ist der Verleger, der Patriarch der deutschen Nachkriegsliteratur. Ein Charismatiker mit großen Händen und präsidialer Nase. Diese beiden also schreiben sich, 37 Jahre lang” .(Aus einer Rezension).

19. August 1965: “Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.” so schreibt feierlich Siegfried Unseld, und es handelt sich um das Manuskript ‘Hornissen’.

Siegfried Unseld ist einundvierzig, als  Peter Handke, 22 Jahre alt, sich bei ihm meldet. . Erst dreizehn Jahre zuvor hatte Unseld seine Tätigkeit beim Suhrkamp-Verlag begonnen.  Seit sieben Jahren war er Suhrkamp-Gesellschafter, seit sechs Jahren alleiniger Verleger.

1952 hatte der Suhrkamp Verlag 100 lieferbare Titel und sechs Mitarbeiter!  Man muss sich also klar machen, dass sich in diesem Briefwechsel sowohl die Entwicklung des Verlegers, des Verlages und des Autors wiederspiegelt. Und das ist unglaublich fesselnd zu verfolgen!

[Ich war seit 1958 Buchhändlerin, seit 1961 mit eigener Buchhandlung, und ich liebte und verehrte Siegfried Unseld und seinen Verlag, so wie ich vorher Peter Suhrkamp verehrt hatte, von dem Vorbildcharakter ausging. DER Autor Peter Suhrkamps war Hermann Hesse, während Siegfried Unseld und Peter Handke eine Art Symbiose bildeten – eine nicht immer friedliche übrigens.]

:Mit obigem Schreiben vom August 1965 setzt eine Korrespondenz ein, in der nach annähernd 600 Briefen Peter Handke dem Verleger zum 75. Geburtstag gratuliert: Aber die schönste Briefsammlung wäre nichts ohne die wunderbaren Ánmerkungen der Herausgeber, die man wegen ihrer detektivischen Sorgfalt nicht genug loben kann.

Während man Brief um Brief liest, werden einem nicht nur die Anfänge Peter Handkes deutlich, sowie auch die ungeheure Energie, die in ihm steckte und sich unaufhaltsam ihren Weg in die Welt bahnen musste; daneben die schier unerschöpfliche Kraft und Geduld Unselds, der bei aller Sensibilität wirklich mit stählernen Nerven ausgerüstet gewesen sein muss. Die hatte er allerdings schon in seiner Vor-Suhrkamp-Zeit bewiesen: 1942 mit Notabitur zum Militär, als Marinefunker auf die Krim, 1944 wieder in Deutschland. Ab 1946 Buchhandelslehre, zugleich Abitur nachgeholt, Buchhändler-Prüfung, neben Beruf gleichzeitig studiert, Studienabschluss mit Dissertation über Hermann Hesse.  Und nicht viel später war er dann bei Suhrkamp. Nein, er war nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und hat dann auch seinen Verlag Buch um Buch und Autor um Autor mit seinen Händen aufgebaut.

Aber auch Handkes Kindheit und Jugend hatte nichts von ‘einem goldenen Löffel’ an sich. ‘Jede Epoche meines Lebens wurde bestimmt von dem täglichen Hin und Her zwischen Ausweglosigkeit und seelenruhigem Weitermachen.’ schreibt er in Mein Jahr in der Niemandsbucht. Da war er bereits in seiner Lebensmitte und kannte sich wohl selbst am besten. Aber wie in manchen Märchen die guten und bösen Feen dem jeweiligen Kind etwas mit auf den Weg geben, waren es beim kleinen Peter mindestens zwei: Die eine gab ihm das lodernde Feuer, das schmerzhaft in ihm brannte, ihn zum Schreiben antrieb und ihn überempfindlich machte, und eine andere gab ihm eben Siegfried Unseld an die Seite, der ihm wie Vater-Freund-Bruder in einer Person zu Seite stand, und ihm den Weg ebnete vom ersten, schmalen Buch an, weil er an ihn glaubte.

