Lesetipps – der Besten! 31 Literaturkritikerinnen und -kritiker nennen monatlich – in freier Auswahl – vier Buch-Neuerscheinungen, denen sie „möglichst viele Leser und Leserinnen“ wünschen, und geben ihnen Punkte (15, 10, 6, 3). Die Addition ergab für den März folgendes Resultat (in Klammern die Position der Februar-Bestenliste):

Platz 1 (-) 84 Punkte

01

EVA MENASSE: Quasikristalle
Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, € 19,99*
Quasikristalle sind unberechenbar, vielfältig und hart. Das Leben ist so ähnlich. Eva Menasse erzählt die Biografie von Xane Molin aus der Sicht derer, die sie kennen. Und so ist die Heldin Werbefilmerin, Frau, Mieterin, Freundin, Mutter – aber wer ist sie selbst?

 

Platz 2 (5.-6.) 58 Punkte

02

MICHAEL KÖHLMEIER: Die Abenteuer des Joel Spazierer
Roman. Carl Hanser Verlag, 653 Seiten, € 24,90**
Michael Köhlmeiers Reise in die Abgründe des 20. Jahrhunderts: Joel Spazierer wird in der Endphase der Stalin-Diktatur in Ungarn geboren, die Hälfte seiner Familie fällt der Paranoia einer „Ärzteverschwörung“ zum Opfer, er flieht nach Wien und beginnt eine Karriere als Hochstapler, Verbrecher und Verführer, „..weil ich die Lüge als Überschrift zu meiner Existenz wähle.“

Platz 3 (9.-10.) 51 Punkte

03

RALPH DOHRMANN: Kronhardt
Roman. Ullstein Verlag, 928 Seiten, € 24,99**
Wissen ist Macht, ist der Stiefvater überzeugt. Und als sein Stiefsohn Willem
sich hinter den Büchern vergräbt, glaubt er fest an dessen Machtinstinkt. Dohrmanns Held aber, wir ahnen es, tendiert zum Müßiggang, und nicht zur Kronhardt‘schen Maschinenstickerei. Ralph Dohrmann pflegt in seinem Debüt ein fast ausgestorbenes Genre: den großen Bildungsroman. Willem will’s wissen.

Platz 4 (-) 41 Punkte

04

BIRK MEINHARDT: Brüder und Schwestern
Roman. Carl Hanser Verlag, 704 Seiten, € 24,90**
Die DDR der 70er und 80er Jahre und die immer real existierende, aber eben nicht immer sozialistische Familiengeschichte der Werchows. Als offizielle Utopie und die Träume der Bewohner besonders weit auseinanderliegen, fällt die Mauer. Am Ende heißt es: „wird fortgesetzt“. Aber was eigentlich, weiß man nicht.

Platz 5. (-) 36 Punkte

05

PETER BUWALDA: Bonita Avenue
Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Gregor Seferens.
Rowohlt Verlag, 640 Seiten, € 24,95**
„MEINST DU NICHT AUCH, Dass alles mit der Feuerwerkskatastrophe angefangen hat? Die hat alles kaputtgemacht. Danach ist es verdammt schnELL GEGangen, alles zum Teufel, verdammt, verdammt, verdammt.“ Diese Mail ist komisch geschrieben, aber sie trifft den Kern. Eine schwierige Familie, ein geheimer Plan, ein Unglück, das ein ganzes Stadtviertel vernichtet.

Platz 6 (-) 33 Punkte

06

PETER BUWALDA Die französische Kunst des Krieges
Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Uli Wittmann.
Luchterhand Literaturverlag, 768 Seiten, € 24,99**
Frankreichs brutale koloniale Vergangenheit und die Probleme in den Vorstädten – das hängt eng zusammen. „Die Stille nach dem Krieg ist immer noch Krieg.“ Selten hat ein Debut eine ganze Nation so beschäftigt wie dieses. Alexis Jenni hat dafür den Prix Goncourt bekommen.

Platz 7 (-) 32 Punkte

07

JULIEN GRACQ: Aufzeichnungen aus dem Krieg
Tagebuch und Erzählung
Aus dem Französischen übersetzt von Dieter Hornig.
Literaturverlag Droschl, 192 Seiten, € 22,00**
Julien Gracq verweigerte sich allen Ehrungen. Doch er galt unter den französischen Autoren als einer der größten. 2007 starb er fast hundertjährig. Jetzt erscheinen seine Erinnerungen an die Westfront 1940 – als Aufzeichnungen und als knappe, dichte Erzählung. „Fragen Sie mich, wie ich von meinen Büchern denke? Unendlich viel besser als Sie. Und unendlich viel schlechter.“

Platz 8 (-) 31 Punkte

08

JONAS LÜSCHER: Frühling der Barbaren
Novelle. C.H. Beck Verlag, 128 Seiten, € 14,95*
Preising erzählt eine Geschichte mit Moral. Mit welcher, darüber darf man rätseln. Jedenfalls fliegt eine Gruppe verwöhnter Engländer am Beginn der Wirtschaftskrise zum Baden nach Tunesien. Und dann sind plötzlich die Banken pleite und die Konten leer.

Platz 9 (-) 29 Punkte

09

DAVID VANN: Dreck
Roman. Aus dem amerikanischen Englischen übersetzt von Miriam Mandelkow.
Suhrkamp Verlag, 296 Seiten, € 19,95*
Bücher helfen nicht immer. Zumindest die Möwe Jonathan und Siddharta lassen ganz schön zu wünschen übrig für einen jungen Mann, der unter Frauen lebt, aber immer noch Jungfrau ist. Galen will mit allen Mitteln raus, aber wo ist das: Draußen?

Platz 10 (-) 27 Punkte

010

DAVID WAGNER: Leben
Rowohlt Verlag, 320 Seiten, € 19,95**
„Das Bett lässt sich verstellen. Ich kann die Liegefläche anheben und senken und Kopf- und Fußteil anwinkeln, aber ich darf es mir, denke ich, nicht zu bequem machen. Sonst will ich am Ende nicht mehr aufstehen.“ Die in Miniaturen erzählte und viel zu wahre Geschichte einer Organtransplantation.

Persönliche Empfehlung

011

im März von Hubert Winkels (Köln):
LISA KRÄNZLER: Nachhinein
Roman. Verbrecher Verlag, 272 Seiten, € 22,00
„Wie schon in ihrem ersten Roman „Export A“ schreibt die junge Künstlerin und Schriftstellerin Lisa Kränzler aus einer radikal subjektiven Perspektive. Es sind aufgewühlte Reden, rasende Betrachtungen, heftige Weltinterpretationen und -verwerfungen, die sich über die Seiten jagen. Hier ist es vor allem die Selbstrettungssuada eines Mädchens, das an seiner Freundin schuldig wird. – Und ein Sprachvirtuosentum der außergewöhnlichen Art auf Seiten der Autorin. Die Rage ist sprachlich so wohlkomponiert, dass der Roman selbst der Beleg dafür ist, dass Wut und Ressentiment und Rache und filigranes Sprachspiel miteinander gehen.“ (Hubert Winkels)