Eine ganz besondere, hinreißende, sowohl wortgewaltige wie auch leidenschaftliche Liebeserklärung.

Jahre mit Ledig von Fritz J. Raddatz.Wieviele werden ihn noch kennen oder wenigstens von ihm wissen – diesem großen, damals den größten und einfallsreichsten Verleger Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt.

Er war der Erfinder von rororo – und revolutionierte damit den deutschen Buchmarkt. Er war der uneheliche Sohn von Ernst Rowohlt, dem Gründer des Rowohlt-Verlages. Seine Mutter hieß tatsächlich ‘Ledig’; so wurde er auch im Verlag, in dem er schließlich arbeitete, genannt. Sonderrechte hatte er keine.

Aber er war phantasievoll, leidenschaftlich  und erfinderisch und das bezog sich sowohl auf die Literatur als auch auf sein kaufmännisches Gespür. In vieler Hinsicht ‘ganz der Vater’.  .

Zur Erinnerung für jüngere Leser, für die Taschenbücher etwas völlig Normales sind:
rororo war die erste Taschenbuch-Reihe in Deutschland. Im Juni 1950 erschien im Rowohlt Verlag mit Hans Falladas «Kleiner Mann – was nun?» der Starttitel in ein neues Buchzeitalter.

Heinrich Maria Ledig-Rowohlt hatte die Idee preisgünstiger Paperbacks aus Amerika mitgebracht, die er herstellungsmäßig noch verbesserte, und revolutionierte damit den deutschen Buchmarkt. Nach einem Jahr waren bereits mehr als eine Million rororo Taschenbücher gedruckt. Werke, die noch heute zur Weltliteratur zählen, schmückten von Beginn an das Programm: Graham Greene, Albert Camus, Rudyard Kipling, Kurt Tucholsky, Ernest Hemingway – um nur einige der berühmtesten und erfolgreichsten Autoren der ersten Stunde zu nennen.

Größere Unterschiede als diese beiden kann man sich kaum vorstellen.  Ein „Riesenschnörkel“ steht am Anfang dieses Buches. Es ist die des reichen, pompösen, lauten und charismatischen Verlegers  Heinrich-Maria Ledig Rowohlt.  Ein junger, bitterarmer. sowohl ehrgeiziger wie auch strebsamer, ordentlich und korrekter   Mann in Ostberlin staunt darüber. Der junge Mann heißt Fritz J. Raddatz, damals, als die Geschichte dieses Buches beginnt, stellvertretender Cheflektor des Ostberliner Verlags Volk und Welt; der Schnörkel ist die Unterschrift, in ihrem Schwung nicht leicht zu entziffern, auf Briefen und Verträgen, von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Es ist fast unnötig zu erwähnen, dass es einen förmlichen Arbeitsvertrag Rowohlt-Verlag/Raddatz nie gab; nur Raddatz setzte schließlich eine Art Arbeitsbeschreibung auf, die dann wohl der Schnörkel verzierte.

Ende der fünfziger Jahre lernen beide sich kennen, und – nachdem Raddatz aus der DDR in den Westen entfloh – wie dann aus dem Schnörkel eine Person wird, dann auch ein literarischer Gefährte, ein „Chef“, ein Freund, ein Mit-Abenteurer auf den Beutezügen in die deutsche und die ausländische Literatur, davon erzählt dieses Buch.  Um ihn, ‘Ledig’ zu beschreiben, mit all seinen plastischen, ganz individuellen Eigenheiten und Eigenschaften, genügt eine normal verwendete Sprache nicht aus. Sie braucht riesige Bandwurmsätze, Kaskaden von merkwürdig differenzierten, oft genug gegensätzlichen  Adjektiva – denn dieser Koloss von Mensch ist unbeschreiblich viel und das alles auf einmal. Das alles macht ihn aus, Das ist er.

Nicht nur davon erzählt dieses Buch: sondern auch davon wie das deutsche Verlagswesen nach dem Krieg neu begann und wie im Rowohlt-Verlag, Reinbek, zwei Männer in gemeinsamer Begeisterung für die Literatur einen internationalen Verlag schufen, wie er nicht seinesgleichen hatte. Und es tut beim Lesen fast weh, sich daran zu erinnern, dass man gerade das wohl letzte größere Werk eines Autors liest, der kurz darauf selbst sein Leben beendete, in der Überzeugung, er habe sich selbst überlebt.

Dieses Buch ist ein Denkmal aus Worten, eine Erinnerung, es ist aufbewahrtes Wissen um einen Mann, der einer der entscheidenden Modernisierer des deutschen Verlagswesens gewesen ist.

Meistens bleiben von Verlegern nur die Bücher, die sie herausgebracht haben: Was es aber darüber hinaus zu sagen gibt über Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, das steht, mitreißend erzählt, empfindungsgenau in der Zustimmung wie im Widerspruch, in diesem Buch.

Jetzt haben wir, fast über Nacht, ein neues Zeitalter. Es lässt noch nicht erkennen, wohin es führt. Und es werden tagtäglich weniger, die davon berichten können, wie es früher – genau genommen, vor nur wenigen Jahren – eigentlich war. Unsere Wurzeln aber sind noch dort.

Jahre mit Ledig von Raddatz, Fritz J.;
Gebunden
Eine Erinnerung. 160 S. m. zahlr. Abb. .
2015   Rowohlt, Reinbek
ISBN 3-498-05798-7
ISBN 978-3-498-05798-5 | 16.95 EUR

Maria Ledig-Rowohlt.