Über einen Zeitraum von mehr als 35 Jahren besprachen Peter Handke und Siegfried Unseld das ihnen Wichtigste schriftlich: die Literatur, die Bücher, unterrichtete der Autor den Verleger von seinen Vorhaben, hielt Unseld schriftlich seine Eindrücke über die neuen Manuskripte fest, diskutierten beide Erscheinungstermin und Ausstattung von Büchern, Publikationsstrategien und Kritikerrezensionen.
Fast ist es ein Lehrbuch, das sich mancher Autor, Lektor und Verleger – wie auch ‘geneigte Leser’ – immer mal wieder vornehmen sollten: Wie entsteht Literatur?  Hier ist mitzuerleben die intensive Arbeit an und für Literatur – aber auch, wie man sie erfolgreich ‘vermarktet! – und so eröffnet dieser Briefwechsel völlig neue Einsichten in die Bedingungen des Schreibens und der Verbreitung von Büchern, zeichnet die intellektuelle Biographie, aber auch sehr plastisch ein Psychogramm beider Korrespondenten, ihr unablässiges Arbeiten an neuen Ausdrucksformen sowie deren materiellen, geographischen, politischen und persönlichen Begleitumstände.

Der Briefwechsel ist so plastisch, dass man dabeizustehen glaubt, wenn Peter Handke seine ganz bestimmten Ansichten zur Ausgestaltung seines Buches festlegt und wie er im höchsten Maße beleidigt reagiert, wenn seine vielen nachträglichen  Korrekturen nicht sämtlich, bis aufs Komma, befolgt worden sind. Und auch seine  Text-Korrekturen können für den, der sie bearbeiten muss, grausam sein! Und mit wieviel Sanftmut Unseld seinem Autor dazu zu bewegen versucht, möglichst alles zu Korrigierende schon dann anzubringen, bevor der erste Satz erfolgt ist. Denn damals hatten wir noch nicht so einfache Möglichkeiten wie heute mit EDV etc. .

Es ist bezeichnend, wie Jung-Handke seinem Verleger seine Vorstellung von der Cover-Gestaltung seines künftigen Buches: Der Hausierer vorstellte. Den etwas ungewöhnlichen und komplizierten Inhalt des Buches hatte der Autor zuvor wie folgt zusammenfasst: “.(…) Es hat mich interessiert, mich mit den Schemata des Schreckens zu beschäftigen, die üblichen unreflektierten Darstellungsweisen des Schreckens zu untersuchen, die ja unbewusst entstehen und in dem Überdenken dieser Schemata des Schreckens den wirklichen Schrecken zu zeigen”. (Wenn Sie wissen wollen, auf welche Weise Handke seinen Hausierer geradezu akribisch zusammengebaut hat, können Sie das im Briefwechsel auf Seite 56 finden!)

Aber nun geht es um das Äußere des Buches: Handke teilte ihm [Unseld] am 7.Mai 1967 mit: “Lieber Herr Dr. Unseld, der Entwurf des Umschlags ist leider ganz unmöglich. Ich wundere mich, dass er ihnen gefällt., da Sie doch das Buchinnere kennen und außerdem meine Vorstellung von dem Umschlag, die doch gewiss nicht kompliziert ist.   Ich habe Herrn Caré die zweite Möglichkeit angegeben: die farblich verfremdete Fotografie einer offenen Telefonzelle, in der der Hörer baumelt. Diese Popzeichnung von Fleckhaus [damals der Buchgestalter] wäre für sich nicht übel, aber für mein Buch unstatthaft. Der Roman ist kein Poproman, und es ist wichtig, daß die Leser nicht mit dem falschen Bewußtsein an das Buch gehen. Das ist ja gar nicht so lustig, würden sie sagen. Auch könnte man das Buch ja als Jux auffassen, und das will ich nicht. Es wird doch nicht so schwer sein, ein Foto ordentlich zu kolorieren. In dem Film ‘Blow up’ von Antonioni gibt es eine wunderbare Nahaufnahme einer leeren, grellroten Telefonzelle.” Ein paar Zeilen Später meckert er auch noch an dem Klappentext herum: “(…) er ist doch etwas nichtssagend, leider, ich sage es nicht gern. Er wäre, glaube ich, auch auf ein Dutzend anderer Bücher anzuwenden (…) Kann man nicht bitte zwei Sätze aus meinen Bemerkungen aufnehmen? Etwa: Der Roman erzählt keine erfundene Geschichte, sondern braucht die Geschichte des Lesers.(…)”

