Einzigartiger, fragender aber auch antwortender Bericht der Reise(n) eines einzigen Menschen
Gerade frage ich mich, ob Sie ein Buch interessiert hätte, das Ihnen wie folgend vom Verlag beschrieben wird: “Von Fluss- und Lebensläufen – Hugo Loetscher entwirft, persönlich und analytisch brillant, die Landkarte seiner Empfindsamkeit: die Summa eines großen literarischen Werks und eines unerschöpflich neugierigen Geistes, immer unterwegs zu neuen Ufern und fremden Küsten. “
Vielleicht wäre Ihnen doch vielleicht dieses Buch lieber, das ich Ihnen jetzt beschreiben möchte:
So fängt es an: “„Wie alle bin ich ungefragt auf die Welt gekommen. Ich gehöre zu denen, die versuchten, etwas daraus zu machen.(…)
Also will ich, dass es diese Welt gibt. (…) Es sind die Füße, die den Boden erfinden. Aus einer ungefragten Welt eine gefragte machen.“(Der erste und einige Schlusssätze aus diesen Buch.) Dazwischen fragt sich Hugo Loetscher auch, ob seine Zeit vielleicht eine Un-Zeit gewesen sei … Es sei gleich hier gesagt: Sie war alles andere als das: Vielmehr ein randvoll erfülltes, sinnvolles Leben.
Es beginnt in Zürich, und er kehrt auch lebenslang und am Ende immer wieder dorthin zurück. In späteren Kapiteln des Buches erfahren wir stückweise die Geschichte seiner Familie. Aber seine Geschichte, die er nun aufschreiben will – am Ende seines Lebens – beginnt damit, dass er an einem Fluss sitzt (der Zürcher Sihl) und ein Holzschiffchen zu Wasser lässt, in das er zuvor seine Anfangsbuchstaben geschnitzt hatte: Einer kommt nach! Aus der Sihl soll seit einem Jahr ein Stausee werden und seine Klassenkameraden zeigten ihm für sie einst wichtige Stellen, die bereits überflutet waren. Es gab in Zürich noch den anderen Fluss, die Limat. Ein kurze Stück schwammen sie sogar nebenander her: Das saubere Wasser der LimmaT und das verschmutzte der Sihl, bis der bürgerlich Fluss den Proleten schluckte. Da auf diese Weise viel von den Intentionen der kommenden Lebensreise deutlich wird, noch etwas zur Limmat:
“An ihr war die Stadt gegründet worden, Sie fließt an den Altstadtvierteln entlang, gesäumt von Kirchen, Zunfthäuser und dem Rathaus. An ihren quais hatten Schiffe angelegt, waren Märkte abgehalten worden, woran ein Weinplatz oder die Gemüsebrücke erinnern. Vorbei an steilen Mauerresten eines römischen Kastells und einer mittelalterlichen Pfalz. (…) Aber: Jenseits dieses Flusses war einst eingerichtet und angelegt worden, was nicht in das puritanische Bild der Stadt gepasst hatte: Ein Siechenhaus, der katholische Friedhof, der Schlachthof oder die Hinrichtungsstätte. Hier lebten die Kleinbürger und Proleten. Was von der Stadt aus gesehen jenseits lag, war ein Diesseits für diejenigen, die hier wohnten. Hier wuchs ich auf, einer, der versuchte, aus dem Ungefragten etwas zu machen.” [Nicht nur an den Ufern der Limmat wird er wie hier, Typisches über Zürich, nämlich Gegensätzliches in allen Teilen der Welt finden.]
