Künstlerroman: Deutsche Dichter – Schicksale nach der Wende


„Warum sollte es ihm nicht gelingen , sich selbst und die Banalität seines Lebens zu überwinden? Man muß ja an einer schweren Aufgabe nicht unbedingt scheitern! Man kann auch an ihr wachsen, höher, als man es sich jemals träumen ließ.“beschreibt es Petra Morsbach am Schluß des Kapitels „Entscheidung“ in ihrem früheren Buch “Gottesdiener”, , und so kommen wir zur ihrer Motivation, warum überhaupt sie Bücher schreibt.

Es sind diese merkwürdigen Lebensmuster, die sie interessieren  – bei allen irgendwie ähnlich und doch so unterschiedlich wie ein Fingerabdruck oder die berühmte erste Zelle, aus der wir geworden sind.

Bei der letzteren kann man noch orakeln, was wohl daraus wird; endgültig und eindeutig ist nur der Fingerabdruck – aber auch der gibt letztlich keine Auskunft; der  bleibt lebenslang unverändert..

Damit will ich aber nicht etwa zu dem Gedanken verleiten, bei der Dichterliebe handele es sich womöglich um etwas Genetisches, Biologisches. Glücklicherweise verbinden jedoch ohnehin sicherlich 98 % der Deutschen Dichterliebe sofort mit Goethe, von dem diese 98 % sich sicher sind, dessen Leben sei von Anfang bis Ende überwiegend mit vielerlei Lieben ausgefüllt gewesen; auch wenn sie noch nie etwas von ihm gelesen haben.

Weniger bekannt scheint zu sein, dass auch Petra Morsbach  auf ihre ganz besondere Weise unersättlich ist – nämlich Schicksals-neugierig. Und sie hat es schon vom ersten ihrer Bücher (Und plötzlich ist es Abend) darin zu ziemlicher Meisterschaft gebracht –   die vielen Auszeichnungen, mit denen sie (d.h. Ihre Bücher) bedacht wurden, sind ein Zeichen dafür, dass dieses ganz besondere Talent, sich in die unterschiedlichsten Lebensmuster hineinzudenken,  auch beachtet worden ist. Und wird– denn für die Dichterliebe bekam sie den angesehenen Jean-Paul-Preis.

Über einige andere, seltsam anmutende  Kritiken wird sie jedoch weniger glücklich sein: Bei jenen Kritikern, deren Horizont sich lediglich zwischen 1 – 5 Sternen bewegt, kommt sie weniger gut weg. Als Muster für einige : “(…) Ich musste das Werk oft zur Seite legen und mich wieder neu motivieren weiter zu lesen. Am Schreibstil konnte das nicht liegen, denn der war eher locker und flüssig. Toll fand ich dabei, dass er immer wieder mit kurzen Gedichten gespickt war. Dass ich mich oft zum weiterlesen motivieren musste, liegt vielleicht auch daran, dass Lyrik nicht unbedingt mein Fachgebiet ist und ich von diesem Buch anderes erwartet hatte. Diesem Roman von Petra Morsbach gebe ich daher nur einen Stern. Eine Empfehlung für dieses Werk gibt es leider von mir nicht.” Bitter für ‘nen Dichter – hängt seine Existenzgrundlage eben auch von sowas ab; auch die Orthographie ist OT

Denn um dichterische Existenzgrundlagen und Lebensmuster geht es nun in Dichterliebe. Genaugenommen stehen die Dichter der ehemaligen DDR sich nach 1945 zum zweiten Mal mehr oder weniger vor dem Nichts. Nach 1945 .aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, schrieb der ostdeutsche Lyriker Peter Huchel sein Gedicht „Heimkehr“:

In der schwindenden Sichel des Mondes
kehrte ich heim und sah das Dorf,
verödete Häuser und Ratten.
Über die Asche gebeugt, brannte mein Herz:
Soll ich wie Schatten zerrissener Mauern
hausen im Schutt, das Tote betrauern
Soll ich die schwarze Schote enthülsen,
die am Zaun der Sommer vergaß,
mähen den Hafer rissig und falb,
den ein eisiger Regen zerfraß? (…)

Über die Asche gebeugt, brannte mein Herz überschreibt daher Petra Morsbach  in Dichterliebe ihr erstes Kapitel – BEGEGNUNGEN – , wo sie uns nun vorgestellt werden: ein Häuflein jener Dichter, für die nun auch nach Mauerfall und ‘Wende’ nichts mehr ist, wie es mal war. Erzählt wird es von  Henry Steiger, der sich so vorstellt:: “Heinrich Steiger’, und sich dabei denkt: ‘Den Namen hört sie sicher zum ersten Mal,. Natürlich hört sie ihn zum ersten Mal. Deine Zeit ist vorbei. Gewöhne dich daran.