Aber ähnlich wie Thomas Bernhard (den Briefwechsel Bernhard/Unseld habe ich ja früher hier auch schon besprochen) ist auch Handke ein höchst mißtrauischer Zeitgenosse, der ‘sowas wie einem Verlag’ von vornherein schon alle Kniffe und Tücken, Schlamperei, Gleichgültigkeit  und Vergesslichkeit  zutraut. Inhaltlich geht es meist um prosaische Dinge wie Auflagen, Honorare, Ladenpreis und Buchumschlag. Und wie er immer mal wiede eine Antwort reklamiert oder Auflage, Verkauf und Honorar mit- oder vorrechnet! Auch angesichts dessen, mit welcher Generosität Unseld ihm gegenüber mit Geld umgeht …  Wenn er [Handke] etwas brauchte, er bekam es! Das Interessante jedoch steht zwischen den Zeilen: Handkes Befürchtung, nicht ernst genug genommen zu werden. Etwas später jedoch da verändert sich der Ton. Handke ist vor allem durch zwei Ereignisse vom Noname zum Hauptprovokateur der Literaturszene aufgestiegen; nun ist er es, der umworben sein will.

Es war nämlich, erstens, ganz unvoraussehbar etwas passiert: Unseld hatte seinem Jungstar eine Manuskript-Lesung in der ]elitären Gruppe 47, etwas wie eine Keimzelle deutscher Literatur nach Kriegsende, beschafft. Eine Ehre schon an sich. Vorlesungsort war diesmal  Princeton (USA). Leider fiel Handke mit seiner Lesung aus dem noch unfertigen Hausierer durch. Vermutlich wusste er noch nicht, dass es nichts Gefährlicheres gibt, als aus etwas Unfertigen, Teilweisen vorzulesen – das geht bis heute fast immer schief.

Jedoch: Völlig unerschüttert und ebenso unerwartet griff der erstmals eingeladene Peter Handke, obwohl er zuvor mit seiner Lesung durchgefallen war, die Gruppe direkt an. Handke verurteilte im Stile seiner Publikumsbeschimpfung die Autoren für die „Beschreibungsimpotenz“ ihrer „ganz dummen und läppischen Prosa“ und die Kritiker für „ihr überkommenes Instrumentarium“ gleichermaßen. Als Handke von Hans Mayer Unterstützung erfuhr, kam es zum ersten Mal zu der von Hans Werner Richter stets vermiedenen Grundsatzdiskussion. Günter Grass nannte Handkes Kritik später einen „Blattschuss“ für die Gruppe 47. In der Folge wandte sich Erich Fried in einem Brief mit Reformvorschlägen an Hans Werner Richter, (Leiter der Gruppe)  doch dieser nahm die Gruppe 47 noch immer als seine Gruppe wahr und blockte alle Reformbestrebungen ab: „Ich brauche nur nicht mehr einzuladen, dann gibt es [die Gruppe 47] nicht mehr. Aber man muss Handke bereits in diesem Alter eine umfassende Bildung und ein sicheres Urteilsvermögen bescheinigen.

Außerdem hatte, zweitens,  Unseld seinen Autor schon gleich zu Anfang darüber aufgeklärt, dass man vor allem mit Bühnenstücken Geld verdienen könnte. Prompt scheibt ihm dieser am 21.Oktober 1965 “Lieber Dr. Unseld, (…) ich habe eben mit Ach und Krach ein Stück geschrieben. Es heißt ‘Publikumsbeschimpfung’ und ist mein erstes und mein letztes. (…) [Hier irrt Handke allerdings gewaltig!] Und es ist ein ganz und gar geniales Stück, was ich auch heute noch empfinde, wenn ich es wieder einmal lese.