Es ist kein irgendwie chronologischer Reisebericht: Es ist eine Seelenreise, eine Summierung des in allen Teilen der Welt erlebten. Was bei einem Musikstück das Thema ist, steht nun überall – wenn auch unsichtbar – als Motto über jeder Seite, nahezu jedem Absatz dieses Buches. Sils und Limmat und deren Gegenufer blieben nicht die einzigen Flüsse, an denen er stand, auf denen er fuhr: ein Boot brachte ihn an die Urwaldstelle, wo der Rio Madeira in den Amazonas mündet; am Amazonas lernte er, dass man einen Fluss nicht nur von den Ufern her ergründet: Unter mir eine silbrige Linie, Schleifen, die keinen Horizont respektieren, flugstundenweit Mäander, ausgreifend und schlängelnd, die sich gegen unbegrenztes Grün behaupten. Es war das erste Mal, dass mich Monotonie faszinierte. (…) machte ich mich daran, den Spielarten der Eintönigkeit nachzuspüren, der nie ausgeschöpften Wiederholung im mehrstöckig verhangenen Regenwald.: Wo Palme nicht gleich Palme war und Liane nicht Liane, genauso wie der Affe, der schrie, nicht der Affe war, der eben mit seinem Greifschwanz von Ast zu Ast hüpfte, und Schmetterlinge kaum von Blüten zu unterscheiden, die der Wind verstreute – am selben Ast Blüte und Frucht. (…)
[Flug:] So hielt ich neugierig ausschau, als die Maschine die Flughöhe erreicht hatte; irgendwann musste der Nil auftauchen. Bis ich merkte, dass wir längst darüber flogen. Richtung Quellen, den Katarakten entgegen, dem Afrika, wohin mit den Giraffen und Leoparden die Nipferde abgewandert sind. Das also war Ägypten. Zwischen zwei Wüsten ein Stück von einem Land, das überschwemmt werden konnte und das ein Volk und eine Kultur mit seinem Schlamm ernährte, aus dem auch die Ziegel der Fellachenbehausungen verfertigt wurden.
Er ging an jedem Anlegeplatz an Land: Besichtigte Tempel, Grabkammern und Felsgräber, gelangte weiter ins Land mit Mietauto, Bus oder Esel: Wie bald beginnt der Sand hinter dem Grün der Felder, hinter den Dattelpalmen, nach Zuckerrohr und Baumwolle. Eben noch Rinder, die die Pflugschar zogen, bald schon Kamele, die in die Dünen zu Oasen aufbrechen – ein Fuß im Ackerland, ein Fuß im Sand, einer im Heute und einer in der Ewigkeit.
Ich habe deswegen so ausführlich zitiert, weil hier etwas für Hugo Loetscher Typisches erkennbar wird: Wo er auch immer in der Welt sein wird, nie wird er zufrieden sein, nicht nur das eine Ufer, sondern auch das Gegenufer gesehen zu haben. Er, der selbst so viele Gegenufer in sich spürt, lernt sie als etwas Normales zu begreifen, weil sie überall zur Welt gehören. Er gelangte zum Mississippi – in Gedanken an Tom Sawyer und Huckeberry Fin. Von der Wolga hatte er nicht zu erst von einem Buch, sondern von einer Schallplatte erfahren. Es zog ihn nach St. Petersburg, als er erfuhr, dass es an der Wolga liegt. Die hat er dann nicht dank Schleppern, sondern dank der Großmütter kennengelernt, lauter Babuschkas, in Schals und Mäntel gehüllt, die Mützen tief im Gesicht, gewappnet für den Winter, Körbe mit Kohl, Kartoffeln aus den Schrebergärten …
Jedes Kapitel folgt einem Stichwort – hier sind es die Flüsse – dann wieder sind es Kirchen, Städte Bei den alttestamentarischen Flüssen Pischon und Gibon, die schon versiegt sein sollten, entdeckte er jedoch Goldwäscher, von dem er ebenso erzählt wie von der Geschichte dieses Flusses. Er berichtet von seinen Erlebnissen an Euphrat und Tigris – die ihre irdischen Quellen in der Türkei gefunden haben: sie führen ein Dasein in Mühsal: werden gestaut, vom Pumpen getrieben und in Kanäle gezwungen. Eben der Tigris auch mit seiner Art Gegenufer, wenn bei Sonnenuntergang Frauen und Kinder aus ihm gefischt werden, Leichen, wahrscheinlich von Geiseln.
