Wer bin ich und wenn ja, wie vieleDer Autor dieses überaus lesenswerten Buches steht inzwischen auf nahezu allen Bestenlisten ganz oben. Und ziemlich oft sind Sie ihm schon im Fernsehen begegnet. Und seine Bücher sind nicht nur klug, sondern auch überaus lesenswert. Was den Inhalt dieses Buches anbelangt, hätte eine kleine Änderung des Titels Ihnen schon im Voraus etwas mehr davon sagen können, wenn es “Wer bin ich – und wie soll und kann ich leben” getauft worden wäre.

Aber vielleicht wäre es dann gleich in die Lebensberatungsecke gerutscht, wo es nun auch nicht hingehört, ebenso wenig,wie z.B. bei Geschichte der Philosophie einsortiert zu werden. Also, vermutlich, weil es sich eigentlich nirgendwo ‘einreihen’ lässt, haben so viele ganz unterschiedliche Leser danach gegriffen und ihre helle Freude daran gehabt.

Wie es zu diesem Titel kam, berichtet der Autor selbst. Ebenso erfahren Sie im Vorwort einiges von ihm aus der Zeit nach der Schule, vom Ersatzdienst und dem Philosophiestudium danach. Von seinen Professoren hat er dabei etwas Entscheidendes gelernt: (…) “Immerhin brachte mir einer von ihnen schließlich doch das Denken bei. Er lehrte mich, nach dem ‘Warum’ zu fragen und sich nicht mit schnellen Antworten zu begnügen. Und er paukte mir ein, dass meine Gedankengänge und Argumentationen lückenlos sein sollten, so dass jeder einzelne Schritt möglichst streng auf dem anderen aufbaut.”

Nun hat sich der Autor (Jahrgang 1964) genau in dem richtigen Alter, schon eine geraume Zeit über das Leben als solches und wonach man sich eigentlich richten soll, um das richtige Lebensziel zu finden, ziemlich gründlich Gedanken darüber gemacht und während seines Philosophiestudiums, aber auch Dank seiner Neugier und seines Interesses an Biologie und der jetzt sich gewaltig entwickelnden Gehirnforschung viele Ansatzpunkte gefunden, wie man die Kernfrage jedes Lebens wohl beantworten könnte. “Wie passen die philosophischen und die neurobiologischen Erkenntnisse über das Bewusstsein zusammen? Stehen sie sich im Weg oder ergänzen sie sich? Gibt es ein ‘Ich’? Was sind Gefühle? Was ist Gedächtnis?”

Um es gleich vorab zu sagen: Noch nie waren sich Philosophie und die Naturwissenschaften insgesamt so nahe wie heute, bzw. ohne einander undenkbar. Aber sie werfen nicht nur neue Erkenntnisse auf, sondern verlangen gleichzeitig nahezu auf allen Gebieten nach neuen Fragen und gültigen Antworten. Es geht nicht nur um ‘Was ist der Mensch’, sondern auch um das ‘Was darf der Mensch’, von dem sich mehr und mehr herausstellt, dass er nicht nur das vermutlich intelligenteste Säugetier, sondern auch das zugleich gefährlichste sein könnte.

Precht hat es nicht dabei belassen, wahre Mengen an Literatur zu seinem Thema zu lesen, sondern hat auch einige der im Buch vorgestellten Akteure persönlich näher kennenlernen dürfen. Ich vermute, dass dieses Buch zu denen gehört, die zuerst dem Autor selbst den meisten Gewinn brachten, als er all sein Material logisch zusammenfügte und ordnete. Man merkt es an der Freude, mit der es geschrieben ist und den Leser von Seite zu Seite mehr in seinen Bann zieht.