Karlheinz Braun, der Leiter des Suhrkamp Theater-Verlages schwärmte von dem Stück: »Das hat Witz und Tiefe, beschäftigt sich mit dem, mit dem sich alle dramatischen Autoren beschäftigen müßten – aber Sie machen es auf eine derart direkte Weise, daß einem – und hoffentlich auch denen, auf die es gemünzt ist – die Spucke wegbleibt” . Uraufgeführt wurde Pulikumsbeschimpfung schließlich am 8. Juni 1966 im Rahmen des neugegründeten und von Karlheinz Braun und Peter Iden kuratierten Festivals Experimental im Theater am Turm Frankfurt. Regie führte Claus Peymann. – Das machte den 24-jährigen Handke, der den konventionellen Literatur- und Theaterbetrieb mit diesem Stück radikal infrage stellte, über Nacht berühmt!   Von nun an war er all seinen Lesern ein Begriff!

Ja, so fing das damals an.

Aber da war dann noch etwas, das war das Grauenvollste und Bedrohlichste überhaupt: Kritik! Ganz gleich in welcher Form, ob tatsächliche oder nur von Handke als solche empfunden!

 20.Juni 1966 “Lieber Herr Dr. Unseld, [Da sind sie noch per Sie] vor einigen Tagen habe ich die Besprechung meines Romans in der ‘Zeit’ gelesen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen werden: aber ich kann mich damit schwer abfinden. Wie ist es nur möglich, dass das Buch Leuten zur Besprechung gegeben wird, die von vornherein voreingenommen sind und sich nicht einmal Mühe geben, das zu verbergen. Diese unsensibel, unintelligent, gehässig geschriebenen Kritiken, die nun Mode zu werden scheinen, hat mein Buch nicht verdient (…) Ich frage mich nur, was man dagegen unternehmen könnte.   (…) Gern würde ich einen ‘großen’ Artikel gegen all diese Kritiker schreiben, die die Konsumliteratur, zum Beispiel die Romane eines Günter Grass, zur literarischen Norm erheben wollen.”

Im gleichen, ziemlich langen Brief fragt er Siegfried Unseld etwas, womit er dessen wunde Stelle trifft. Nämlich ob Unseld was dagegen hat, (und dies tut ihm jedesmal körperlich weh!) wenn er (Handke) etwas im Wiener Residenz-Verlag veröffentlicht. Und prompt kommt von Unseld die zu erwartende Antwort.Wie nicht anders zu erwarten, beschwört er zunächst sein Küken, sich um Himmelswillen nicht in einer wie auch immer gearteten Weise mit seinen Kritikern anzulegen. Und noch vorsichtiger versucht Unseld Handke vorzuschlagen, doch künftig grundsätzlich Suhrkamp als seinen Verleger zu betrachten und seine Veröffentlichung dort doch besser über den Suhrkamp-Verlang laufen zu lassen, die ja dann durchaus auch im Residenz-Verlag erscheinen könnte.

Und dieser Brief endet: ‘Wir werden sehr darauf bauen, dass die Wirkung Ihres Buches länger besteht als solche Kritiken in den Tagesjournalen.’  Er hat Wort gehalten.

17. August 1986  Unseld an Handke: “(…) denke auch ich an die Dauer unserer Beziehung, die ich mir so sehr wünsche. Wie die Jahresringe des Baumes soll Dein Werk im Suhrkamp Verlag wachsen. Es wird leichter dauern in der Sammlung. Ich denke an unser erstes Wiener Treffen und an meinen Flug nach Frankfurt, Dein Manuskript lesend. Ich bin glücklich, Dein Verleger sein zu dürfen, gönne es mir weiterhin. […]”

»Das Ziel war, Schriftsteller zu werden und zu sein.« Peter Handke. Und schaut man jetzt die beeindruckende Liste des von Handke Geschaffenen an, erkennt man die persönliche Weiterentwicklung Handkes, sieht man: Sein Lebenswunsch wurde erfüllt und es hat sich gelohnt! Und hier in diesen Briefen kann man einen großen Abschnitt all dieser Jahre miterleben!

 

Der Briefwechsel
von Handke, Peter; Unseld, Siegfried;
Gebunden Peter Handke – Siegfried Unseld. Herausgegeben von Fellinger, Raimund; Pektor, Katharina .   799 S. 205 mm 804g , in deutscher Sprache. 2012   Suhrkamp ISBN 3-518-42339-8  ISBN 978-3-518-42339-4 | 39.95 EUR –