Nach 1945 wurde die deutsche Literaturgeschichte zweigeteilt, und nach der Wende wieder in ein Flussbett geleitet. Obwohl sich beide Parteien wohl immer im Auge behielten und besonders die ostdeutschen Autoren, soweit sie bei “uns” veröffentlichen konnten, sie sowohl als mysteriöse wie auch als makellose Erscheinungen von einem andern Stern betrachtet wurden. Was ‘die drüben’ von uns gedacht haben, ist mir allerdings weniger geläufig. Bis zur Wende war die “DDR-Literatur” bei uns sehr angesehen und stark beachtet.

Nach der Wende wurde allerdings auch mancher von ‘drüben’ bei uns ehemals hoch im Kurs, etwas abgetakelt,  dafür beschrieben nun Neuere von ‘dort’ ihr bisheriges Leben  aus neuer Perspektive; einige davon mit großem Erfolg.

Das ist also die Ausgangs-Situation in Dichterliebe. Lebendig und unglaublich authentisch denkt sich Petra Morsbach in die gar nicht wenigen hinein, denen es geht wie ihrem Lyriker Henry Steiger. Der  war in der DDR ein Star. Dann kam die Wende und mit ihr ein unsanftes Erwachen. Im Westen liest niemand Gedichte, sagt sein Verleger und rät zu einem Liebesroman. Romane aber sind unter Henrys Würde.

In DICHTERLIEBE schildert Petra Morsbach ihr Häuflein Dichter, eine Sommeridylle. Sie waren teils hoch dekoriert, jetzt aber zumindest aber schon mal mit einem ‘Stipendium’ geehrt, belohnt oder angefeuert. Eben  eine Zwischenstation in der Geschichte manches derzeitigen Ex-DDR-Autors, von der im Allgemeinen die wenigsten heutigen  Leser etwas wissen.

Diese ‘Zwischenstationen’ sind z.B.  Arbeitsaufenthalte unterschiedlichster Dauer, mit oder ohne Taschengeld, mal verliehen oder auch jeweils vomAutor zu beantragen. Da kann man nachdenken, schreiben oder diskutieren.

Auch der so eigensinnige wie angesehene DDR-Lyriker Henry ist nun ein auf solch ein Stipendien angewiesener Hungerkünstler. Ein alter silberner Porsche ist das letzte Relikt der Hoffnung, seinen Ruhm in die neue Zeit retten zu können. In Wahrheit steckt Henry in einer Lebenskrise, und die hält schon ziemlich lange an. . Mit anderen Stipendiaten führt er in dieser Künstlerenklave bei billigem Wein lächerliche Kämpfe um die wahre Kunst, buhlt um jeden Rock und trauert seinem alten Status hinterher.

Vieles, was Petra Morsbach hier sehr genau beschreibt, ist typisch für eine derartige Literaten-Kolonie-Dichter-Anhäufung. . Es ist ja auch eine Anhäufung von Autoren-Schicksalen, die normalerweise ziemlich lange alles andere als dauerhaft froh-beschwingt sind. Das sollte natürlich schon mal all die interessieren, deren Lebensziel es ist zu schreiben. “Es fließt nicht”, nannte schon Goethe diesen Zustand partiellen Leerlaufs. Den muss wirklich jeder einkalkulieren, der sein Leben mit Schreiben zubringen will.

Dann aber ist es, wie auch diese DICHTERLIEBE, das Ergebnis harter Arbeit. In der DICHTERLIEBE  ist es die gründliche Recherche. Beispielsweise die biographische Vorgeschichte Henry Steigers, seine Reise in sein Herkunftsland, das Erzgebirge. Oder seine Fahrten zu Dichterlesungen. Keiner kennt sowas genauer als ein Autor, der – wie auch Petra Morsbach – selbst mit dem Vorlesen seines neuesten Werkes unterwegs ist. Dass aber  für so manchen diese Unterwegs-Honorare ein wesentlicher Teil ihres Einkommens ausmachen, ist vielen nicht klar Denn dabei werden die Autoren nicht nach Anzahl ihrer Zuhörer, sondern pauschal bezahlt, meist inclusive Fahrtkosten und Übernachtung.

Es ist aber trotz all der geschilderten Tragik ein sehr spannendes Buch. Das ergibt sich schon allein aus den ach so gegensätzlichen Personen, die hier wirkungsvoll, wie auf einer Bühne bunt zusammengewürfelt sind. Jeden kann man, dank der treffsicheren Beschreibung, tatsächlich vor sich sehen, und die Art und Weise, mit der jeder ganz individuell entschlossen ist, sein Schicksal zu meistern. Niemand aber wird dabei lächerlich gemacht. Mit subtiler Komik schildet sie diese Künstlerseelen, und man staunt ihre treffende Genauigkeit an, insbesondere, als es nicht ihr eigenes Schicksal ist, wovon sie erzählt. Denn man bestaunt dieses Buch doppelt, wenn man erfhrt: Petra Morsbach selbst ist keine ‘Ossi’.