Und dann der Mekong, die Mutter der Wasser, ein Grenzfluss eigener Art. Flüchten konnte man da von einem Ufer zum anderen, von der guerilola in ein Auffanglager mit Zehntausenden, die nicht mehr ans andere Ufer zurückkehren mochten. Immer wieder das Gegenufer – die Kehrseite der Medaille – das was auch noch da ist – hinter dem Prachtvollen. Aber auch von der schicksalsbedingten Armut und Benachteiligung. Und vom ebenso begründeten Reichtum. Überall auf der Welt scheinen sie nach dem gleichen Muster`’verliehen’ zu werden.
Hogo Loetscher erzählt sein Leben nicht chronologisch sondern eher, wie man einen Wandteppich erstellt, oder ein Mosaik, das – endlich zusammengesetzt, die Welt ebenso darstellt, wie ein Bild seines Lebens. So ist er am Amazonas, am Yangtse und an anderen Flüssen seines Lebens, realen so gut wie alttestamentarischen. Den Flüssen folgen die Brücken, die die Ufer verbinden. Über die Meere, in die die Flüsse führen, gelangt Loetscher schließlich auf wundersame Weise in die Länder, die ihn bestimmt haben, Thailand, Brasilien, Spanien, Frankreich.
iJe länger seine lebenslange Reise dauert, je mehr er sieht, umso neugieriger scheint er zu werden, mehr zu sehen, zu vergleichen. Und immer hellsichtiger. Es sind auch die überall vorzufindenden Gegensätze “Arm” und “Reich”, er entdeckt auch die Gegensätze in den Menschen – das alles wohl zuallererst, um die in ihm selbst wohnende Gegensätzlichkeit, seine Homosexualität, als etwas eben Gegebenes Normales und gleicherweise etwas sehr Schönes aber auch Bedrückendes anzunehmen.
All das galt es zu erfahren: Wie die Menschen sind, wer ihr Gott ist, wer er selbst ist … obwohl er es selbst nicht ausdrücklich sagt, ist er heimgekehrt als jemand, der in allen Teilen der Welt schließlich in der Summe(und sehr oft zu Fuß) erfahren hat, wonach er gesucht hat. Loetscher schrieb dies wunderbare Buch am Ende seines Lebens. Es ist mehr als ein Bericht oder eine Reisebeschreibung: Es ist auch ein Rechenschaftsbericht: War meine Zeit MEINE Zeit?
Wer es liest, möchte ihm vielleicht schreiben: ‘Es ist Dir gelungen, das was Du von Dir wissen solltest, Stück für Stück in allen Teilen der Welt wiederzufinden und in Einklang zu bringen. Jetzt am Ende Deiner Zeit (Loetscher starb kurz nach Erscheinen des Buches) hast Du auch Dich selbst gefunden’
Und wenn er am Ende über den Tod nachdenkt:”Wenn es zutrifft, dass wir unser Fleisch und Blut dem Sternenstaub verdanken, warum nicht als Staub zu den Sternen zurückkehren – was sind für einen Toten schon ein paar Milliarden Jahre. “ schreibt er wieder einen seiner wunderschönen Sätze/Gedanken.
Nicht nur das: Er erlaubt dem Leser, mit ihm zu reisen und mit ihm zu sehen, mit ihm zu empfinden, zu überlegen und mitzudenken, was der sonst niemals erleben würde. – ein eigenartiger Zauber geht von diesem Buch aus: Die Welt wird plötzlich vertraut und erscheint so klein, dass sie auf eine Hand passt … Licht- und Schattenseiten eines Erdballs und eines Lebens ineinander verwoben. – Trüge man die genannten Städte, Flüsse, Orte in eine Weltkarte ein, würde daraus ein ‚Weltbild’ ganz anderer Art.
Unnötig Sie dazu aufzufordern: Sie werden dies wunderbare Buch mit Sicherheit lesen. Es ist etwas ganz Besonderes.
Ingeborg Gollwitzer
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