Das Buch geht ganz logisch vor: Der I. Teil steht unter dem Motto: Was kann ich wissen? Es geht sozusagen systematisch vor und versetzt den Leser mitten hinein in die Gedankenwelt jener, die sich, ohne Rücksicht darauf, ob ihre Überlegungen späterer Überprüfung standhalten würden, Gedanken darüber machten, wie sie nach ihrem jeweiligen Wissensstand etwas über das Leben des Menschen aussagen und erklären lassen könnte. .Einiges, z.B. Nietzsche, war schnell abgetan. Aber dann berichtet er über Darwin, der, als er seine Bücher ‘Entstehung der Arten’ und “Abstammung des Menschen” veröffentlichte, das Bild seiner Zeit über den Menschen ins Wanken brachte ….

Der Mensch, ‘nichts’ als ein Bestandteil des Tierreichs? Heute wissen wir, was die Kirchen auf die Barrikaden brachte und dass gerade heute die Wissenschaft das geradezu Hellsichtige Darwins mit immer größerer Bewunderung betrachtet. Lesen Sie es selbst! (Übrigens, auch die Gehirnforschung von heute kann Darwins damalige Überlegungen immer wieder nur bestätigt finden.) Und so heißt denn auch das zweite Kapitel: “Woher kommen wir?”Und im nächsten wird die Frage beantwortet: “Wie funktioniert mein Gehirn?”. Ich werde die Kapitel jetzt nicht alle aufzählen, nur ein wenig hungrig machen darauf.

Folgerichtig ist der II. Teil überschrieben: “Was soll ich tun?” Wieder ein Streifzug durch vor allem die unterschiedlichen Ansichten wichtiger Philosophen im Verlauf der Jahrhunderte. Wievielen Irrtümern aus der Sicht ihres jeweiligen Zeitabschnittes sind sie aus heutiger Sicht erlegen. Und doch, wie überall, folgt man den Erkenntnissen der Wissenschaft im Verlauf der Jahrhunderte, wie oft steht der Spätere auf den Schultern der Früheren. Überhaupt: “Kann ich tun was ich will?” “Dürfen wir Tiere essen?” “Kinder von der Stange: Wohin führt die Reproduktionsmedizin? ” oder: “Was darf die Hirnforschung?” – Natürlich wieder nur einige, wirklich zufällig herausgesuchte Kapitel.

Im III. Teil erfahren Sie logischerweise: “Was darf ich hoffen?” Gleich das erste Kapitel beschäftigt sich mit der immer lauter werdenden Frage: “Die größte aller Vorstellungen – Gibt es Gott?” Ja, kann man seine Existenz beweisen und wer und wann das und wie versucht hat und was letztlich bis heute noch nie jemandem tatsächlich und eindeutig gelungen ist. Aber noch viele andere Lebensfragen werden mit eindrücklichen Schilderungen derer, die sich damit auseinandergesetzt haben, aufgegriffen. “Was ist Liebe?”; “Was ist Freiheit”?; “Brauchen wir Eigentum” Und zum Schluss: “Hat das Leben einen Sinn?” Am Ende dieses Kapitels, auf dessen Inhalt ich – wie bei allen anderen – sehr gespannt war, schreibt der Autor: ” Und wenn Sie mich fragen: Bleiben Sie neugierig, realisieren Sie Ihre guten Ideen, und füllen Sie Ihre Tage mit Leben und nicht Ihr Leben mit Tagen.”

Dem möchte ich eigentlich nichts hinzufügen, außer, dass hinten im Buch zu jedem Kapitel eine sehr schöne Literaturliste angefügt ist, sodass Sie in der Lage sind, einiges von dem, was Sie besonders interessiert hat, umfassender nachzulesen. Vieles davon gibt es auch als Taschenbuch. Ich hoffe, Sie werden sich von der Begeisterung des Autors, seinen glänzenden Formulierungen mitreißen lassen und haben am Ende wirklich viel Interessantes und Neues erfahren über die großen philosophischen Fragen des Lebens. Sie werden dann tatsächlich sozusagen auf dem neuesten Stand des Wissens sein, was die Wissenschaften heute von Mensch und Leben mosaikartig zusammensetzt. Und: Erstaunlicherweise werden Sie sich , trotz dieses geballten Wissens, auch nicht auf einer einzigen Seite langweilen. Wenn das nichts Bemerkenswertes ist?