Sidonie, eine Westautorin, (für die anderen eine West-Schnepfe) ist der bunte Kontrast in dieser Runde:  Fröhlich, pragmatisch und zuverlässig. Und Henry verliebt sich unsterblich in sie, die seine Phantasie beflügelt. .

In Dichterliebe fragt Petra Morsbach ernst und ironisch zugleich nach dem Platz des Künstlers in der Gesellschaft. Dabei gelingt ihr ein überraschend klarer und humorvoller Blick zurück auf eine vermeintlich „gute alte Zeit“, als die Welt, auch die der Literatur, noch in Ordnung schien. Es ist ein deutscher Künstler-Roman geworden , der der Welt der DDR die raue Wirklichkeit nach der Wende gegenüberstellt, treffsicher und voll subtiler Komik.

Etwas ganz anderes ist bei diesem Buch hervorzuheben: Petra Morsbach bemüht sich darum, besonders die ‘DDR’-Lyrik in die Erinnerung zu bringen, und das obwohl man bei ‘uns’ angeblich von Lyrik nicht viel hält. (Beachtlich ist auch das dazugehörige Literatur-Register an Ende des Buches. Sie ist eben, in allem was sie tut, ordentlich und sehr gewissenhaft!) Schade, das es derzeit etwas ruhiger um Petra Morsbach zu sein scheint, und die oben zitierte ‘Kritik’ trug wohl auch dazu bei, dass zu viele meinten, es handele sich um ein Lyrik-Buch, das man aber ohnehin nicht verstehe.

Schon vor 18 Jahren als Petra Morsbachs grandioser Debütroman „Und plötzlich ist es Abend“ erschien, galt sie als heimliche Hoffnung der deutschen Literatur. Denn auch das war bereits ein grandioses, atemberaubendes Buch. Seitdem hat die Autorin fünf ebenfalls sehr gute Romane veröffentlicht und einen bemerkenswerten Literatur- Essayband über die tieferliegenden Wahrheiten des Erzählens mit dem Titel „Warum Fräulein Laura freundlich war“.

Ich habe sie in Anschluss an die Dichterliebe ebenfalls gelesen, um herauszufinden, was denn ‘das Thema’ dieser Autorin eigentlich sei. Sie sind alle, wenn man drauf gekommen ist. jeder auf seine Art eine feinfühlige, genaue Darstellung und Aufarbeitung von Lebenskrisen und Schicksalen, die man normalerweise hinter den handelnden Personen  – begegnete man ihnen im wirklichen Leben – gar nicht vermuten würde. Und hinter jedem Ihrer Bücher steckt eine Menge von Recherche und – Nachdenklichkeit; nicht zu vergessen ist aber auch ihr tiefgründiger Humor, den man zu lieben beginnt.

 

Man fängt jetzt schon an, sich auf ihr nächstes Buch zu freuen. Bei wem wird sie als nächstes herauszufinden versuchen „Warum sollte es ihm nicht gelingen , sich selbst und die Banalität seines Lebens zu überwinden? Man muß ja an einer schweren Aufgabe nicht unbedingt scheitern! Man kann auch an ihr wachsen, höher, als man es sich jemals träumen ließ.“

 

Zur Autorin:

Dr. Petra Morsbach wurde am 1. Juni 1956 in Zürich geboren. Sie besuchte das Gymnasium in Starnberg und studierte nach dem Abitur, das sie 1975 in München ablegte, Theaterwissenschaften, Psychologie und Slawistik mit dem Schwerpunkt russische Literatur. Während ihres Studiums hospitierte sie am Bayerischen Staatsschauspiel. Noch vor dem Magisterabschluss 1981 brachte sie mit Händels „Belshazzar“ ihre erste Inszenierung heraus. Als Austauschwissenschaftlerin arbeitete sie ein Jahr am Leningrader Institut für Theater, Musik und Kinematografie in der Regieklasse von Georgij Tovstonogov. Sie promovierte 1983 über Isaak Babel. Von 1983 bis 1993 arbeitete Petra Morsbach als Regisseurin und Dramaturgin an Musiktheatern in Freiburg/Breisgau, Ulm und Bonn. 1990 wurde sie als freie Regisseurin tätig und verantwortete bis zu ihrem endgültigen Abschied von der Bühne im Jahre 1992 25 Inszenierungen. Durch einen schweren Hörverlust infolge einer Krankheit musste sie 1995 Abschied von der Musik nehmen.

 

Dichterliebe
von Morsbach, Petra;
Gebunden
Roman. 288 S. 21,5 cm 490g , in deutscher Sprache.
2013   Knaus
ISBN 3-8135-0372-0
ISBN 978-3-8135-0372-2 | 19.99 EUR